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25 Jahre DFB-Pokalfinale – Das Special

Am 14. Mai jährt sich zum 25. Mal das DFB-Pokalfinale gegen Werder Bremen. Bis dahin blicken wir aus unterschiedlichen Perspektiven zurück und lassen Akteure und Fans zu Wort kommen. Im letzten Teil unserer Serie beschreibt Uwe Strootmann (Im Schatten der Tribüne) einmal fiktiv, wie es wohl ausgesehen hätte, wenn RWE dieses Endspiel gewonnen hätte…

Fan-Erinnerungen

Es gibt als Fußballanhänger Dinge, die vergisst man nie. Für einen RWE-Fan ist das mit Sicherheit das DFB-Pokalfinale in Berlin. Einige Rot-Weisse haben uns ihre Geschichten dazu erzählt.


„Wir waren schon Donnerstag in Berlin und haben in einer kleinen Pension in Kladow gewohnt, in der Nähe vom Havelsee/Wannsee. Abends sind wir dann noch zum Stadiongelände, wo ein großes Festival stattfand. Zur Verabschiedung alliierter Truppen, glaub ich. Leider waren wir so spät dran, dass wir die Bands verpasst haben: Status Quo und The Beach Boys.
Danach ging es zum Ku’damm und Freitag stand Sightseeing auf dem Programm. Dann kam der Samstag: Aufgrund des grandiosen ÖPNV in Berlin kamen wir vom etwas abseits gelegenen Kladow problemlos, wann immer wir wollten, in jede Berliner Ecke. Wir fuhren morgens zum Ku‘damm und schon unterwegs sah man an jeder Haltestelle Rot-Weisse stehen und feiern. Der Ku‘damm war übersät mit Konfetti und tausenden Essenern. An der Gedächtniskirche, auf den Treppen, Rot-Weiss, soweit man sehen konnte. Der absolute Wahnsinn! Es war schon ein unglaubliches Gefühl und die Vorfreude auf das Spiel steigerte sich minütlich.“

Bernd Illing


„Das geilste Erlebnis mit RWE! Freitagmorgens ging es mit dem Zug nach Berlin. Klamotten schnell im Hotel in Nähe des Ku’damms abgegeben und dann direkt ins Café Alex. Beim Feiern habe ich mich noch temporär in eine nette Bremerin verliebt. Abends wurde der Ku‘damm gesperrt, weil zu viele RWE-Fans unterwegs waren.

Zwischendurch sind wir mit 10 Kollegen in einem Stripclub eingeflogen und haben
uns eine Tänzerin an den Tisch bestellt, die mehrmals hintereinander für reichlich Kohle zu Adiole gestrippt hat.“

Peter


„Was war das damals für eine Saison mit Höhen und Tiefen, sowohl mit RWE, als auch privat.

Angefangen hatte es damit, dass bei uns erstmals Dauerkarten gekauft wurden, allerdings nur zwei statt drei. Mein Vater und mein Opa sahen es nicht ein, für einen 9-jährigen eine DK zum Preis von 456 DM zu kaufen. Also wurde ich immer brav an der Hand mitgeschleppt, mit dem Hinweis, dass ich auf dem Schoß sitzen musste.

Kurz nach Saisonstart Ende August erkrankte der Opa sehr schwer, so dass er kein RWE-Spiel mehr im Stadion erleben konnte. Also kam die DK in meine Hände und ich versprach meinem Opa, dass ich auf diese Karte ganz doll aufpassen werde.

Dann stand RWE im Pokalfinale und es war klar, mein Vater und ich werden nach Berlin fahren, egal wie. Für uns ging es als ganze Familie, bis auf den Opa, der gerne sein zweites Finale gesehen hätte, in Richtung Berlin. Meine Mutter hatte durch Zufall im NordAnzeiger eine Annonce einer Familie aus MH gesehen, die in Nauen/BRB eine FeWo zu vermieten hatten.

Am Brandenburger Tor liefen und drei Essener in die Arme, die nach Berlin gelaufen waren. Höhepunkt vor dem Spiel war der nackte Mann, der mitten über den Ku’damm und sogar in Richtung der Boutiquen spazierte und jeden fragte, wie er denn zum Strandbad käme.“

Michael Eichler

„Beinahe wäre es wegen dem Pokalfinale nicht zur Hochzeit mit meiner damaligen Verlobten gekommen. Als wir das Halbfinale gegen TeBe gewonnen hatten, war mir der Finaltermin nicht ganz klar. Unser Hochzeitstermin stand fest: 20.05.94 Standesamt, 28.05.94 Hochzeit.

Ich hatte ihr gesagt, dass wir die Hochzeit im Falle eines Falles verschieben müssten – und das war mein Ernst! Soweit kam es allerdings dann nicht. Da letztlich am 14. Mai gespielt wurde, konnte es sorgenfrei mit meinem Opel Calibra nach Berlin gehen und die Hochzeit wie geplant stattfinden.“

Frank Schulte

„Wir waren Freitagabend in Berlin, wo man bereits auf die ersten Rot-Weissen und vereinzelt Grün-Weißen traf. Die Kneipen um den Ku‘damm füllten sich immer mehr mit Essenern und Bremern, wobei Rot-Weiss die vorherrschenden Farben waren. Die Polizei sperrte aufgrund des Andrangs dann mal eben komplett den Ku’damm und beobachtete entspannt von ihren Einsatzwagen das Geschehen. Danach ging es ab ins Q-Ddorf. Was ich noch weiß ist, dass dort Adiole gespielt wurde und zu später Stunde auf einmal ein Typ im Schalke-Trikot auf der Tanzfläche stand. Hatten alle ihren Spaß mit dem. Irgendwie die Nacht zurück zur Schlafstelle und am nächsten Tag gegen Mittag dann Richtung Stadion. Es war eine grandiose Atmosphäre – vorher in der Stadt und später im Stadion – leider mit dem bekannten unglücklichen Ausgang.“

Oliver

„16 war ich. Mein Bruder ist extra mitten in der Nacht aufgestanden und hat versucht im VVK am Fliegenbusch Karten zu bekommen. Keine Chance. Irgendwie sind wir dann doch noch an Karten gekommen. Oberrang, für 19,80 DM das Stück, oder so, plus 20 Pfennig für irgendeine Stiftung.

Mit meinem Bruder und einem seiner Kumpel dann losgefahren, Adiole auf volle Pulle und ab ging es. Kurz hinter Braunschweig ist uns die Karre verreckt, Kupplung im Arsch. Egal. Mietwagen genommen und die Karre irgendwo im Nirgendwo stehen gelassen. Die ganze A2 war Rot-Weiss. In Berlin am Ku‘damm ein paar Runden gedreht, Schiebedach auf, im Auto gestanden und die Fahne wehen lassen. Gott, war das geil.“

Fabio Franceschin

„Ich weiß nur noch, dass es tierisch voll und heiß in der U-Bahn war und dass das amerikanische Orchester auf der Laufbahn irgendwann auch ganz angestachelt von der Stimmung war. Bis denen eine Rakete zwischen die Beine flog. War natürlich nicht ganz so charmant.“

André Heikhaus

„Ich war grade 17 und bin mit drei Kollegen hingefahren. Erstmalig in Berlin. Übernachtet in Kreuzberg. Für 5 DM meinen ersten Döner gegessen, der war groß wie ein Wagenrad.
Am Endspieltag früh morgens mit der U-Bahn zum Ku‘damm. Rolltreppe hoch und ich sag noch zu einem Kumpel: „Mal sehen, ob wir noch andere aus Essen treffen.“ Und plötzlich sind wir mitten im dicksten RWE-Mob. Im Stadion später hat der DFB alles an Schikane ausgepackt, was ging.
Ich habe noch eine Laola-Welle auf den Weg gebracht. Fand ich natürlich mega. Und dann die RWE-Gesänge bei der Pokalübergabe, ich hab schon wieder Gänsepelle…“

Sascha Hinsken

„Am Abend zuvor hatten wir uns mit vier Personen um 20.00 Uhr im Pupasch am Essener Hbf getroffen, wo erstmal Streichhölzer gezogen wurden, um herauszufinden, wer fahren muss. Glücklicherweise nicht ich.
Wir fuhren dann in einem alten Opel Kadett C ohne TÜV los, was zu diesem Zeitpunkt niemand wusste. Bei diesem konnte man durch die Manschette des Schalthebels bis auf die Straße gucken. Wir kamen in den frühen Morgenstunden in Berlin Ost an und wurden von leicht bekleideten Mädchen (nicht nackt) zum Frühstück mit Spaghetti empfangen. Unsere Unterkunft war ein Schwestern-Wohnheim, das früher – zu DDR-Zeiten – als Psychiatrie diente.
Auf der Rückfahrt hatten wir dann tatsächlich noch einen Unfall im Stau, weil der Fahrer unbedingt seine Telefonnummer einem Mädchen im Auto nebenan geben wollte.“

Daniel Ahlert

„Hermann Erlhoff, mein damaliger Trainer, hatte uns die Karten für das Spiel besorgt. Wir sind morgens um 5 Uhr in Marl-Sinsen in die RE eingestiegen, in Essen dann in den ICE Richtung Berlin. Von der Palette Dosenbier, die wir mitgenommen hatten, wollten die Hälfte auf der Hinfahrt trinken und den Rest in einem Schließfach am Bahnhof Zoo für die Rückfahrt bunkern. Hat nicht geklappt! Der Hammer im ICE: Wir sitzen in unserem Abteil und plötzlich läuft der Boss, Helmut Rahn, an uns vorbei! Ich war hin und weg!“

Mike Flaß

„Unvergesslich ist allen, die dabei waren, auch das Viertelfinale in Jena am 30.11.1993 geblieben – nicht nur wegen unseres 6:5-Sieges im Elfmeterschießen. Damals war die deutsche Einheit erst drei Jahre alt und eigentlich mehr Theorie als Wirklichkeit. Die Auswärtsfahrt nach Jena war also eigentlich eine Art Reise in die DDR. Unverkennbar war dies bereits durch den schweren, stechenden Braunkohle-Geruch auf dem langen, dunklen Fußweg zum Ernst-Abbe-Sportfeld. Die -15 Grad hatten alle Ofenbesitzer der Umgebung zum Heizen veranlasst. Der Stadionsprecher, offenbar noch alten Zeiten behaftet, begrüßte nach den Mannschaften auch das „Schiedsrichterkollektiv“. Eher ungewohnt für uns. Antwort des großen RWE-Blocks: „Ihr seid scheiße, wie die DDR“.

Das Spiel stand nach 90 und nach 120 Minuten 0:0. Danach wurden die fälligen Elfmeter auf beiden Seiten professionell vollstreckt. Nachdem aber der letzte Jenaer gegen Frankie Kurth vergeben hatte, tanzten Mannschaft und Fans in wilder Euphorie vor und im Gästeblock. Nach Spielende wurden die circa 2000 mitgereisten Essener wegen der gereizten Stimmung von Ordnern und Polizei auf einer Betonplatte, einer Art Aufmarschplatz, im Ernst-Abbe-Sportfeld eingekesselt, bis die heimischen Zuschauer den Ort ihrer Niederlage verlassen hatten. Die Stimmung unter den Essenern war dennoch super – nur ganz allmählich machten sich die eisigen Temperaturen bemerkbar.

Kurz bevor die Stimmung kippen konnte, erschien plötzlich auf einer Empore oberhalb des Betonplatzes unser Lothar – auf den Schultern eines RWE-Fans und von einem anderen am Gürtel festgehalten, damit er sich richtig ins Zeug legen konnte. Nach dem üblichen, langen „Schhhhh“ und der folgenden absoluten Stille donnerte Lothar die vier Fragen im Leben eines RWE-Fans auf den erwartungsfrohen Anhang nieder. Tausendfach schallte die Antwort in die Nacht von Jena: Nur der RWE!“

Dr. Hans-Jürgen Römer (Zeitzeuge), Thorsten Römer

Fan-Fotos

Wir danken Andreas Becherer, Daniel Ahlert, Detlef Krutschinski, Karsten Kiepert, Dr. Hans-Jürgen und Thorsten Römer und Markus Endberg für die Übersendung der Fotos!

Interview Mario Basler

Am 14. Mai jährt sich zum 25. Mal das DFB-Pokalfinale gegen Werder Bremen. Bis dahin blicken wir aus unterschiedlichen Perspektiven zurück und lassen Akteure und Fans zu Wort kommen. Den Anfang macht Mario Basler im Interview mit Jawattdenn.de.

Mario Basler im RWE-Dress 1989 (www.rwe-autogramme-fm.de)

Jawattdenn.de: Hallo Herr Basler, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, das Pokalfinale 1994 nochmal mit uns Revue passieren zu lassen. Welche Erinnerungen kommen Ihnen da so in den Sinn?

Mario Basler: Wir haben 2:1 gewonnen…

Jawattdenn.de: 3:1. Wynton Rufer. 88. Minute per Elfmeter.

Mario Basler: 3:1 haben wir gewonnen? Ich wurde früh ausgewechselt (Anm. d. Redaktion: 75. Minute) und bin in die Kabine gegangen. Da war ich im Warmwasserbecken, wo mich jemand aus dem Vorstand später rausgeholt hat. Ich kam dann mit Adiletten zur Siegerehrung.

Jawattdenn.de: Willi Lemke biss sich an Ihnen die Zähne aus. Klaus-Dieter Fischer war es letztlich, der Sie in letzter Sekunde davon überzeugen konnte, sich nicht der Ehrung durch den deutschen Bundespräsidenten zu entziehen. Warum waren Sie so sauer, dass Ihnen selbst die Pokalübergabe kein Lächeln entlocken konnte?

Mario Basler: Es stand ja erst 2:1, da konnte immer was passieren. Und wenn du dann theoretisch das 2:2 bekommen hättest, kannst du deiner Mannschaft nicht mehr helfen. Das wäre eine Katastrophe gewesen. Wenn du im Endspiel bist, willst du unbedingt den Pokal gewinnen und bis zum Schluss auf dem Platz sein. Darum hat mich das so geärgert. Dazu noch gegen meinen Ex-Verein.

Jawattdenn.de: Wie hätten Sie heute als Trainer reagiert, wenn ein Spieler sich aufregt, weil er ausgewechselt wird?

Mario Basler: Da hätte ich Verständnis für. Wenn man sich nicht ärgert, wenn man ausgewechselt wird, macht irgendjemand was verkehrt.

Jawattdenn.de: Die Situation war damals für ein Pokalfinale ziemlich untypisch. Rot-Weiss war nicht nur Zweitligist, sondern stand schon als Absteiger fest. War die Konstellation ein Thema in der Bremer Mannschaft?

Mario Basler: Nein, für uns war das überhaupt kein Thema. Otto war sowieso immer jemand, der vor allem Angst hatte. Ob du gegen einen höherklassigen Gegner gespielt hast, gegen Bayern oder einen unterklassigen Gegner. Der war immer sehr vorsichtig und hat speziell darauf hingewiesen, niemanden zu unterschätzen.

Jawattdenn.de: Jetzt haben Sie den Trainer schon angesprochen. Otto Rehhagel hat ebenfalls eine Essener Vergangenheit. War der RWE mal Thema zwischen Ihnen beiden, so unmittelbar vor dem Pokalfinale?

Mario Basler: Nein, das spielte vorm Pokalendspiel keine Rolle. Klar, wir haben viele Gemeinsamkeiten. Die erste Profistation in Essen, Bremer Zeiten, Kaiserslautern. Wir waren beide gelernte Maler/Lackierer. Deswegen hat die Chemie zwischen uns beiden so extrem gepasst. Aber das war für uns eigentlich nie ein großes Gesprächsthema.

Jawattdenn.de: Haben Sie denn heute noch Kontakt?

Mario Basler: Ja klar, wir sehen uns sehr oft. Wenn wir mit den Legenden ein Spiel haben, ist er meistens unser Trainer. Deswegen haben wir regelmäßig Kontakt.

Jawattdenn.de: Nach dem Zwangsabstieg waren die Essener Fans extrem sauer auf den DFB, der RWE die Lizenz entzogen hatte…

Mario Basler: Das habe ich ja in meiner Essener Zeit schon selbst miterleben dürfen.

Jawattdenn.de: Genau, das war 1991. Der erste Lizenzentzug der Vereinsgeschichte. 1994 gab es dann beim Pokalfinale seitens der RWE-Fans Proteste gegen die zweite Lizenzverweigerung. Den Fans im Stadion wurden teilweise T-Shirts und Protestbanner abgenommen. Um Schmähgesänge zu übertonen, wurde wohl sogar während der Partie Musik eingespielt. Hat man sowas auf dem Platz mitbekommen?

Mario Basler: Wenn ich jetzt ganz ehrlich bin, habe ich das gar nicht mitgekriegt. Das höre ich jetzt zum ersten Mal. Wenn den Fans T-Shirts oder Banner abgenommen werden, kriegt man das als Spieler natürlich nicht mit, anders als wenn auf den Rängen beispielsweise Bengalos gezündet werden.

Jawattdenn.de: Wie haben Sie die Atmosphäre im Stadion generell aufgenommen? Es waren immerhin rund 30.000 Essener und 30.000 Bremer im Stadion.

Mario Basler: Ja, das ist ja immer Hälfte-Hälfte, was die Fans angeht. Das ist das Schöne! Dadurch hat man in Berlin immer eine tolle Atmosphäre im Pokalendspiel. Meistens werden die Karten ja zu gleichen Anteilen an die Fanlager verteilt. Bayern kriegt da sicherlich mal ein paar Tausend Karten mehr als andere Vereine, aber grundsätzlich ist es immer schön im Pokalfinale. Deswegen will da auch jeder hin! Zum einen ist es der einfachste Weg, um international zu spielen und zum anderen ist es die Atmosphäre. Und ein bisschen Geld gibt es ja auch noch dafür.

Jawattdenn.de: Für Sie war der Gewinn des DFB-Pokals mit Werder Bremen der erste große Titel. Hat dieser eine besondere Bedeutung für Sie?

Mario Basler: Ja, der hat eine besondere Bedeutung. Weil ich sauer war, wie gesagt. Wenn du dir das Bild von der Pokalübergabe anguckst und mich mit Trainingsanzug (Anm. d. Red.: lila-blaue Ballonseide) siehst und den Rest der Mannschaft im Trikot, hat das etwas Besonderes. Aber klar, der erste große Titel ist immer was Besonderes. Das Größte für mich war aber der erste Deutsche Meister-Titel. Dafür spielst du Fußball.

Jawattdenn.de: Die Spieler von RWE haben sich, nachdem die erste Enttäuschung gewichen war, in das Berliner Nachtleben gestürzt. Wie war das beim Pokalsieger? Gab es eine organisierte Festlichkeit oder haben Sie unter Leuten gefeiert?

Mario Basler: Wir hatten erstmal unseren Empfang im Hotel und haben abends noch mit einigen Sponsoren und Fans zusammen gegessen. Ich meine, wir wären dann nachts noch rausgegangen. Da bin ich mir jetzt aber nicht mehr sicher.

Jawattdenn.de: Rot-Weiss Essen war die erste Station Ihrer Profikarriere. Sie kamen für 25.000 DM aus Kaiserslautern, wo Sie zunächst nur auf einen Einsatz in der Bundesliga kamen. Der Kontakt entstand über Hansi Wüst.

Mario Basler: Über Hansi Wüst und Hans-Günter Neues, genau. Die Entscheidung war für mich natürlich relativ einfach. Kaiserslautern wollte mir keinen Profivertrag mehr geben. Ich sollte noch ein Jahr als Vertragsamateur spielen. Hans-Günter Neues, der da noch Trainer war, hatte mich angerufen und gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, nach Essen zu wechseln. Auf einer Raststätte am Moseltal haben wir uns zum ersten Gespräch getroffen. In Essen habe ich dann Hansi Wüst kennengelernt. Ein hervorragender Manager damals. Super lockerer, entspannter Typ. Auch heute noch, wenn wir uns sehen. So kam ich nach Essen. Ich wollte spielen und dort habe ich die Gelegenheit gekriegt.

Jawattdenn.de: Nach dem Lizenzentzug sind Sie dann zur Hertha nach Berlin gewechselt. Wären Sie gerne länger in Essen geblieben?

Mario Basler: Ja, das war schon eine sehr schöne Zeit. Dass der Traditionsverein Rot-Weiss Essen immer noch in der vierten Liga spielt, macht mich schon traurig. Mit diesen Fans, dem tollen Stadion und einem Schnitt von vermutlich 6000-8000 Zuschauern pro Spiel in der Regionalliga. Sehr schade. Es ist zwar so, dass man jedes Jahr versucht vorne mitzuspielen, aber es klappt halt nie. Jetzt ist man wieder Achter oder Sechster, hat 15 oder mehr Punkte Rückstand und keine Chance mehr nach oben. Einfach schade, dass man da in der vierten Liga rumkrebst. Für mich gehören diese Vereine mindestens in die dritte Liga, wenn man den Fanzuspruch sieht. Gerade in so einer großen Stadt, wie sie Essen nun mal ist.

Jawattdenn.de: Sie haben seinerzeit mit vielen RWE-Legenden zusammengespielt: Dirk Pusch, Ralf Regenbogen, Willi Landgraf oder Frank Kurth. Haben Sie mit den ehemaligen Kollegen aus der Zeit noch Kontakt?

Mario Basler: Nein, überhaupt nicht. Schon Ewigkeiten nicht mehr.

Jawattdenn.de: Frank Kurth sagte in einem Jawattdenn-Interview mal, Sie seien auch schon als junger Spieler ein Spaßvogel in der Kabine gewesen. Ist diese extrovertierte Art schon immer Ihr Markenzeichen gewesen?

Mario Basler: Ja. Wenn du deinen Job machst, soll der Job ja auch Spaß machen. Wenn du da immer so bierernst bei bist, wird es irgendwann langweilig und dann macht es auch keinen Spaß mehr. Ich habe viel Blödsinn mit den Jungs in der Kabine gemacht. Der Spaß hat mein Leben immer schon ein bisschen bestimmt.

Jawattdenn.de: In einem anderen Interview haben Sie mal sinngemäß gesagt, dass Sie notfalls zu Fuß zur Hafenstraße laufen würden, wenn RWE Sie als Trainer einstellen würde. Wie kam es dazu? Haben Sie noch eine Verbundenheit zum Verein?

Mario Basler: Nein, eine Verbundenheit habe ich nicht. Natürlich würde man so einen Verein wie Rot-Weiss Essen gerne trainieren, wenn man bei jedem Auswärtsspiel und bei jedem Heimspiel so viele Zuschauer dabeihat. Vor allem, wenn man selbst mal hier, in so einer schönen Stadt, gespielt hat, dann ist das einfach ein Traum, vielleicht auch mal so einen Verein zu trainieren. Leider ist es nie dazu gekommen.

Jawattdenn.de: Ambitionen gibt es aber noch?

Mario Basler: Ambitionen gibt es immer, klar. Wenn es passt.

Jawattdenn.de: Inwieweit verfolgen Sie noch den Werdegang von RWE?

Mario Basler: Ich bin jetzt nicht tagtäglich auf der Homepage, aber man bekommt das schon mit und verfolgt die ganzen ehemaligen Vereine, bei denen man mal gespielt hat. Jedoch nicht in der Intensität, dass ich jetzt jeden Spieler aufzählen könnte, der bei Rot-Weiss Essen spielt.

Jawattdenn.de: Für welchen Verein schlägt denn das Herz? Sie kommen aus der Nähe von Kaiserslautern. Ist das Ihr Herzensverein?

Mario Basler: Ich bin Pfälzer, ja. Aber sonst, muss ich sagen, bin ich jetzt kein Fan. Ich halte zu den Mannschaften, wo ich als Trainer oder Spieler gearbeitet habe. Da guckt man natürlich besonders hin.

Jawattdenn.de: Vielen Dank für das Interview und eine erfolgreiche Show nun, Mario Basler!

Das Interview führte Sebastian Hattermann vor der Show „Basler ballert“ am 17.03.2019 im Ebertbad Oberhausen.

Interview Daouda Bangoura

Das zweite Interview zum DFB-Pokalendspiel-Special konnten wir mit Daouda Bangoura, dem Torschützen zum 1:2-Anschlusstreffer, führen. Daouda erzählt über die Zeit bei RWE und natürlich über das Finale in Berlin.

Daouda Bangoura im RWE-Trikot (www.rwe-autogramme-fm.de)

Jawattdenn.de: Daouda Bangoura, vielen Dank, dass du dir Zeit für ein Interview genommen hast! Obwohl du der einzige Essener Torschütze im legendären Pokalfinale von 1994 warst, ist heute nicht viel über dich bekannt. Wir würden daher gerne ein wenig deinen Lebensweg in den Fokus rücken, bevor wir über das Pokalfinale sprechen.
Du bist 1968 in Conakry, der Hauptstadt des westafrikanischen Guineas, geboren worden, in Zagreb aber zur Schule gegangen. Bist du mit deiner Familie ausgewandert? Welche Erinnerungen hast du noch an Guinea?

Daouda Bangoura: Das ist soweit richtig. Die Erinnerungen an Guinea sind wundervoll. Ich habe dort meine ersten Schritte als Fußballer gemacht. Das sportliche Niveau in Guinea ist natürlich nicht so hoch, wie in Europa, aber ich war glücklich. Als mein Bruder krank wurde – er hatte Kinderlähmung – zog es uns nach Jugoslawien. Meine Mutter ist Kroatin und da meine Eltern meine drei Brüder und mich nicht trennen wollten, verließen wir zusammen das Land. So kam ich als Kind nach Kroatien, wo ich eine private Schule besucht und abgeschlossen habe. Meine Eltern haben mir in meinem Leben so viel gegeben, wie sie konnten und dafür bin ich ihnen dankbar. Ich habe mir im Leben aber auch eine Menge selbst erarbeitet.

Jawattdenn.de: Wie bist du zum Fußball gekommen und wo hat deine Karriere begonnen?

Daouda Bangoura: Ich habe meine Fußballkarriere bei NK Dinamo in Zagreb begonnen. Ich war bei einem Auswahltraining, bei dem über tausend Kinder teilgenommen haben. Nach 10 Minuten Training wurde mir sofort gesagt, dass ich bestanden habe. So wurde ich bei Dinamo als großes Talent betrachtet. Zvonimir Boban, Robert Prosinecki, Zvonimir Soldo, Torhüter Zdenko Miletic, Fabijan Komljenovic und mein Freund Predrag Crnogaj haben mit mir zusammengespielt. Das war bis heute die talentierteste Generation von Dinamo.

Jawattdenn.de: In der Saison 1990/91 hast du im Alter von 22 Jahren für NK Drubrava Zagreb gespielt. Das ist die erste im Internet zu recherchierende Station als Spieler. War das deine erste Profistation?

Daouda Bangoura: Nein, ich war bereits zwei Jahre in Österreich. Zwischenzeitlich stand ich in Dänemark bei Odense BK kurz vor der Vertragsunterzeichnung, wollte aber sehen, wo mein Limit liegt. Bei NK Dubrava habe ich nur eine Saison gespielt. Danach landete ich bei RWE.

Jawattdenn.de: Das war 1991. RWE hatte gerade zum ersten Mal die Lizenz entzogen bekommen hat und den Gang in die Drittklassigkeit antreten müssen. Wie ist der Kontakt damals entstanden? Wer hat dich nach Essen geholt?

Daouda Bangoura: Ich wurde privat über einen deutschen Manager – Karl Amft – nach Essen geholt. Leider gab es später keinen Kontakt mehr zwischen uns, was ich bedaure, da ich ihm für alles sehr dankbar war.

Ich wurde für die erste Mannschaft nach Essen geholt, habe mich jedoch einen Tag vor dem ersten Spiel verletzt. Meine Pause dauerte etwas länger, darum habe ich zuerst für die 2. Mannschaft gespielt, bis ich in Form war. Mein erstes Spiel für die erste Mannschaft habe ich gegen die Stadtrivalen von ETB SW Essen gemacht, wo ich auch gleich meinen ersten Treffer erzielen konnte. Damit begann meine große Liebe zu den RWE-Fans. Sie sind einfach die besten Fans, für die ich je gespielt habe.

Damals war bereits der Krieg in Kroatien ein Thema. Das war eine schwierige Zeit für mich. Spielen und über die Familie nachdenken. Ist alles in Ordnung? Leben sie? Der Horror! Mein Herz tut weh, wenn ich an diese Zeit zurückdenke.

Jawattdenn.de: 1992 gab es die ersten Highlights im RWE-Trikot: Du konntest mit RWE die seinerzeit ausgespielte Amateurmeisterschaft gegen Bad Homburg gewinnen. Wenige Monate später folgte das bis heute letzte Pflichtspiel gegen Schalke. Der sensationelle 2:0 Sieg mit dem legendären Lipinski-Tor. Welche Erinnerungen hast du an die Zeit?

Daouda Bangoura: Ich habe es immer genossen, für RWE zu spielen, egal bei welchem Spiel. Das Publikum, das uns überall hinterhergereist ist, hat mich immer begeistert. Das Pokalspiel gegen Schalke war ein wunderbares Spiel, bei dem wir nicht nur gewonnen, sondern den Gegner über die gesamte Dauer des Spiels dominiert haben. Dass Lipinski beim 2:0 nochmal auf der Linie stehen bleibt, damit war nicht zu rechnen. Es war einfach unser Tag! Und ein trauriger Tag für Schalke 04.

Jawattdenn.de: In der Saison 1993/94 war es ebenfalls der DFB-Pokal, der bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Bocholt und St. Pauli (n.V.) wurden knapp mit 3:2 besiegt. Der Rivale aus Duisburg wurde mit 4:2 nach Hause geschickt, bevor der Sieg im bitterkalten Jena erst durch Elfmeterschießen erzwungen wurde. Das Halbfinale gegen TeBe Berlin wurde mit 2:0 gewonnen. Hast du noch einen besonderen Moment auf dem Weg ins Finale vor Augen?

Daouda Bangoura: In besonderer Erinnerung habe ich den Sieg gegen TeBe Berlin, bei dem ich das erste Tor gemacht habe. Ich schoss bei einem Luftkampf am höchsten nach oben, während alle anderen um mich herum zu Boden fielen.

Jawattdenn.de: Nach dem das Finale erreicht wurde, wurde schnell bekannt, dass RWE erneut die Lizenz verlieren würde und als erster Absteiger feststand. Wie hast du diese Nachricht aufgefasst?

Daouda Bangoura: Das war nicht einfach. Ich musste mich plötzlich umsehen, obwohl ich diesen Verein und seine Fans so sehr liebte. Aber ich war einfach müde von alledem. Ich wollte mehr als meine Mitspieler, die erste Liga war das Ziel. Mit Rot-Weiss Essen, weil wir ein Team dafür hatten.

Jawattdenn.de: Auf dem Feld hatte sich die Mannschaft dennoch nicht aufgegeben und ein riesiges Spiel gegen die mächtigen Bremer im Olympiastadion abgeliefert. Wie hast du das Spiel auf dem Feld wahrgenommen?

Daouda Bangoura: Als Profi ist sowas schwer zu beschreiben. Man ist im Kopf nicht klar. Du denkst nicht darüber nach, was Du als Nächstes tust. Das war auch im Pokalfinale gut zu sehen, weil wir die ersten 45 Minuten nicht ins Spiel gefunden haben. Erst mein Tor hat einigen Spielern die Augen geöffnet. Es hätte anders laufen können. Aber ich möchte jetzt nicht schlau daherreden. Es war ein großer Erfolg und eine tolle Mannschaft.

Jawattdenn.de: In der 55. Minute hast du akrobatisch den Anschlusstreffer erzielt. 30 000 Essener sollen im Stadion gewesen sein. Hörst du den Torschrei noch manchmal?

Daouda Bangoura: Eine unvergessliche Erfahrung! Ein wirklich unbeschreiblicher Freudenschrei. Und selbst in dieser Menge von Fans, habe ich in der Nähe des Zauns meine Brüder gesehen, die extra aus Kroatien kamen, um RWE und mich zu unterstützen.

Jawattdenn.de: Es muss das bedeutendste Tor deiner Karriere gewesen sein, oder? Wie oft hast du es dir bis heute angesehen?

Daouda Bangoura: Natürlich schaue ich es mir immer wieder an und zeige es meiner Tochter und meinem Sohn. Das ist der Punkt, der Essen und mich für immer verbindet.

Jawattdenn.de: Trotz der Niederlage hat das ganze Stadion nach dem Spiel nur eine Mannschaft gefeiert: Rot-Weiss Essen. Wie war die Stimmungslage bei dir?

Daouda Bangoura: Ich war schon enttäuscht, so wie man sich als Fußballspieler fühlt, wenn man kurz davor war, zu gewinnen. Du fängst an, über die Fehler nachzudenken, stellst dir vor, was gewesen wäre, wenn wir gewonnen hätten. Dann hätten wir wirklich Geschichte geschrieben. Das tat mir für uns und die Fans leid. Aber Gott wollte, dass es so ist.

Jawattdenn.de: Wie auch die Fans, hatten auch die Spieler noch eine lange Partynacht in Berlin. Kannst du ein paar Einblicke in die Feierlichkeiten geben?

Daouda Bangoura: Es war ein schönes Fest, aber es war auch allen Spielern anzumerken, dass sie den DFB-Pokal gewinnen wollten. Aber nochmal: Wenn man sich das Geschehene zurückblickend nochmal anschaut, war das wirklich ein großer Erfolg.

Jawattdenn.de: In Essen haben euch tausende RWE-Fans auf dem Kennedyplatz empfangen. Wie lief der Tag nach dem Finale für euch?

Daouda Bangoura: Ich war müde und dachte über das Spiel nach. Als ich sah, wie viele Leute zum Kennedyplatz in die Essener Innenstadt gekommen waren, wurde mir klar, wie stolz wir die Stadt gemacht haben. Das sind schöne Erinnerungen, die ein Leben lang bleiben werden. Vielen Dank an alle, die uns damals so empfangen haben!

Jawattdenn.de: Du bist zur Saison 1994/95 zu TuS Paderborn-Neuhaus gewechselt. Stand der Transfer schon vor dem Pokalfinale fest?

Daouda Bangoura: Der Wechsel stand noch nicht fest, aber viele Vereine hatten ein Auge auf mich geworfen. Ich hatte wirklich gute Angebote bekommen. Ich habe natürlich auch an RWE gedacht, fühlte aber eine Sättigung zwischen RWE und mir. Der Verein hat sich nicht weiterentwickelt. Ich musste einfach gehen.

Jawattdenn.de: Nach zwei Jahren in Paderborn hast du noch zwei Jahre für die SpVgg Erkenschwick gespielt. Wie liefen diese vier Jahre für dich?

Daouda Bangoura: Es war okay, aber ich hatte das Gefühl, es sei vorbei. Ich war deprimiert und hatte private Probleme. Der Wunsch, nach Kroatien zurückzukehren, wurde immer stärker.

Jawattdenn.de: Nach der Saison 1997/98 verliert sich deine Spur. Hast du deine Karriere in Erkenschwick beendet oder gab es noch weitere Stationen als Fußballer?

Daouda Bangoura: Erkenschwick war meine letzte Station. Ich hatte in Kroatien ein Angebot bekommen, meine Karriere fortzusetzen, doch mir wurde klar, dass die Zeit für etwas anderes gekommen war.

Jawattdenn.de: Heute lebst du wieder in Zagreb. War es immer der Plan, nach Kroatien zurückzukehren? Oder was hat dich dorthin zurück verschlagen?

Daouda Bangoura: Ich bin in Zagreb aufgewachsen und habe viele Freunde hier. Wenn man sich einmal Zagreb verliebt hat, kehrt man immer wieder nach Zagreb zurück. So schließt sich der Kreis. Eine der schönsten Städte der Welt. Die Rückkehr nach Zagreb stand also immer auf dem Plan!

Jawattdenn.de: Was machst du heute beruflich? Bist du dem Fußball noch verbunden?

Daouda Bangoura: Natürlich bin ich dem Fußball noch verbunden! Das ist meine größte Liebe. Heute besitze ich eine Sport- und Dienstleistungsfirma, die sich mit Spielertransfers, Kinderförderung durch Fußballschulen und Spielvorbereitung befasst.

Jawattdenn.de: Verfolgst du noch, was bei RWE passiert?

Daouda Bangoura: Aus geschäftlichen Gründen war ich lange nicht an der Hafenstraße. Aber wenn ich Zeit habe, verfolge ich natürlich, was in Essen passiert.

Jawattdenn.de: Hast du noch Kontakt zu Mitspielern aus deiner Zeit bei RWE?

Daouda Bangoura: Natürlich bin ich mit einigen Spielern in Kontakt geblieben. Wir waren in erster Linie immer Freunde und dann erst Teamkollegen.

Jawattdenn.de: Daouda, besten Dank für deine Antworten.

Daouda Bangoura: Ich möchte mich abschließend ebenso von ganzem Herzen für das Interview bedanken. Es freut mich, dass man sich in Essen noch an mich erinnert. Vielen Dank und einen tollen Gruß meine Fans. Ich liebe euch alle!

RWE im Europapokal der Pokalsieger

Was wäre eigentlich, wenn es die drei Bremer Tore nicht gegeben hätte? Was wäre also gewesen, wenn in diesem Finale nur Rot-Weiss Essen durch Daouda Bangoura in jener 50. Minute das Tor getroffen hätte? Richtig, dann wäre das Finale mit 1:0 für uns ausgegangen, iss klar. Gleichbedeutend aber auch mit der Qualifikation für den damaligen Europapokal der Pokalsieger.

Daran hätte uns nicht einmal der DFB hindern können. Ok, es kam jetzt vor 25 Jahren nicht dazu: Wir verloren ja das Finale, die Lizenz war eh schon weg und der Respekt vor dem DFB latent auch nicht mehr vorhanden. Mindestens seit 1971. Trotzdem waren wir an diesem Abend in Berlin gefühlt doch der Sieger!

Grund genug also, uns fünfundzwanzig Jahre später doch noch für den Europapokal der Pokalsieger 1994/95 zu qualifizieren und ihn als Konjunktiv auszuspielen:

Der Jubel über den Pokalsieg gegen den SV Werder war gerade erst verklungen, als allen Verantwortlichen im Verein bewusst wurde, dass man sich ab sofort nicht nur mit der drittklassigen Regionalliga West/Südwest, sondern auch mit dem Europapokal und der dafür anstehenden Auslosung zu beschäftigen hatte. Wer aber sollte sich darum kümmern, bei all den Zwistigkeiten unter den Herren Himmelreich und Arnold? Ein harmonierendes Europapokalfunktionsteam musste also her, um unseren Verein bestens zu vertreten: Die Wahl fiel schnell auf Günter Barchfeld (als einer der wenigen mit Europapokal Erfahrung), Lothar Dohr (spezialisiert auf laute Zwischenrufe) und Detlev Jaritz (Der machte das mit den Fähnchen und Wimpeln). Die drei machten sich also am 15. Juni 1994 auf nach Bern, wo im noblen Hotel Savoy alljährlich die Auslosungen für die verschiedenen Europapokalwettbewerbe durchgeführt wurden. Im Falle des RWE die zur Qualifikation für den eigentlichen Europapokalwettbewerb. Für Günter, Lothar und Detlev ein gutes Omen, bei dem Namen „Bern“ klingelten allen direkt dem Horst seine Glocken. Übrigens die letzte, in Bern stattfindende, Auslosung, war für das kommende Jahr 1995 der Umzug der UEFA in das schweizerische Nyon geplant. Ein gutes Omen also.

Es war der späte Vormittag des 16. Juni, als der Ziehungsleiter der UEFA, Cash Moneypenny, zu den Lostöpfen schritt und die Losfee Kevin Keegan bat, zur Tat zu schreiten. Es ging ganz schnell, denn schon die ersten beiden Namen aus dem Topf zur Qualifikation brachten Rot-Weiss Essen und Tiligul Tiraspol aus Moldawien zusammen. Den drei Essener Vertretern stand zunächst das Fragezeichen auf die Stirn geschrieben: „Tiligul Watt?“ Aber, der Erstkontakt mit den Vertretern von Tiligul konnte weitestgehend alle Fragen klären. Tiraspol hat immerhin 148.917 Einwohner und wurde 1792 gegründet. Eine Stadt also, nur unwesentlich älter als unser RWE. Gespielt wird dort im „Stadionul Municipal“. Auf die zwei Spieltermine konnten sich die Delegationen beider Vereine abends an der Theke schnell einigen. Es gab ein Hin- und ein Rückspiel. Fettich! Ruhrpottpragmatismus eben. Erst später fiel den Dreien auf, dass man ja gar nicht über die Termine verhandelt hatte. Das konnte dann aber fernmündlich doch noch geklärt werden.

Und so betrat Rot-Weiss Essen am 11.08.1994 erstmalig nach dem 12.10.1955 in Edinburgh wieder europäischen Fußballboden. Ein geschichtsträchtiges Datum somit. Das Spiel eher weniger für die Geschichtsbücher, konnte das holprige Geläuf im warmen Tiraspol kaum zu einem hinreissenden Spiel verleiten. Und doch konnte der Drittligist Rot-Weiss Essen einen hart erkämpften 1:0 Erfolg mit zurück an die Hafenstraße nehmen. Die 97a mitgereisten RWE Fans feierten stürmisch ihre Mannschaft und gönnten sich noch ein verlängertes Wochenende am Schwarzen Meer. Jürgen Wegmann sagte anschließend im Anpfiff Interview zu Uli Potofski: „Zuerst hatten wir kein Pech, und dann kam auch noch Glück dazu.“ Der Europapokalauftakt also mehr als gelungen.

Dreizehn Tage später kam es zum Rückspiel an der Essener Hafenstraße. Aus Sicherheitsgründen durfte der RWE nur 1.907 Eintrittskarten verkaufen. Es haperte also ein wenig an europäischem Flair auf den Rängen, dafür aber war das Spielfeld an diesem 24.08.1994 ein Gedicht: Jupp Breitbach hatte Grashalm für Grashalm zu einem wunderschönen Grasteppich wachsen lassen. Reinreden durfte ihm dabei keiner. Wehe wenn…! Das Spiel ein wesentlich besseres als noch im Hinspiel, der 0:1 Rückstand durch Lugilit Lopsarit konnte schnell durch Wolfram Klein egalisiert werden. Adrian Spyrka war es dann, der mit einem Doppelpack zum 3:1 Endstand traf. Welch ein Jubel nach Abpfiff. Helmut Rahn und Willi Lippens lagen sich auf der Tribüne in den Armen und selbst die Kontrahenten Himmelreich und Arnold nickten einander zu.

Nur unser Europapokalfunktionsteam bekam plötzlich richtig Brassel: Es dämmerte den Herren Barchfeld, Dohr und Jaritz, dass es schon wieder nach Bern gehen würde, stand doch die nächste Auslosung vor der Tür. Wenigstens hatte sich der Verein in seinen Strukturen langsam erholt und brachte die Qualifikationsrunde auch die ein oder andere Mark in die sanierungsbedürftige Vereinskasse. Somit wurde ein nagelneuer Neunsitzer angeschafft, mit dem nun relativ bequem am 30.08.1994 nach Bern gefahren wurde. Durch stetige Fahrerwechsel kam man flott voran und wer nicht gerade am Steuer saß, konnte die Zeit anderweitig nutzen: Günter aktualisierte seine Statistik der Anzahl an Berlinern, die er mittlerweile der Geschäftsstelle vermacht hat. Lothar übte verschiedene Tonlagen, um seinen Schreck noch schreck….äh schöner durch das Stadion schallen zu lassen und Detlev bastelte an Ideen für den Fanshop und verwaltete die Reisekasse.

Der nächst Vormittag, wieder im noblen Hotel Savoy. Tag der Auslosung. Geschlafen wurde aus Kostengründen im Neunsitzer, drei Zimmer im Savoy saßen finanziell nicht drin. Ritualisiert begann Cash Moneypenny mit der Auslosung, bevor es zu einem Eklat kam: Losfee heute war „Erwin“. Als unsere drei Essener Jungs das Gelsenkirchener Maskottchen an der Lostrommel stehen sahen, machten sie auf der Stelle kehrt und ließen das Gremium und die UEFA wissen, dass der Gegner dieser ersten Runde nur unter Protest angenommen wird.

Ungefähr eine Stunde später sollte der draußen wartenden RWE Delegation der Erstrundengegner des nun wirklich richtigen Europapokal der Pokalsieger mitgeteilt werden: Der Deutsche Austauschschüler und Praktikant der UEFA, Uwe H. wurde angewiesen, die Essener wieder hineinzubitten. Zudem hatte er sich im Namen der UEFA dafür zu entschuldigen, mit der Wahl von „Erwin“ als Losfee die Gefühle der Essener verletzt zu haben. Das empfand Uwe H. als eine solche Erniedrigung, so dass er sich schwor, eines Tages selbst bei RWE zu arbeiten, um den Bergeborbeckern dann als Akt der Rache von innen heraus zu schaden.

Wie dem auch sei: Der Gegner stand fest, stammt aus Finnland und heißt Helsingin jalkapalloklubi. Kurz: HJK Helsinki. Mehr Europapokal geht nicht, dachte Detlev, während Lothar stumm auf seiner Knifte kaute und dabei sinnierte, was „Schreck vom Niederrhein“ wohl auf finnisch bedeuten könnte. Günter hingegen machte Nägel mit Köpfen, holte die Berliner aus seinem Aktenkoffer und begab sich damit zu der Delegation des HJK. Irgendwann will man ja auch die Dinge geklärt wissen und zurück nach Hause. Schließlich gilt es wie immer dem Training beizuwohnen. Schon nach den ersten Minuten der Unterredung stellte man fest, dass man einander sehr sympathisch fand und es wurde gar euphorisch, als beide Delegationen entdeckten, dass ihre Vereine im Jahre des Fußballgottes 1907 gegründet wurden. Bevor man sich nun in launiger Atmosphäre ganz in den Geschicken seit 1907 verlor, einigte man sich noch auf die Austragungstermine.

Diesmal hatte der RWE zuerst Heimrecht. Und Recht auf volles Heim. Die UEFA hatte eingesehen, dass an der Hafenstraße nur sympathische Fans unterwegs sind und wollte aus möglichen Problemen nun keinen Löwen machen. Zudem waren aus Helsinki nicht unbedingt viele Fans zu erwarte. Somit war das Georg-Melches Stadion an diesem lauen Herbstabend des 13.09.1994 pickepackevoll, die Stimmung ziemlich toll. Was folgte war ein beinhartes Kampfspiel, welches die Kicker aus Helsinki den Ballzauberern aus Essen auferlegten. Leider ließ sich Jürgen Wegmann davon beeinflussen, so dass er einen gegnerischen Spieler mit dem wilden Ruf „Ich Kobra, Du Lappe“ rücksichtslos von hinten zu Fall brachte. Der RWE danach nur noch zu zehnt auf dem Platz. Dumm gelaufen. Durch die nimmermüde Unterstützung von den Rängen biss sich die dezimierte Mannschaft aber durch die neunzig Minuten und kam mit zwei Toren in der Nachspielzeit noch zu einem nicht erwarteten Heimsieg. RWE Tore in Nachspielzeit, das klingt natürlich unglaubwürdig. Aber so war es: Robert Ratkowski zum 1:0 in der 90.+2, und Dirk Helmig mit einem Distanzschuss zum 2:0 Endstand in der 90.+4. Minute!

Mehr als zwei Wochen später hieß es dann „Alle nach Helsinki“: Es waren fast 2.000 Fans des RWE, die dem Aufruf folgten und auf vielen Wegen am 29.09.1994 die Reise nach Finnland antraten. Die 1550 gegründete Stadt Helsinki mit ihren 635.181 Einwohnern ist natürlich keine reine Fußballstadt wie Essen zum Beispiel. Aber eine an Kultur und Natur reiche Schönheit, die manch Fan verzaubern konnte. Abends ging es dann aber von den Sehenswürdigkeiten weg in das eigentliche Ziel der Reise, das 1915 eröffnete Tölen Pallokenttä Stadion hinein. Recht weitläufiges, nach oben hin offenes Stadion, aber mit viel Charme. Das Spiel als solches weniger charmant, gibt das wilde getreten aus dem Hinspiel direkt weiter. Man fühlte sich an das siebte Spiel einer Play Off Serie im Eishockey erinnert. Rolf Töpperwien unterlegte seinen Sport-Reportagen Bericht zum Spiel unter anderem mit dem Satz: „Eine unfaire Art der HJK Spieler, wie ich sie in 23 Berufsjahren außer im Parkstadion noch nie erlebt habe“. Sampo Kotiranta war es schließlich, der in der 53. Minute zum doch verdienten 1:0 des HJK traf. Lange Zeit danach sah es so aus, als würde der RWE hier nun untergehen, aber die Rot-Weissen konnten sich mit Mut und einem überragenden Zoran Zeljko im Tor aus dem finnischen Aufguss befreien und (erneut vor Schluß) ausgleichen. Oliver Grein machte ihn aus kurzer Distanz rein. Da griente der Grein. Fein. Abpfiff. Der RWE in Runde Zwei des Europapokal der Pokalsieger. Als Drittligist. Dem DFB war das in seinen Publikationen und Veröffentlichungen immer noch keine Notiz wert. Den RWE Fans in diesem Moment aber egal, sie feierten ihre Mannschaft und purzelten vor Freude in ihrem Block umher. Es wurde eine launige (lange) Rückfahrt und kostete nicht wenige Fans noch in den Folgemonaten Dispo Zinsen, da das Bier in Finnland fast unbezahlbar ist.

Da unsere Freunde Lothar, Günter und Detlev natürlich auch in Helsinki vor Ort waren, ging es für sie diesmal nur kurz zurück nach Essen. Das „Trio Berniale“: Eben noch Fan, und am nächsten Tag schon wieder kommissarischer Funktionär. Man ahnt es, die Drei mussten wieder nach Bern. Die nächste Auslosung stand an, diesmal sehr zeitnah. Durch den sportlichen Erfolg stiegen auch die Einnahmen aus dem Europapokal und dem Europapokalfunktionsteam wurden weiter Erleichterungen zuteil: Für den Neunsitzer gab es nun eine Kühlbox und endlich durfte auch im Berner Savoy selbst übernachtet werden. Am Vormittag des 2.10.1994 erklärte Cash Moneypenny gewohnt hochnäsig die Auslosung für eröffnet und wies Lottofee Vicky Leandros an, die Mannschaften zu ziehen. Mittlerweile hatte ein jeder so seine Wünsche, wo es in der nächsten Runde hingehen sollte: Detlev wollte gegen die Grasshoppers aus Zürich spielen, schließlich kennt man den Weg in die Schweiz schon in- und auswendig. Günter würde gerne gegen Feyenoord Rotterdam gelost werden, weil nicht so weit weg von Frau und Zuhause. Lothar würde gerne gegen Sampdoria Genua spielen, da man ihm von der einzigartigen Akustik im Stadio Luigi Ferraris berichtet hat. So hingen unsere drei Helden im Auditorium sitzend ihren Zweitrundenträumen nach und bekamen fast nicht mit, als das Zettelchen mit dem Namen Rot-Weiss Essen hochgehalten wurde. Aber nur fast, denn reflexartig war die Aufmerksamkeit wieder da und steigerte sich noch, als dem RWE der Name Association de la Jeunesse Auxerroise zugelost wurde. Halleluja, es geht nach Frankreich in das schöne Burgund.

Die drei verabschiedeten sich recht schnell von ihren Wunschgegnern und setzten sich mit der Delegation aus Auxerre zusammen. Zuerst jedoch wurde der Punkt mit den Gastgeschenken abgehakt: Der RWE bringt einige Kisten Stauder mit nach Auxerre und der AJ einige Kartons Chablis Grand Cru Les Preuses. So spielen beide nicht nur gegeneinander, sondern lernen auch Spezialitäten aus der Region kennen. dabei beließen es die Delegationen an diesem Abend in Bern aber und einigten sich flott auf die Ansetzungen: Das Hinspiel findet am 20.10.1994 an der Hafenstraße in Essen statt. Das Rückspiel dann am 3.11.1994 im Stade de l’Abbé-Deschamps der 34.000 Einwohner Stadt Auxerre. Recht schweigsam die Rückfahrt nach Essen, denn im Tagesgeschäft, der Regionalliga West/Südwest, lief es nicht so wie gewünscht. Vielleicht ist die Doppelbelastung Europapokal und Liga für die neuformierte Essener Mannschaft etwas zu viel des Guten. Aber, es ist wie es ist und Essener geben niemals auf. Also wurde die Planung Auxerre mittlerweile gewohnt routiniert in Angriff genommen.

Die Franzosen brachten wie verabredet den guten Burgunder mit an die abermals ausverkaufte Hafenstraße mit. Leider aber auch einen verdammt guten Abend auf dem Feld, was sich in einer 2:0 Halbzeitführung zeigte. Die Wände der Heimkabine müssen gewackelt haben und der Trainer die Mannschaft definitiv erreicht, denn Christian Schreier und Christian Dondera trafen noch zum glücklichen Ausgleich. Aufgrund der Auswärtstorregel ein klarer Vorteil für die AJ Auxerre. Trotzdem wurden die Rot-Weissen Kicker einmal mehr mit Applaus verabschiedet. Ohne viel Hoffnung fuhr der RWE Tross mit 2.500 Fans im Schlepptau gen Auxerre. Und diese Hoffnungslosigkeit spiegelte sich dann an einem tristen Abend Anfang November auf dem Feld wieder: Unser RWE unterlag der AJ Auxerre mit 0:2. Irgendwie alles Scheisse an diesem Abend: Das Wetter, die eigene Leistung, die Unterstützung. Es hat halt nicht sein sollen. Traurig trottete die Mannschaft in die Kabine; etwas sprachlos blieben die Fans in ihrem burgundischen Block zurück. Doch nach einigen Minuten begriffen Fans und Mannschaft, was sie in den letzten Wochen und Monaten geleistet haben und hatten sich noch einmal am Zaun lieb. Es hallten trotzige Gesänge eines Drittligisten in den französischen Himmel, dann war sie vorbei für Rot-Weiss Essen, die Zeit im Europapokal der Pokalsieger 1994/195.

Schön war’s. Nur der RWE!

Autor: Uwe Strootmann

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