Am 03. Mai im Stadion an der Grünwalder Straße schloss sich der Kreis. Rot-Weiss Essen sicherte durch einen überzeugenden Auftritt und 3:1-Erfolg beim TSV 1860 München endgültig die Klasse. Das war im Grunde schon einige Spieltage vorher klar gewesen, aber nun war es auch rein rechnerisch so weit. RWE und Chefcoach Uwe Koschinat konnten feiern. Wie so oft in den letzten Wochen und Monaten. Und das ausgerechnet bei den Münchener Löwen.
Die hatten RWE im Hinspiel an der Hafenstraße mit 3:0 vermöbelt. Es war Sonntag der 8. Dezember und der vorletzte Arbeitstag für Trainer Christoph Dabrowski, der tags darauf von seinen Aufgaben entbunden werden sollte. Dabro war im Vorjahr mit Essen noch Siebter geworden und bis zum vorletzten Spieltag mit seiner Truppe sogar mit ihm Aufstiegsrennen gewesen.
Wie der Zufall es so wollte, war es auch am Ende der Spielzeit 23/24 1860 München, das mit einem 1:0 Sieg an der Hafenstraße Essens Aufstiegstraum zerplatzen ließ. Nach der erneuten Heimschlappe gegen die Löwen kurz vor Jahresende war RWE auf Platz 18 abgerutscht und stand nach 17 Partien mit nur 16 Zählern dar. Der Punkteschnitt lag bei schwachen 0,94 pro Partie. Hochgerechnet auf die komplette Spielzeit hätte das aufgerundet 36 Zähler ergeben. Eine Punktzahl, mit der man mit Pauken und Trompeten abgestiegen wäre. Es brannte lichterloh an der Hafenstraße 97 A. Die Mechanismen des Geschäfts griffen.
Es ist müßig, alle Aspekte der Personalie Christoph Dabrowski erneut aufzurollen. Nach seiner Entlassung hatten wir in einem Zweiteiler sein Wirken an der Hafenstraße ausführlich aufbereitet. Die Dinge, die Dabro das Leben von Vereinsseite aus schwergemacht hatten und die Dinge, mit denen sich Dabrowski das Leben auch selber schwergemacht hatte. Wer möchte, kann dies an dieser Stelle noch einmal querlesen. Die Suche nach einem Nachfolger gestaltete sich nicht ganz so einfach, aber dennoch relativ schnell. Schon drei Tage nach der Dabrowski-Demission stellte RWE den Neuen vor. Zur Überraschung vieler im RWE-Umfeld wurde Uwe Koschinat präsentiert. Dass es so schnell ging zeigte, dass sich die Verantwortlichen schon länger mit dem Szenario Trainer-Wechsel beschäftigt hatten.
Zumal man sich auch noch diverse Absagen eingehandelt hatte. Zunächst wurde Markus Kauczinski medial als Favorit gehandelt, dessen Absage gepaart damit, dass auch Andre Pawlak und Tobias Schweinsteiger dankend abgewunken haben sollen, bestätigte für viele Betrachter, dass RWE bereits als eine Art Himmelfahrtskommando zu gelten habe, was keiner übernehmen wolle. Kauczinski soll überdies etwas beleidigt darüber gewesen sein, dass er keineswegs die allseits kolportierte 1A-Lösung für RWE gewesen war. Denn Essen hatte auch mit Dirk Schuster und Alexander Ende, der an Verl gebunden war, gesprochen. Realisieren konnte man dann Uwe Koschinat.
Koschi wurde am 12.12.2024 auf einer Pressekonferenz vorgestellt und irgendwie vermittelten selbst seine neuen Essener Vorgesetzten bei ihrem Plattitüdenstadl nicht den Eindruck vollster Zuversicht. Uwe Koschinat übernimmt das Traineramt an der Hafenstraße – Ich sach ma – Jawattdenn.de Dass diesem Mann bereits Ende Februar, RWE hatte gerade den FC Ingolstadt mit 2:0 geschlagen, „Uwe, Uwe“-Feierrufe von den Tribünen gelten sollten, hatten wohl selbst Zweckoptimisten nicht erwartet. Koschinat war zuvor zweimal in Folge mit Klubs als Feuerwehrmann aus der Zweiten Liga abgestiegen.
Am Ende der Spielzeit 2022/23 verlor er die Relegation mit Arminia Bielefeld. Ein Jahr später konnte er auch den Abstieg des VFL Osnabrück nicht mehr verhindern. Aber auch den erfolgreichen Neustart in Liga Drei mit den Niedersachsen nicht gestalten. Koschinat erhielt dort nur ganze 6 Spieltage der neuen Saison Zeit, nach dem 2:3 bei Waldhof Mannheim, Osnabrück stand mit 5 Zählern auf Platz 16, zog man an der Bremer Brücke die Reißleine. Diese Referenzen aus der jüngeren Vergangenheit sorgten in Essen anfangs nicht für Aufbruchsstimmung. Aber es zeigte sich, Uwe Koschinat war nicht die erste, aber womöglich die beste Wahl, auch wenn es anfangs nicht so aussehen sollte. Am Ende der Saison hatte Koschinat RWE von Platz 18 auf Platz 8 geführt, war mit seiner Mannschaft zweitbestes Rückrundenteam und gewann abschließend den Niederrheinpokal.
Koschinats Erfolgschronik
Wie der Zufall es so wollte, war Koschinats Premierenspiel mit Rot-Weiss Essen ausgerechnet in Osnabrück. Die Lila-Weißen hatten ohne Koschinat nicht gerade Boden wettgemacht. Im Gegenteil. In den folgenden 11 Partien nach dessen Entlassung hatte man gerade 6 weitere Zähler geholt und zierte das Tabellenende. Daher zog man dort erneut die Reißleine und Pit Reimers war bereits der zweite Trainer in dieser Spielzeit, der den Hut nehmen durfte. So kam es am dritten Adventssonntag zu einem Duell der besonderen Art. Osnabrück ging mit Marco Antwerpen in das Match, der zu Saisonbeginn noch Coach in Mannheim gewesen war und dort keine Bäume ausgerissen hatte.
Koschinat kehrte mit RWE zu seinem vorherigen Arbeitgeber zurück. Obwohl Essen kein schlechtes Spiel machte, ging die Partie mit 2:0 an die Gastgeber. Eine Woche darauf trennten sich RWE und der VFB Stuttgart 2 mit 2:2 an der Hafenstraße. Eine Trendwende vor Weihnachten gelang nicht und es wurde deutlich, dass auch an Stellschrauben im Kader gedreht werden musste. Anders als im Vorjahr rüstete Essen in der Winterpause auf. Mit im Flieger ins Trainingslager in der Türkei saßen mit Klaus Gjasula und Dominik Martinovic zwei sehr namhafte Neuzugänge. Vor Ort fand Rot-Weiss ideale Bedingungen vor und so trat man zum Rückrundenauftakt beim Westrivalen Alemannia Aachen zuversichtlich an.
Auch wenn der neue Mittelfeldchef Klaus Gjasula sogleich mit einem grippalen Infekt ausfallen sollte. Ohne ihn wurde Rot-Weiss demontiert. Zwar unterlag RWE „nur“ mit 0:2, aber in Sachen Intensität, Lauf- und Kampfbereitschaft trennte ein blutleeres Essener Ensemble Fußballwelten von den jeden Zentimeter Gras fressenden und umpflügenden Alemannen. Ernüchterung machte sich breit. Bei den Fans und wohl auch bei den Verantwortlichen. Obwohl man ein Trainingslager bezogen und den Kader verstärkt hatte, schien der Effekt des Trainerwechsels bereits verpufft. Auch Jawattdenn nahm weder beim Spielbericht zum Aachen-Match noch beim Vorbericht zur folgenden Partie gegen Hannover 96 II ein Blatt vor den Mund und kritisierte Koschinat und auch andere Essener Verantwortliche scharf. Zum Glück hatten wir uns geirrt. Und wie.
Gegen Hannover konnte Essen erstmals auf Gjasula zurückgreifen und siegte sicherlich nicht nur deswegen mit 5:1. Es war der Beginn einer traumhaften Rückrunde, vor der viele RWE-Fans noch befürchtet hatten, sie könne alptraumhaft verlaufen. Rot-Weiss Essen holte in der Rückrunde sensationell zu nennende 39 Punkte. Nur Arminia Bielefeld performte mit 41 Zählern noch überzeugender. Ansonsten setzten sich die Essener bereits deutlich ab vom Drittplatzierten der Rückrundentabelle, der 1. FC Saarbrücken holte gemeinsam mit dem VFL Osnabrück 33 Zähler.
Hätten die Bergeborbecker sich nicht mit nur 17 Hinrundenzählern selbst eine solche sportliche Hypothek auferlegt, wäre der große Wurf und Liga Zwei möglich gewesen. Als Kirsche auf der Sahne holte sich RWE nach dem Saisonfinale auch noch den Sieg im Niederrheinpokal beim Erzrivalen MSV Duisburg, im Halbfinale hatte man sich bei Rot-Weiß Oberhausen durchgesetzt. In bislang 23 Pflichtspielen unter Uwe Koschinat errang RWE somit 14 Siege, spielte viermal Remis und musste nur 5 Niederlagen hinnehmen. Der Punkteschnitt inklusive des NR-Pokals beträgt somit genau 2 Punkte, in den 21 Partien nach der Winterpause sind es überragend zu nennende 2,14.
Der Koschinat-Fußball: Einfachheit, Geradlinigkeit, Tempo, mentale Stärke
Was sind die Gründe für ein gänzlich anderes Auftreten in der Rückrunde? Uwe Koschinat bekam seinen Kader nennenswert verstärkt, aber es war sein Verdienst, dass dann auch die notwendigen Stellschrauben bewegt wurden. Der Trainer hatte zudem auch das notwendige Quäntchen Glück, das er sich mit seiner Mannschaft freilich hart erarbeitete. Drei Antworten gibt es auf die Ausgangsfrage.
Antwort 1: Personaltuning
Zunächst einmal muss man fairerweise feststellen, dass Uwe Koschinats Kader, der ihm für die Rückrunde zur Verfügung stehen sollte, die Qualität dessen, was Christoph Dabrowski zur Verfügung stand, deutlich übertraf. Vier neue Spieler wurden geholt, neben Klaus Gjasula und Dominik Martinovic bis zur Schließung des Transferfensters auch noch Kaito Mizuta und Matti Wagner. Gjasula war endlich die lange entbehrte 6 im defensiven Zentrum. Gjasula, für Albanien bei der EURO 2024 in Deutschland am Ball gewesen, hat zwar nicht mehr das größte Tempo, aber allein seine Präsenz gab dem Essener Spiel deutlich mehr Konturen und stärkte auch seine Nebenleute.
Zudem ist klar, Gjasula lässt dem Gegner nichts durchgehen, weder am Ball noch in anderen Situationen. Überraschenderweise war der zweite große Gewinn nicht Dominik Martinovic, sondern eher Kaito Mizuta. Der lauf- und dribbelstarke Japaner verfügt nicht nur über eine überragende Physis und wirkt zumindest von außen betrachtet in der Nachspielzeit noch so frisch wie zu Spielbeginn. Auch seine Ballführung besticht und Koschinat hat ihm auch taktisch das Verteidigen und nach hinten mitarbeiten eingeschärft. Dominik Martinovic erschien in der Winterpause als Königstransfer, aber steht am Saisonende bei null Toren. Dennoch ist Martinovic keine Fehlinvestition gewesen. Immerhin steuerte er sieben Assists bei und verlieh der Spitze mehr Ballsicherheit. Da er aber zu den Essener Topverdienern zu zählen ist, muss in der nächsten Saison mehr von ihm kommen.
Ein Spieler, der die rot-weissen Wechseloptionen verbesserte, war Matti Wagner. Der erst 19 Jahre alte Wagner war von Greuther Fürth ausgeliehen worden und in Essen der Backup für Lukas Brumme als linker Schienenspieler. Wenn Wagner auf dem Feld stand, war auf ihn Verlass. Den Youngster zieht es aber weiter zu einem anderen Verein. Grund, der für Essen erfreuliche Umstand, dass Lukas Brumme als Matador auf dieser Position seinen Vertrag verlängert hat und Wagner sich anderswo mehr Spielzeiten erhofft.
Neben den Neuzugängen fanden auch Spieler des bereits vorhandenen Kaders immer besser in die Spur. Ahmet Arslan und Tobi Kraulich waren in der Hinrunde noch die mangelnde Spielpraxis der Vorsaison anzumerken. Kraulich kam mit einer langen Verletzungsgeschichte aus Dresden, Arslan von Magdeburgs Tribüne. Je länger die Spielzeit andauerte desto mehr fanden diese beiden eigentlichen Königstransfers zu ihrer Bestform. Ein weiterer Neuzugang war im Grunde auch Tom Moustier. Zu Saisonbeginn fiel er durch einen Fußbruch gleich Monate aus, danach schaffte er nicht den Sprung in Essens erste Elf und verzeichnete nur einige weniger gute längere Auftritte bei tieferklassigen Klubs im Niederrheinpokal. Das Jahr 2025 brachte dann einen wie verwandelt auftretenden Moustier, der überall auf dem Platz zu finden war. Er bildete nicht nur mit Gjasula die Doppelsechs, sondern stieß ebenso mit Ball in die Achter- und auch Zehnerräume vor. Kein Wunder, dass RWE nun bereits damit liebäugelt, schnellstmöglich vorzeitig mit dem Franzosen zu verlängern.
Antwort 2: Systemanpassungen und Kontinuität
Mit Uwe Koschinat kam ein Paradigmenwechsel ins rot-weisse Spiel. Koschi machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, als er befand, dass RWE für eine Drittligamannschaft zu hohes Risiko im Spielaufbau eingehe. Er stellte seine Elf mit der von nun im Schwerpunkt praktizierten Dreierkette, die mit den Schienenspielern auf Außen zur Fünferkette wird und durch eine klare Doppelsechs bestehend aus Gjasula und Moustier gegen den Ball abgeschirmt wurde, kompakt auf. Das tat vor allem einem Spieler wie Kapitän Michael Schultz gut, der wesentlich griffiger und sicherer agierte und nicht mehr in so viele Laufduelle gezwungen wurde.
Gegentore wurden drastisch reduziert, nur 20 Mal musste RWE in der Rückserie einen Treffer hinnehmen, 34 waren es zuvor gewesen. Die Abkehr vom Ballbesitzfußball ließ die Stärken im Umschaltspiel besser zur Geltung kommen, die RWE durch seine tempogeladenen Akteure, allen voran Ramien Safi, zur Verfügung standen. Die kompaktere Mittelfeldzentrale gab zudem Ahmet Arslan, zuvor eher eine verkappte 6 und so seiner Zehnerqualitäten beraubt, die Möglichkeit, viel offensiver und torgefährlicher zu agieren. Am Ende waren es 14 Tore und weitere 7 Assists für Ahmo. Ebenso wurden einfache Mittel zur Gefahr. Tom Moustier vermag Einwürfe sehr weit in die generische Box zu schleudern, wo RWE mit diversen Akteuren über 1,90 Meter in solchen Situationen viel Unruhe zu stiften vermag.
Ein Fakt, der hingegen die vorhandenen Schwächen des RWE-Spiels auch in der Rückrunde noch belegt ist, dass die Essener ihre vier Niederlagen gegen Aachen (0:2), Viktoria Köln (0:1), Verl (0:3) und Saarbrücken (0:3) jeweils ohne einen eigenen Treffer erleiden mussten. Häufig dann, wenn man gefordert war, das Spiel zu machen, fanden die Essener nicht die entsprechenden Mittel, einen kompakt verteidigenden Gegner zu knacken. Umgekehrt feierte Rot-Weiss satte 12 Rückrundensiege und war nach einer eigenen Führung nicht mehr zu besiegen.
Lediglich Aufsteiger Dynamo Dresden konnte nach einem 0:1-Rückstand an der Hafenstraße noch einen Punkt mitnehmen. Zweimal drehte RWE in der Liga einen 0:1 Rückstand, einmal in Wiesbaden (3:1), einmal gegen Rostock (2:1), bei diesem Spiel agierte Essen allerdings auch in einstündiger Überzahl. Es bleiben 10 Rückrundenerfolge, bei denen RWE sich den Sieg nach einer eigenen 1:0 Führung nicht mehr streitig machen ließ. Wer gegen RWE öffnen und mehr riskieren muss, bekommt Probleme. Denn die Rot-Weissen können turboartig umschalten. Manchmal war es auch karoeinfach, wenn lang geschlagene Bälle gegen einen aufgerückten Gegner Ramien Safi viel Wiese vor sich eröffneten. Auch Owusu, Mizuta und Eitschberger brachten das Tempo mit, um stabil zu nennende Abwehrrecken auf des Gegners Seite das Fürchten zu lehren.
Schon mehrfach hatte sich Jawattdenn.de zuvor darüber gewundert, dass der RWE-Kader von vorneherein eher auf das Umschaltspiel abgestimmt wirkte als das eigentlich propagierte Ballbesitzspiel. Man kann es auch so sagen, Koschinat ließ den Fußball spielen, zu dem diese Mannschaft am meisten befähigt gewesen ist. Ob er in der Folgesaison mittels diverser gezielter Verstärkungen hier auch das Spiel anpassen und verändern wird, bleibt abzuwarten.
Antwort 3: Mentale Stärke
Insbesondere nach Rückschlägen, die in der Hinserie häufig noch ganze Negativserien nach sich zogen, zeigte sich das Nervenkostüm der RWE-Kicker sehr stabil. Nach dem schon angesprochenen Katastrophenauftakt in die Rückrunde am Tivoli blieb Essen im Anschluss daran 7 Partien unbesiegt und gewann satte 6 davon. Dieser Zwischensprint sicherte 19 Punkte und damit nach 8 Partien der Rückserie zwei Zähler mehr als in der gesamten Hinrunde. Als danach eine kleine Durststrecke mit nur einem Punkt aus drei Partien folgte, beantworteten die Hafenstraßenkicker die Frage, ob der Koschi-Zauber vorbei sei, mit vier Siegen in Serie.
Auch nach dem 0:3 gegen Saarbrücken ging man mit 7 Punkten aus den drei Restpartien. Kein einziger Rückschlag konnte RWE erschüttern. Ein Zeichen dafür, dass der Trainer die Mannschaft abholen und stärken kann. Siege tun ihr Übriges. Irgendwann hatte das Team einfach das Momentum auf seiner Seite, das im Fußball so wichtig ist. Wo im Spätsommer und Herbst die Scheiße am Schuh zu kleben schien, eilten die Essener nun von Erfolg zu Erfolg. Nach dem siegreichen Niederrheinpokalfinale in Duisburg ließen seine Akteure den Trainer hochleben und warfen ihn vor der Kurve mehrmals in die Luft. Eine Ehre, die meiner Erinnerung nach zuletzt Jürgen Röber nach dem 3:1 in Münster am 13.06.1993 zuteilgeworden war, als Essen dadurch den Zweitligaaufstieg besiegelt hatte. Die Geste der Essener Spieler ihrem Trainer gegenüber spricht deshalb mehr als tausend Worte.
Nette Worte, klare Kante, Fingerzeige an das Personal
Uwe Koschinat ist ein rhetorisches Naturtalent. Bei den Pressekonferenzen blieb für die Journalisten häufig nach Koschis „einleitenden“ Worten schon kaum mehr eine Frage über, auch wenn diese dann meistens dennoch gestellt wurden. Der Coach übt sich häufig in wahren Lobesarien auf den kommenden Gegner und auch die eigene Belegschaft. Koschinat-Interviews sind jedenfalls nicht geeignet, um in gegnerischen Kabinen zur Motivation aufgehängt zu werden, weil sich dort markige Aussagen fänden. Im Gegenteil. Man bekommt eher den Eindruck, Koschi könne auch in den diplomatischen Dienst eintreten. Doch die netten Worte verbergen nicht, dass der Trainer eine sehr klare Kante hat und genau weiß, was er will und wen er will.
Die Essener Trennung vom langjährigen Co-Trainer Lars Fleischer darf man getrost als ein klassisches Wegloben eines Angestellten bezeichnen, der nicht zu Uwe Koschinat passt. Insider der Hafenstraße bezeichneten Fleischers Einfluss auf die vorherigen RWE-Trainer Christian Neidhart und Christoph Dabrowski als groß. Und ebenso auf die Spielphilosophie. Den von Koschinat nicht gern gesehenen Risikoaufbau, der RWE in der Spielzeit 23/24 stark gemacht, aber in der Folgezeit mit deutlich verändertem Personal in die Bredouille gebracht hatte, war nicht nur Christoph Dabrowski, sondern auch Lars Fleischer zuzuschreiben, der auch im Training häufig den Ton angab. Uwe Koschinat lobt Lars Fleischer wegen der bevorstehenden Trennung über den grünen Klee. Fleischer habe ein klares Cheftrainerprofil, sei inhaltsstark, stehe für eine klare Idee von Fußball und müsse nun auf eigenen Beinen stehen. In Koschinats Kleingedrucktem steht aber auch, dass Fleischer und er etwas andere Vorstellungen vom Fußball hätten. Und diese Vorstellungen sind wohl nicht länger kompatibel. Netter kann man seinen Co kaum wegloben, indem man dessen Stärken hervorhebt und harte Gründe für das Ende der Zusammenarbeit nur implizit leicht andeutet.
Auch die Spieler werden stets von Koschinat begutachtet und auch hier sind seine Worte wertschätzend, geben aber auch klare Fingerzeige. Kurz nach seiner Amtsübernahme kitzelte Uwe Koschinat den bis dato enttäuschenden Joseph Boyamba mit den Worten, dass von einem Spieler seiner Klasse deutlich mehr zu erwarten sei. Boyamba motivierte das offenbar nicht, er lieferte weiterhin nicht und relativ früh in der so erfolgreichen Rückrunde fand sich Boyamba nicht einmal mehr in den Spieltags-Kadern wieder.
Als Eric Voufack nach seinem Tor gegen Aue, seinem einzigen Pflichtspieltor für RWE in knapp 2 Jahren, in Interviews eingestand, dass es eine harte Zeit für ihn gewesen sei, nur als Reservist eingreifen zu können, betonte sein Trainer seine unzweifelhafte Dynamik und andere sehr positive Dinge, hob aber auch die ebenso unzweifelhaften Defensivschwächen hervor. Eine Einschätzung, die wohl alle RWE-Fans teilen und die deutlich machte, dass Voufack keinen neuen Kontrakt an der Hafenstraße 97 A erhalten werde. Doch auch vor Lokal-Matadoren macht Koschinat nicht halt. Nach dem 2:0 Erfolg beim SV Sandhausen vier Spieltage vor Ende war RWE gesichert.
Nur rein rechnerisch war der Klassenerhalt noch nicht in trockenen Tüchern. Viel eher beschäftigte man sich damit, in der Tabelle noch Platz 5 oder gar Platz 4 zu erreichen, was die Direktqualifikation für den DFB-Pokal über die Ligaplatzierung bedeutet hätte. Da verblüffte Uwe Koschinat mit einer Personalentscheidung, die nicht ganz Fußball-Essen glücklich stimmen sollte. Jakob Golz, einmal mehr seit Wochen in bestechender Form und einer der Garanten des Aufschwungs, wurde ab nun an von der Nummer Zwei Felix Wienand ersetzt und dieser wurde auch frühzeitig als Keeper für das prestigeträchtige und ebenso finanziell bedeutende Niederrheinpokalfinale beim Erzrivalen MSV Duisburg als Torhüter nominiert. Das sei laut Koschinat im Trainerteam gemeinsam entschieden und mit allen Beteiligten abgesprochen worden. Felix Wienand sollte belohnt werden für seine Geduld auf der Bank und auch getestet werden für den Fall, dass Jakob Golz doch noch seine Ausstiegsklausel ziehe und für die neue Spielzeit zu einem anderen Verein wechsle.
Im Magenta-Sport-Interview vor der Partie sagte Koschinat zudem, Golz habe zwar seinen Vertrag verlängert, aber eben nicht bedingungslos. Das war durchaus als eine Spitze gegen Jakob Golz interpretierbar. So sah es wohl auch die Golz-Seite und dessen Berater, Ex-RWE-Kapitän Felix Bastians dementierte einen Tag darauf, dass alles einvernehmlich geschehen und gut kommuniziert worden sei. Jakob Golz wird es auch nicht als positiv empfunden haben, dass man seinen Abgang in den sozialen Medien nun mehrheitlich als gesichert ansah und es nun wirkte, als sei unbedarft Porzellan zerschlagen worden. In Kombination mit einer 0:3-Heimniederlage gegen den 1. FC Saarbrücken, dem Ende der Hoffnungen auf Platz 4 und einem suboptimalen Wienand-Auftritt schien diese Maßnahme Uwe Koschinat fast auf die Füße zu fallen. Doch die Kratzer am Trainer-Lack konnten in den folgenden Partien wegpoliert werden.
Bis zum Saisonende holte RWE noch 7 Punkte aus den drei Restpartien und Felix Wienand hielt jedes Mal stark, bei 1860 München verzeichnete er durch einen langen präzisen Schlag in den Lauf von Ramien Safi bei dessen Treffer zum 3:1 sogar einen Assist. Auch das Niederrheinpokalfinale zeigte einen sicheren Wienand, der zur Stelle war, wenn er gefordert wurde.
Vor dem letzten Heimspiel gegen den VFL Osnabrück fand sich dann Kapitän Michael Schultz auf der Bank wieder, weil Koschinat seine Fünferkette in eine Viererkette transformierte, um Kelsey Owusu einbauen zu können. So musste einer der drei etatmäßigen Innenverteidiger weichen und es traf Schulle. Dass Schultz für Koschinat öffentlich zwar als echter Leader gilt, ihm hier aber die spielstärkeren Konkurrenten Rios Alonso und Tobi Kraulich vorgezogen wurden, ist der nächste Fingerzeig an einen Stammspieler und sogar Kapitän, dass es für Koschinat keine Unantastbarkeit gibt. Kelsey Owusu schnürte dann beim 3:1-Erfolg einen Doppelpack, was Koschinats kleines Experiment zusätzlich adeln sollte. So hatte nicht nur das Team, sondern auch sein Trainer häufig das Momentum auf seiner Seite.
Fazit
Die großartige sportliche Entwicklung unter Uwe Koschinat hätten sich sehr wahrscheinlich bei seiner Verpflichtung nicht einmal die Essener Verantwortlichen so vorgestellt und allenfalls erträumt. Durch die Modifikation des Spielsystems und seiner klaren Kommunikation konnte der Trainer seinen Kader jedoch so sehr packen und erreichen, dass die Abstiegsängste schon im Frühjahr deutlich reduziert werden konnten. Koschinat war nicht die erste Wahl, ganz offensichtlich aber die beste Wahl. Daraus erwächst auch eine Hypothek für die Zukunft, denn die Erwartungen rund um die Hafenstraße 97 A sind nun ganz andere geworden. Es wird spannend sein zu sehen, wie der Trainer auch mittels seiner kommenden Neuzugänge RWE in der Spur halten und weiterentwickeln können wird.
NUR DER RWE!
Sven Meyering