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2024/2025 – 3. Liga

Alter Wein in neuen Schläuchen oder RWE in neuem Glanz? Kleine Nachlese der Jahreshauptversammlung

Am Dienstag fand die Jahreshauptversammlung von Rot-Weiss Essen statt. Im Mittelpunkt standen dieses Mal die Aufsichtsratswahlen. An dieser Stelle liefert Jawattdenn.de eine Einordnung.

Zum ungewohnten Termin unterhalb der Woche – wegen des Rahmenterminplans entfielen am Jahresende zur Verfügung stehende Wochenenden – präsentierte Rot-Weiss Essen seinen Mitgliedern ungewohnt gute Zahlen. Die Mitglieder waren wegen der Hybrid-Veranstaltung – sowohl online als auch in Präsenz vor Ort konnte man teilnehmen – auch ungewohnt viele. Insgesamt vermeldete RWE 1225 Teilnehmende, wo man in den Vorjahren mit etwa 300 – 400 Personen deutlich geringere Partizipation erfahren hatte. Die Veranstaltung zeigte sich als sehr gut vorbereitet und entsprechend organisiert durchgeführt, etwas anderes konnte man bei Marc-Nicolai Pfeifer und Alexander Rang auch nicht erwarten. Die mit Spannung erwartete Wahl des neuen Aufsichtsrates erbrachte ein Ergebnis der Mitte, denn alle drei aus dem alten AR angetretenen Kandidaten setzten sich durch, sodass von den sechs übrigen Kandidaten nur drei Frischlinge und zusätzlich Fan-Vertreter Lukas Pruschko in das Gremium einzogen. So ganz nebenbei haute man auch noch die Nachricht von der Vertragsverlängerung des seit einem Jahr erfolgreich an der Hafenstraße 97 A arbeitenden Cheftrainers Uwe Koschinat raus. Was bedeutet das für Rot-Weiss Essen?

Für gute Laune sorgten in erster Linie die Finanzen. Sehr gute Zahlen wurden präsentiert, RWE erwirtschaftete in der Spielzeit 24/25 ein veritables Plus und die bei der JHV des Grauens 2023 zutage getretenen Finanzlöcher beunruhigen mittlerweile niemanden mehr ernsthaft. Damit ließ sich die kritische Berichterstattung über schlechte Stimmung im Vereinspersonal geschickt ausmanövrieren. Personalentlassungen seien aufgrund mangelnder Vertrauensbasis unausweichlich gewesen und zeitgleich kam es zu einer signifikanten Erhöhung des Personaletats, erklärte Alexander Rang. Er und Pfeifer werden wissen, dass sie hier Spannungsfelder erzeugen. Der rigide Kurs des Vorstands gefällt nicht ausnahmslos und einige Mitglieder und Medienvertreter empfinden eine gewisse Kühle im Klub. Auf der anderen Seite sei erinnert an die vielen Eindrücke von Unprofessionalität in den Abläufen des Vereins und diverse Indiskretionen in der Vergangenheit. Die Personalfluktuation erinnert ein wenig aus dem Handbuch von McKinsey, aber ein Profifußballverein ist ebenfalls ein Wirtschaftsunternehmen und sportlicher Erfolg benötigt eine entsprechende Vorfinanzierung.

Auf eine, die wichtigste Personalie im Verein, setzt RWE zudem weiterhin und womöglich ist das deswegen auch Symbolpolitik. Mit der Vertragsverlängerung von Trainer Uwe Koschinat gelang dem Vorstand ein besonderer Coup, da diesmal im Vorfeld nichts an die lokale Presselandschaft gelangte. Ebenso wurden Gerüchte ausgehebelt, ein designierter Koschinat-Nachfolger sei schon Dauergast an der Hafenstraße. Was auch immer man von Uwe Koschinat als Trainer und Person hält, die Bilanzen des gebürtigen Koblenzers bei RWE sind überzeugend. So ist Koschinat saisonübergreifend seit genau 38 Ligaspielen Essener Chefcoach und 38 Spiele bedeuten bekanntlich die Anzahl einer kompletten Saison. Die dort erzielten 69 Zähler bei einem Punkteschnitt von 1,82 sind ohne Wenn und Aber die Ausbeute eines Spitzenteams. Mit dieser für viele Vereinsbeobachter überraschend frühen Personalentscheidung stellte RWE die Weichen. Jedenfalls wird es im weiteren Verlauf der Spielzeit keine Unruhe wegen einer nicht geklärten Trainerfrage geben und im sportlichen Bereich kann man sich auf das Wesentliche konzentrieren.

Was macht unser viel diskutierter Aufsichtsrat? Der scheidende Vorsitzende Lothar Oelert gab wieder einmal kaum Einblick in die Arbeit des Gremiums, lobte aber sich, den weiteren alten AR und den Vorstand über den grünen Klee, dass es fast schon unappetitlich wirkte. Selbstkritik, so erschien es einmal mehr, kennt man nicht. Damit ist die Aufarbeitung der Rolle des Aufsichtsrats im Finanzchaos 2022 mit dem Ausscheiden des Großteils der damaligen AR-Mitglieder, neben Oelert scheiden fünf weitere Mitglieder aus, u.a. der langjährige Vorsitzende André Helf, endgültig vom Tisch. Von der sehr guten finanziellen Arbeit des Vorstands und dem sportlichen Rückenwind profitierte letztlich auch der Aufsichtsrat, der sich nicht mehr ganz so viel Kritik ausgesetzt sah.

Der Umbruch im Gremium fällt womöglich sehr viel geringfügiger aus als zu erwarten gewesen ist, da alle drei zur Wahl angetretenen alten Mitglieder wiedergewählt wurden. Hans Henning Schäfer gilt als Mann der Zahlen und war im Nachhinein der einzige bei Rot-Weiss Essen, der die großen Fragezeichen über den finanziellen Zustand des Vereins vor gut zwei Jahren auflösen konnte. Zu seinem Glück hatte er bei der Wahl zum diesmaligen Aufsichtsrat auch keinen Urlaub gebucht wie im Sommer 2023 und konnte vor Ort gewählt werden.

Waldemar Wrobel, der von einigen im Verein wohl noch immer als Essener Aufstiegstrainer tituliert und hofiert werden wird, wenn ein anderer Trainer den Klub bis in die Bundesliga gebracht hat, bringt die sportlichen Netzwerke und Expertisen durch seine Person in den Verein ein, wohl der Hauptgrund für seine Bestätigung im Amt. Jurist Thomas Hermes hat schon viel bei Rot-Weiss Essen erlebt, unter anderem musste er im Sommer 2010 hinter der Haupttribüne des alten Georg-Melches-Stadions verzweifelt wartenden Anhängern die Botschaft der Insolvenz übermitteln. Der ansonsten eher unauffällig wirkende Hermes bleibt dennoch für RWE im AR am Ball und war bei der Wahl sogar hinter Matthias Jablonski Zweiter in der Gunst der Abstimmenden.

Hinzu gesellen sich drei neue Mitglieder aus größeren Unternehmen, Außenseiter wie Frederik Reimann und Sven Böttcher haben es nicht in den Rat geschafft, zudem scheiterte auch Bernd Barutta, der Mann mit DFB-Vergangenheit. Der publikumswirksam mit RWE-Schal auftretende Matthias Jablonski erhielt mit 874 Stimmen das deutlichste Votum. Jablonski ist die direkte Verbindungsperson von RWE-Hauptsponsor IFM und wusste diesen Rückenwind konstruktiv zu nutzen.

Einen guten Ruf in der Essener Wirtschaft besitzt auch der Ex-RWE-Top-Manager Andree Stracke, dem Vernehmen nach war diese Personalie auch für Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen eine wichtige Angelegenheit. Dritter im Bunde ist Marco Assink, als Vertriebsleiter eines der nach eigenen Aussagen weltmarktführenden Unternehmens für technische Gase tätig. Klingt danach, als habe RWE sich viel Wirtschaftskompetenz an Land gezogen. Natürlich betonten auch alle Kandidaten ihre tiefe Verbundenheit zu Rot-Weiss Essen, was mit ziemlicher Sicherheit keine Floskel sein wird.

Ob es eine Neuausrichtung des Aufsichtsrats gibt, bleibt abzuwarten. Wird RWE in neuem Glanz erstrahlen oder wurde nur alter Wein in neuen Schläuchen präsentiert? Für frischen Wind könnte der Fanvertreter Lukas Pruschko sorgen, der aber aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Ultraszene nicht alle Mitglieder (über 100 Nein-Stimmen) überzeugen konnte. Das spricht nicht gegen Pruschko, der mit 38 Jahren auch kein unerfahrenes Greenhorn ist, sondern wie auch sein Vorstellungsvideo offenbarte, einen beachtlichen beruflichen Werdegang aufzuweisen hat. Vielmehr muss man vor allem ihm eine faire Chance geben, die schwierige Nahtstelle zwischen Verein und Fanszene zu bilden. Die Fan- und Förderabteilung, kurz FFA, traut Lukas Pruschko diese Rolle jedenfalls zu und wie bestätigt wurde eine Mehrheit der anderen abstimmenden Mitglieder ebenfalls.

Giftige Zwischentöne dürfen bei einer Jahreshauptversammlung natürlich nicht fehlen. Der Wahlausschussvorsitzende Christian Hülsmann hielt einmal mehr eine mitreißende Rede, arbeitet sich aber dabei zu sehr an der Berichterstattung der lokalen Presse in Person von Martin Herms ab, der monierte, dass vor allem die Videos der zur Wahl stehenden alten AR-Vertreter länger als die Vorgaben des Ausschusses wurden. Nach mehreren Seitenhieben von Hülsmann in Richtung Presse darf man einmal mehr feststellen, dass das Verhältnis der Vereinsvertreter zu den lokalen Medien angespannt bleibt. Vielleicht muss man aber auch nicht über jeden Stock springen, der medial hingehalten wird.

Die Anträge enthielten noch eine für viele RWE-Anhänger wichtige Angelegenheit. Der Vorstand zieht es nach zwei gestellten Anträgen in Betracht, dass der Verein doch der Initiative „Meister müssen aufsteigen“ beitritt. Derart von Harmonie beschwingt sorgten Marc-Nicolai Pfeifer und Alexander Rang am Ende mit einer Animation des Publikums zum Gassenhauer „Von der Ruhr bis an die Elbe…“ für Irritationen unter den offenbar bereits ermüdeten Anwesenden. Vielleicht lädt der Vorstand noch am Samstag zu 15:30 Uhr zum gemeinsamen Warmsingen hinter die Gästetribünen des SC Verl ein, wenn RWE den Verl-Fluch besiegen und auch in dieser Hinsicht neue Zeichen setzten möchte.

In diesem Sinne

NUR DER RWE!

Pascal Druschke & Sven Meyering