Spielbericht
Achterbahn der Gefühle – Rot-Weiss Essen spielt Unentschieden im Erzgebirge
Am Ende konnten sich die RWE-Fans nicht so richtig über einen gewonnenen Punkt freuen, denn die Überlegenheit gegen Erzgebirge Aue war zum Schluss so hoch, dass die Hoffnung groß war, dass der Ball noch irgendwie über die Linie gekommen wäre. Nach dreißig Spielminuten hätte man dies nicht für möglich gehalten, denn Rot-Weiss Essen kam sehr behäbig und spät in dieses Auswärtsspiel hinein, das einige Fragen aufwirft.
Das Personal
Ohrenbetäubend laut war die Soundanlage im Erzgebirgs-Stadion eingestellt und so schrie der Stadionsprecher, als wenn ein Düsenjet abheben würde, die Aufstellung in den Gästeblock. Uwe Koschinat vertraute größtenteils seinem Sieger-Team vom Heimauftritt gegen Hoffenheim. Lediglich Torben Müsel rotierte aus dem Team, da Tom Moustier seine Sperre abgesessen hat und Jannik Hofmann ersetzte den verletzten Michael Kostka. Hier muss gesagt werden, dass die Angst vor einem Qualitätsabfall auf der rechten Abwehrseite durch den Abgang von Julian Eitschberger hoch war, dass die beiden jungen Spieler diesen Abgang aber ziemlich gut kompensieren. Während der Großteil der Mannschaft gefühlt erst zur zweiten Hälfte aus der Kabine kam, stach die Leistung von Hofmann deutlich heraus. Defensiv behielt er – wie schon gegen Rostock – die Oberhand und lieferte in diesem Spiel auch einige gute Impulse nach vorne.
Nach nur 24 Minuten verletzte sich Kapitän Michael Schultz und wurde durch Tobias Kraulich ersetzt. Kraulich spielte souverän und stabilisierte die Abwehrreihe, die zuvor 25 Minuten dem Auer Druck kaum etwas entgegensetzen konnte. Auch die weiteren Einwechslungen brachten gleich Verbesserungen. Nach einer Stunde kamen Marvin Obuz und Torben Müsel. Während sich Obuz für seinen Einsatz kurz drauf mit seinem ersten Saisontreffer bedankte, ordnete Torben Müsel die eigenen Reihen und von da an übte Rot-Weiss erstmals konsequent und konstant Druck auf das Tor der Erzgebirgler aus. Müsel hinterließ schon gegen Hoffenheim und bei vorherigen Einwechslungen einen starken Eindruck. Auf den Mittelfeldspieler in der Form kann man eigentlich genauso wenig verzichten wie auf Kaito Mizuta, der mittlerweile seinen neunten Scorerpunkt im zehnten Spiel sammelte.
Die Pluspunkte
Rot-Weiss Essen spielte eine derart dominante zweite Halbzeit in Aue, dass am Ende überraschte, dass nur ein Tor erzielt werden konnte. Spätestens mit der Hereinnahme von Torben Müsel und Marvin Obuz versuchte das stehend K.O. wirkende Aue, das Unentschieden irgendwie über die Zeit zu retten. Die besten Chancen, um das Spiel zu entscheiden, hatten Ahmet Arslan mit einem strammen Freistoß, den Martin Männel nicht festhalten konnte, und Jannik Hofmann, der mit einem unhaltbaren und präzisen Flachschuss fast den mehr als verdienten Lohn für seine Leistung eingeheimst hätte, aber leider den Pfosten traf.
Nichtsdestotrotz hat RWE die beiden Treffer in Aue sehenswert herausgespielt. Tom Moustier spielte in der ersten Hälfte eine Maßflanke auf den Kopf von Tobias Kraulich, der souverän einnickte. Gerade aufgrund der großen Defensivprobleme erhoffte man sich von dem Tor mehr Sicherheit, musste aber kurz darauf den nächsten Rückschlag verkraften. Noch schöner wurde das zweite Tor herausgespielt. Ahmet Arslan wurde von Torben Müsel über die linke Außenbahn Richtung Tor geschickt. Da ein Abschluss aus zu spitzem Winkel erfolgt wäre, hat Arslan stark den Blick für den zur Hilfe eilenden Kaito Mizuta. Dieser setzte die Flanke direkt auf den freistehenden Marvin Obuz, mit dessen überragender Technik der Abschluss kein Problem war.
Gerade im Vergleich zum letzten Auswärtsspiel in Mannheim griffen die Auswechslungen sofort und bei allen Hereinnahmen sah man sofort eine Besserung im RWE-Spiel. Insgesamt sieht man, dass die Mannschaft zusammensteht und sich auch von Rückschlägen nicht aus der Ruhe bringen lässt. Dies ist erstmal positiv, allerdings wäre es gut, wenn die Rückschläge ein wenig in Grenzen gehalten werden könnten, was uns direkt zur nächsten Rubrik bringt.
Die Knackpunkte
So gut die zweite Halbzeit war, so schwach waren große Teile der ersten Halbzeit. Zunächst ließ sich RWE in der Anfangsphase völlig den Schneid abkaufen. Immer wieder drängten die Erzgebirgler in den Essener Strafraum. Auch das Pressing funktionierte auf der Seite des Gegners und beinahe jeder Ball ging direkt wieder nach Aue, das die nächste Angriffswelle lostrat. Dass es nach dreißig Minuten nur 0:1 stand – es war wieder ein ärgerlicher Abpraller, für den Luca Bazzoli mal so gar nichts konnte – lag vor allen Dingen daran, dass Aue aus dem großen Aufwand wenig zwingende Torchancen erarbeitete und die wenigen wurden vergeben, so verpasste zum Beispiel Maximilian Schmid kurz nach dem ersten Treffer den zweiten, als er frei vor dem Essener Kasten vorbeischoss.
Aber trotz der Essener Lethargie war Rot-Weiss durchaus auch gefährlich. Ahmet Arslan setzte nicht genug Druck vor den Ball, als er diesen überraschend vom weit enteilten Martin Männel erhielt und auch Lucas Brumme hatte zu Beginn eine gute Chance.
Mit der Hereinnahme von Tobias Kraulich kam RWE erstmals ins Spiel und baute selbst Druck auf. Hier merkte man, dass die Abwehr der Sachsen auch nicht sattelfest war, wenn Druck aufgebaut wurde, denn kurz, nachdem Essen die eigene Drangphase begonnen hat, stand es auch schon 1:1. Unerklärlich, warum sich Rot-Weiss sofort wieder in die eigene Hälfte zurückzog und Julian Guttau einlud, mit sehenswertem Abschluss auf 2:1 zu stellen. Die Deckungsarbeit war in dieser Situation indiskutabel. Insgesamt wirkte RWE zu Beginn unerklärlich unsicher und fand diese Sicherheit erst nach dreißig Minuten.
Wurden die passenden Einwechslungen gerade noch gelobt, muss die Frage erlaubt sein, warum zuletzt die Startaufstellung immer so große Probleme hat, ins Spiel zu gelangen. In Mannheim gab es sogleich Gegentore und auch gegen Hoffenheim brauchte RWE erst den eigenen Torerfolg, um eine extreme Unterlegenheit zu beenden. Deswegen werden zwei Personalien durchaus bei den Fans diskutiert. Tobias Kraulich und Torben Müsel stabilisierten das Team beide und zeigten einmal mehr so gute Leistungen, dass man sich schon fragt, warum sie aktuell keine Startelfkandidaten sind. Diese Diskussionen werden durch den ersten Ligatreffer von Marvin Obuz weiter befeuert, denn zu was dieser Spieler imstande ist, weiß man auf Essens Tribünen noch sehr gut.
Über den Tellerrand geschaut – Die Lage der Liga
Die Liga sortiert sich immer weiter und Rot-Weiss Essen ist punktemäßig näher an den oberen als an den unteren Rängen. Im Aufstiegskampf beeindrucken momentan Energie Cottbus und der VfL Osnabrück. Beide spielen einen starken Fußball und werden wohl um die Qualifikation zum Start in der 2. Bundesliga mitspielen. Insbesondere Cottbus hatte man eigentlich in ganz anderen Regionen vermutet und sie zeigten beim 3:2 gegen Aachen einmal mehr, was für einen eleganten Ball sie spielen. Als Hidden Champion gesellt sich wieder einmal Viktoria Köln in die obere Etage hinzu. Nach dem 4:1 über Havelse sind die Domstädter nur zwei Punkte hinter dem Relegationsplatz.
Ebenfalls unvermutet, aber in der anderen Richtung, ist der weitere Absturz der Münchner Löwen anzusiedeln. Nach den Chaostagen der Entlassung von Trainer und sportlicher Leitung musste 1860 sich einmal mehr geschlagen geben. Auch wenn Florian Niederlechner den Ausgleich kurz vor Abpfiff zweimal auf dem Fuß hatte, gewann der SV Wehen Wiesbaden mit 1:0.
Fazit
RWE hat eine ordentliche Punktausbeute und ist mit 16 Punkten erfreulich nah an den Rängen, die man gerne irgendwann anvisieren würde. Dennoch stellt sich keine Euphorie ein und das liegt wahrscheinlich daran, dass man latent das Gefühl hat, dass die Mannschaft nicht ihr volles Potential ausschöpft. Dabei muss ausdrücklich gesagt werden, dass man der Mannschaft nicht die Mentalität absprechen kann, wie sie sich nach so vielen Rückschlägen immer wieder zurückmeldet, spricht eine andere Sprache.
Wenn man aber eine Halbzeit sieht, wie die zweite in Aue, dann weiß man, was möglich wäre, wenn Rot-Weiss Essen solche Leistungen konstant über die ganze Spiellänge abrufen würde. Es sind keine leichten Aufgaben, die auf Uwe Koschinat während der Länderspielpause zukommen. Neben der Analyse dieses Unbehagens drängen, wie bereits beschrieben, mehrere Spieler mit tollen Leistungen in die Startelf, sodass die Moderation der eigenen Entscheidungen bei der Aufstellung ebenfalls nicht leichter wird.
Um den Bericht aber versöhnlich abzuschließen, denn es gab einfach auch viel Gutes zu sehen: Wir sprechen hier von Problemen, die wir in der letzten Hinrunde gerne gehabt hätten. Die Mannschaft soll nach den zahlreichen englischen Wochen an den Knackpunkten arbeiten und die eigenen Stärken beibehalten und dann können in Oberhausen, gegen Köln und in Duisburg schöne Spiele herauskommen.
In diesem Sinne: Nur der RWE!
Hendrik Stürznickel