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Vorbericht
Die Siebziger sind zurück – RWE trifft im Pokal auf den HSV
Nach der vermeidbaren Auftaktpleite in Halle wartet auf die Bergeborbecker das erste Highlight der noch jungen Saison. Der ehemalige „Dino“ der Bundesliga und Relegationsweltmeister aus Hamburg ist zu Gast, um das ausverkaufte Stadion an der Hafenstraße zum Kochen zu bringen. Der Essener Anhang hofft dabei auf die Sensation, die Favoritenrolle liegt aber klar bei den ambitionierten Hansestädtern.
Dennoch will sich der Drittligist am frühen Sonntagnachmittag nicht verstecken. Rund um die Hafenstraße wissen alle Beteiligten, dass jedes positive Ergebnis sowohl in sportlicher als auch in finanzieller Hinsicht wichtig ist. Sollte sich die Mannschaft gut verkaufen, kann dies ein erster Impuls für eine erfolgreiche Spielzeit sein. Zudem ist es für jeden RWE-Anhänger Balsam auf die geschundene Seele der letzten Jahre, sich mal wieder vor einem sehr attraktiven Gegner zu präsentieren und der Fußballlandschaft zu zeigen, dass mit Essen wieder zu rechnen ist.
Das Personal
Trotz der Niederlage am ersten Spieltag gibt es für Trainer Dabrowski kaum Gründe, das Personal grundlegend zu verändern. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass einige Mannschaftsteile aufgrund von Personalengpässen wenige Alternativen zu bieten haben. Dies gilt vor allem für die Defensive. Vor Torhüter Golz, für den das Spiel gegen seinen ehemaligen Jugendklub ein ganz Besonderes ist, werden Rios Alonso und Bastians mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Innenverteidigung bilden. Neuzugang Manu fällt weiterhin aus. Zudem fehlt auf der linken Seite Celebi, aufgrund seines guten Einstandes in Halle dürfte Brumme den Vorzug vor Voelcke bekommen. Auf der rechten Seite wird wie gewohnt Dauerbrenner Andy Wiegel den rechten Flügel beackern.
Im defensiven Mittelfeld zeigte Zugang Sapina ein starkes Debüt und wird auch gegen den HSV von Beginn an spielen dürfen. Leider offenbarte ausgerechnet Routinier Eisfeld einige Schwächen, aber seine Erfahrung könnte gegen den Aufstiegsfavoriten aus Hamburg eine Trumpfkarte sein. Obuz und Young waren beim Saisonauftakt sehr auffällig und dürfen sich auf den offensiven Außenbahnen Startchancen ausrechnen. Ein Wechselkandidat könnte Torben Müsel sein, der zwar einige Torchancen für sich verbuchen durfte, allerdings im Abschluss Nerven zeigte. Felix Götze konnte nach der Einwechselung einige gute Akzente setzen und bot sich damit für einen Startelfeinsatz an. Doumbouya hat weiterhin in der Sturmspitze die Nase vorn, Berlinski und Vonic werden vermutlich zunächst auf der Bank Platz nehmen.
Der Gegner: Hamburger SV (2. Bundesliga)
Mit dem Hamburger Sportverein gastiert ein sehr großer Name im Stadion an der Hafenstraße. Der HSV hat sechs Deutsche Meisterschaften errungen, 3 DFB-Pokalsiege und sogar zwei Europapokal-Siege. 40 Jahre ist es her, dass die Hanseaten den Europapokal der Landesmeister, den Vorläufer der Champions League, gewannen. 1983 in Athen mit 1:0 gegen Juventus Turin. Überhaupt waren die späten 70er und frühen 80er Jahre die erfolgreichsten der Vereinsgeschichte, auch wenn Uwe Seeler da seine Karriere schon längst beendet hatte. Damals war der HSV ein deutscher und auch europäischer Spitzenklub, mitverantwortlich dafür Kopfball-Ungeheuer Horst Hrubesch, der 1978 von der Ruhr an die Elbe wechselte. Zuvor hatte der „Lange“ in 83 Ligaspielen für Rot-Weiss Essen 80 Tore erzielt.
RWE pendelte damals zwischen Bundes- und zweiter Liga. Die Gegenwart beider Klubs ist zwar nicht schlecht, doch von diesen ganz großen Zeiten sind beide Vereine weit entfernt. Während Gastgeber Rot-Weiss sich derzeit gerade wieder im Profifußball etabliert, starten die Gäste den mittlerweile sechsten Anlauf, aus dem Fußball-Unterhaus der Zweiten Liga wieder in die Bundesliga zurückzukehren. Zuvor galten die Hamburger als der Bundesliga-Dino und gehörten der deutschen Eliteklasse von der Gründung 1963 bis zum Sommer 2018 55 Jahre lang ununterbrochen an.
Dann jedoch hörte die berühmte Bundesliga-Uhr, die in der Heimstätte Volksparkstadion die Dauer der Bundesligazugehörigkeit angezeigt hatte, auf zu schlagen und musste demontiert werden. Christian Titz, der den HSV in fast aussichtloser Situation übernommen hatte, holte als Trainer zwar im Saisonschlussspurt 13 Punkte aus 7 Partien, das jedoch reichte nicht mehr. In den Vorjahren hatte man sich zweimal als Bundesliga-Sechzehnter noch in der Relegation gerettet, nun war der ruhmreiche Klub fällig.
In Hamburg betrachtete man das zunächst als Betriebsunfall und wollte sofort zurückkehren in die höchste Spielklasse. Ähnlich hatte Rot-Weiss Essen im Sommer 2008 über den Sturz in die Viertklassigkeit gedacht. So krass verrechnet wie in Essen, hier waren es 14 Jahre bis zum Wiederaufstieg, hat man sich beim HSV zwar noch nicht, aber bislang fünf erfolglose Anläufe hatte man wohl ebenfalls nicht erwartet. Dabei richtete sich sogar das Relegationsglück gegen die Hamburger. Denn nun nahmen sie schon zweimal als Dritter der Zweiten Liga daran teil, scheiterten jedoch zuletzt zweimal in Folge an Hertha BSC und jüngst am VFB Stuttgart. Dabei schien der HSV am letzten Spieltag der Zweitligarunde bereits direkt aufgestiegen, aber Heidenheim drehte sein Spiel in Regensburg in der 9. Minute der Nachspielzeit und zog noch an den Rothosen vorbei. Deren Anhänger hatten bereits das Spielfeld in Sandhausen geflutet und wähnten sich am Ziel. Erstaunlich in Zeiten von Smartphones.
Beide Spielzeiten liefen unter der Leitung von Cheftrainer Tim Walter. Walter pflegt einen sehr offensiven Spielstil und hat seiner Mannschaft verordnet, jede Situation auf dem Feld spielerisch zu lösen. Das ist mitunter riskant. Wir erinnern uns, der HSV war unter Christian Titz in die zweite Liga abgestiegen und der spätere RWE-Trainer praktizierte auch beim HSV, so wie jetzt auch immer noch in Magdeburg, die Taktik des sehr hochstehenden und in Ballbesitz mitspielenden Torhüters. Das tut Tim Walter zwar nicht mehr, jedoch lässt er seine Abwehr extrem hochstehen und lange Bälle, auch unter gegnerischem Pressing sind verpönt. Risiko im Spielaufbau und konsequentes Ballbesitz-und Angriffsspiel kennt der HSV-Fan somit und häufig ist beste Unterhaltung garantiert, wenn der HSV zum Fußball-Tanztee bittet.
Das Motto „Defense wins Championships“ ist nicht das Motto von Tim Walter. Dabei stellte der HSV im ersten Jahr unter ihm mit 35 Gegentoren in 34 Ligapartien sogar die beste Abwehr der Liga. Doch nachdem das nicht gereicht hatte, wurde das Hamburger Spiel noch risikoreicher, im letzten Jahr stellte der HSV die beste Offensive (70 Tore), aber man schluckte auch satte 45 Gegentore, was gleich 5 Teams besser machten, insbesondere deutlich Heidenheim und Darmstadt, die die direkten Aufstiegsplätze belegten.
Hier fällt es nicht schwer den Schluss zu ziehen, dass ein etwas konservativeres Herangehen im Ergebnissport Fußball den HSV womöglich weitergebracht hätte. Doch Tim Walter bleibt diesem Stil treu. So bislang auch in dieser Saison. Während man in zwei Spielen bereits 7 eigene Treffer erzielt hat, gleich fünf davon im Auftaktmatch gegen Gelsenkirchen (5:3), ließ man hinten auch 5 Gegentore zu, was in Addition des Remis in Karlsruhe (2:2) „nur“ zu 4 Punkten reichte. In der hohen Risikobereitschaft der Gäste liegt eine Chance für RWE. Auch wenn es sich um ein Spiel handelt, in dem Rot-Weiss Essen auf dem Papier keine Chance besitzt.
Mit gut 42 Millionen € beträgt der Marktwert des Kaders des Hamburger SV, allein 6 Millionen entfallen auf den zentralen Mittelfeldspieler Ludovit Reis. Das ist etwas mehr als der gesamte RWE-Kader (5,63 Millionen €). Das heißt natürlich noch nichts. Als Rot-Weiss Essen als Regionalligist CL-Teilnehmer Bayer Leverkusen rauskegelte, waren diese Zahlen noch deutlich krasser. In einem einzelnen Spiel geht eben doch eine ganze Menge. RWE wird sich vor allem damit beschäftigen müssen, wie die Offensivformation des HSV am Toreschießen gehindert werden kann.
Da wären die pfeilschnellen Außenstürmer Jean-Luc Dompé, Ransford-Yeboah Königsdörfer und Bakery Jatta. Viel Erfahrung bringt zudem Levin Öztunali mit und im Sturmzentrum thront Robert Glatzel über allem. Der hoch aufgeschossene Glatzel (1,93 Meter) ist seit geraumer Zeit saisonübergreifend in Topform und kann es mit dem Fuß und dem Kopf. Aktuell hat er bereits 3 Saisontore und einen Assist auf seinem Konto. Und im offensiven Mittelfeld bedient Laszlo Benes seine Vorder- und Nebenleute mit Zuckerpässen und erzielt genauso gerne selber Tore, auch bereits 3 an der Zahl.
Klingt nach Abwehrschlacht für RWE. Es wäre jedoch voraussichtlich ein Fehler, sich vor allem hinten einzuigeln und den HSV nur machen zu lassen. Zwar darf man dann gegen die sehr hoch stehenden Hamburger auf Umschaltsituationen hoffen und hat dann schnelle Spieler wie Obuz oder Young als Waffen. Jedoch wird man dann wahrscheinlich irgendwann von der Dominanz des Zweitligisten erdrückt werden und wird nicht die durchaus vorhandenen Abwehrschwächen der Gäste austesten können. Bei Keeper Daniel Heuer Fernandes und seiner Viererkette, die den Spielaufbau einleiten soll, hat man häufiger den Eindruck, sie würden unter gegnerischem Pressing auch auf der eigenen Torlinie noch einen Doppelpass spielen wollen. Oder müssen, weil Coach Walter eben eine fast dogmatische Vorgabe hierzu gibt.
Irgendwie kommt einem da ein Startelfplatz für Ron Berlinski als designiertem Unruhestifter in den Sinn. Fazit, es wird eine absolute Herkulesaufgabe für RWE, unlösbar ist diese nicht. Zumindest dann, wenn Essen aus den Fehlern des Halle-Spiels gelernt hat. Verteidigt man den gegen den HSV so fahrlässig wie beim Eckstoß zum 0:2 und lässt man sich in Pressingsituationen die Kugel so abjagen wie beim 0:1 wird es eine deutliche Klatsche für die Essener geben. Mit der offensiven „Effizienz“ aus Halle wird man ebenfalls nichts zu bestellen haben und der Pokal wird keine eigenen Gesetze schreiben. Eine Chance wird RWE nur dann haben, wenn man selber Fehler auf ein absolutes Minimum reduzieren und umgekehrt das, was ein klassenhöheres Team hin und wieder mal anbietet, konsequent nutzen können wird.
Fazit und über den Tellerrand geschaut: Die Topduelle der 1. DFB-Pokalrunde
Auch in diesem Jahr hat der DFB-Pokal schon in der ersten Runde einige spannende Begegnungen zu bieten. Bereits an diesem Freitag trifft der ungeliebte Nachbar nördlich von Essen auf die Eintracht aus Braunschweig. Am Samstag geht es weiter mit dem Spätzleduell zwischen Balingen und Stuttgart, gefolgt vom Gastspiel der Bremer Freunde beim rot-weissen Ligakonkurrent Viktoria Köln. Der Pokalsamstag wird abgerundet vom Westschlager zwischen dem Erstligisten VFL Bochum, der zur Arminia nach Bielefeld reisen muss. Das interessanteste Duell am Sonntag findet selbstverständlich in Essen statt, vielleicht ist noch Partie zwischen Lok Leipzig und Eintracht Frankfurt zu nennen. Am Montagabend ist zum Abschluss des Pokalwochenendes noch der 1. FC Köln beim Neu-Zweitligisten VFL Osnabrück gefordert. Meister und Pokalsieger dürfen sich aufgrund des sogenannten „Super-Cups“ noch etwas gedulden, erst am 26.09. müssen die Bayern in Münster spielen. Nach dem Spiel wird dann in der Geschäftsstelle der Preußen der neue Mitgliederstand ermittelt werden müssen. Der Name des letztjährigen DFB-Pokalsiegers ist der Redaktion leider entfallen, aber der müsste um diesen Zeitraum auch irgendwann noch einmal ran.
Auch wenn die rot-weissen Träume recht schnell hochfliegen, dürfte jedem Realisten klar sein, dass hier eine sehr schwere Hürde wartet. An der Hafenstraße sind aber schon einige Drehbücher für Pokalsensationen geschrieben worden, warum sollte dies auch nicht am Sonntag der Fall sein? Der HSV war in der Vergangenheit häufig alles andere als souverän in der ersten Runde, zudem sind die Ambitionen des großen Klubs den Verantwortlichen in Stellingen zuletzt um die Ohren geflogen. Die Spannung ist wieder groß, alles ist bereit für eine Atmosphäre, die Fußballfans sonst nur im Aztekenstadion, Mexiko-City, gewohnt sind.
In diesem Sinne: NUR DER RWE!
Pascal Druschke & Sven Meyering
Spielbericht
Hurra-Fußball ohne Happy End – RWE unterliegt dem HSV mit 3:4 nach Verlängerung
Vor Saisonbeginn hatte man bei Rot-Weiss Essen einen potenziellen Fehlstart mit Niederlagen in Halle und im Pokal gegen den Hamburger SV gefürchtet wie der Teufel das Weihwasser, denn eine frühe Negativstimmung an der Hafenstraße 97 A wäre dann eigentlich vorprogrammiert. Nun hat RWE tatsächlich auch sein zweites Pflichtspiel der Saison verloren. Mit 3:4 war man dem Hamburger SV nach Verlängerung unterlegen. Doch von der Alten West waren nach Spielschluss „Wir sind stolz auf unser Team – Rot-Weiss Essen“ Sprechchöre zu vernehmen. Auch alle anderen Tribünen applaudierten frenetisch. Die Essener Anhänger zeigten das richtige Gespür.
RWE ging erneut leer aus, zeigte jedoch nach einem guten Auftritt in Halle auch gegen den klassenhöheren HSV einen mehr als respektablen Auftritt. Die Elf von Christoph Dabrowski kam nach drei Rückständen dreimal zurück, erzielte durch Torben Müsel, Moussa Doumbouya und Lukas Brumme drei schöne Treffer und hatte den angeschlagenen Boxer HSV danach in den Seilen. Der K.O.-Schlag kam jedoch auf der anderen Seite durch Laszlo Benes. Jawattdenn.de blickt zurück auf einen denkwürdigen Pokalsonntag.
Das Personal
Christoph Dabrowski drehte gegenüber dem Auftritt in Halle an der taktischen Stellschraube. Vor Jakob Golz stabilisierte Dabro seine Abwehr durch drei Innenverteidiger. Neben Felix Bastians und Rios Alonso rückte Felix Götze ein, der den Vorzug vor Thomas Eisfeld erhielt, aber eben auf einer anderen Position. Essen opferte somit einen Mittelfeldspieler, verteidigte im Zentrum aber tatsächlich meistens konsequent. Zumindest solange es gegen den Ball ging. Dazu später mehr.
Wiegel beackerte die rechte Seite, der eigentliche Offensivspezialist Lukas Brumme musste erneut als linker Verteidiger ran, weil Ekin Celebi noch verletzt ist. So begann Rot-Weiss defensiv mit einer Fünferkette. Torben Müsel spielte im Zentrum defensiver als in Halle und bildete im Grunde mit Vinko Sapina eine Doppel-Sechs. Auf den offensiven Flügeln agierten Isi Young rechts und Marvin Obuz links, in der Sturmspitze kam Moussa Doumbouya zum Zug.
Im Laufe des Spiels wechselte RWE fünfmal. Zunächst kam Leo Vonic positionsgetreu für Marvin Obuz (67.) in die Partie. Zehn Minuten vor dem regulären Ende dann ein Doppelwechsel. Essen lag 2:3 zurück und Christoph Dabrowski verwandelte die Fünfer in eine Viererkette. Ron Berlinski kam für Innenverteidiger Rios Alonso und gesellte sich ab nun Moussa Doumbouya in der Spitze zu. Eine Maßnahme, die den Hamburgern sichtlich nicht schmecken sollte. Zudem ersetzte Thomas Eisfeld Torben Müsel im Mittelfeld und sollte 3 Minuten später gemeinsam mit Berlinski die Vorarbeit zu Lukas Brummes 3:3 leisten.
Zeitgleich wechselte HSV-Coach Tim Walter mit Jean-Luc Dompé seinen auffälligsten Angreifer aus und wollte mit Defensivmann Heyer die Führung über die Zeit schaukeln. Auch das schien Essen mehr zu nutzen als dem HSV. In der Extra-Time war Andy Wiegel nach 105 Minuten endgültig so an seine Grenzen gegangen, dass er zur zweiten Hälfte der Verlängerung Eric Voufack wich. Als letzten Joker brachte Dabrowski nach 114 Zeigerumdrehungen den erst 17 Jahre alten Yan Marcos Friessner Montas für den völlig ausgepumpten und von Krämpfen geschüttelten Moussa Doumbouya. Beinahe hätte RWE schon viel früher im Spiel wechseln müssen, nachdem sich Rios Alonso in einem Zweikampf weh getan hatte und humpelte. Kourouma ging bereits nach einer Viertelstunde zum Warm-Up, Alonso spielte dann aber weiter, war möglicherweise aber auch deshalb beim 0:1 nicht völlig auf der Höhe (siehe Knackpunkte).
Die Pluspunkte
Rot-Weiss Essen zeigte einen von ungeheurer Leidenschaft und Intensität geprägten Auftritt, der das Stadion an der Hafenstraße 120 Minuten lang kochen ließ und zeitweise in Ekstase versetzte. Offensiv setzte Essen einige Dinge um, die zuletzt Mangelware waren. Torben Müsels direkt verwandelter Freistoß zum 1:1 brachte endlich einmal Ernte bei Standards ein. Müsel sah die bewusst gelassene Lücke in der Hamburger Mauer, die Keeper Raab eigentlich die freie Sicht ermöglichen sollte, und spielte den Ball mustergültig hindurch. Hamburgs Innenverteidiger Ramos assistierte dabei kräftig und öffnete mit einem Sprung in die falsche Richtung das Loch weiter. Dennoch muss man den Ball auch erst einmal so in die Ecke platzieren, wie Müsel es dann tat. Essens Nummer 26 zeigte überhaupt einen starken Auftritt und wirkt wie verwandelt gegenüber seinen mut- und glücklosen Auftritten in der Vorsaison.
Dem Ausgleich zum 2:2 war ein so mustergültiges und schnelles Umschalten vorausgegangen, wie man es sich nur wünschen kann. Nach der Balleroberung kam der Ball über Young und Brumme zum völlig freien Andy Wiegel auf dem rechten Flügel, der energisch davonzog und Doumbouya, der den goldrichtigen Laufweg wählte, bediente. Moussa belohnte seinen ohnehin starken Auftritt als Wühler und Wandspieler, der den Hamburger Innenverteidigern großes Kopfzerbrechen bereitete, dann mit der Vollendung zu seinem ersten Pflichtspieltreffer für Rot-Weiss. Beim 3:3 spielte Essen erneut einen starken Standard. Während der HSV den Schlaf der Gerechten schlief, führten die kurz zuvor gemeinsam aufs Feld gekommenen Ron Berlinski und Thomas Eisfeld einen Eckstoß kurz aus, Eisfeld flankte brandgefährlich und Brumme lief mit dem unbedingten Willen an die Kugel zu kommen ein und nickte ins lange Eck.
Mit einem weiteren Standard hätte RWE in der Verlängerung den Siegtreffer erzielen können. Eisfeld narrte mit einem klugen Chipball die gesamte Hamburger Abwehr und auf einmal befand sich der eingelaufene Felix Bastians kurz vor dem gegnerischen Tor in Ballbesitz, schloss aber viel zu hektisch und über das Tor ab. Unglaublich war die Essener Moral, jeder der ersten drei Rückstände wurde binnen kurzer Zeit weggesteckt und ausgeglichen. Nach dem 3:3 hatte Rot-Weiss den Moment auf seiner Seite, spielte auf den Sieg und der HSV konnte von Glück sagen, überhaupt in die Verlängerung gekommen zu sein. Selbst nach dem 3:4 eröffnete sich RWE, das auch jetzt die Köpfe nicht hängen ließ, noch einmal eine Gelegenheit durch Sapina, der den Ball am zweiten Pfosten lauernd nicht mehr in die richtige Richtung bekommen konnte.
Was stimmte ansonsten positiv? Der Auftritt von Vinko Sapina war überragend zu nennen. Der Kroate gibt neben starken Zweikampfwerten nicht nur selbst tolle Impulse für das Spiel, sondern seinen Nebenleuten auch Sicherheit. Ein Top-Transfer der Essener. Und so seltsam es sich trotz haarsträubender Schnitzer in der Abwehr auch anhören mag, RWE verteidigte den HSV aus dem Spiel heraus meistens sicher und die zusätzliche Absicherung mit Felix Götze ließ viele der gefährlichen Flanken in die Essener Box eine Beute der Verteidigung werden. Insgesamt war RWE häufig im Spiel darauf bedacht, dieses aktiv mitzugestalten, igelte sich nicht ein und hatte sogar Phasen der Dominanz. Der Gast aus Hamburg kassierte gleich fünf gelbe Kartons, RWE keinen einzigen, auch ein Zeichen, wie sehr Rot-Weiss den hoch favorisierten Hansestädtern zusetzen konnte. Dass alle diese positiven Dinge nicht zur absolut möglichen Pokalsensation reichten, erklären sich dann aus den Knackpunkten des Essener Spiels.
Die Knackpunkte
Im Vorbericht hatten wir angesprochen, dass RWE die eigenen Fehler auf ein Minimum reduzieren müsse, um erfolgreich zu sein. Leider klappte das ganz und gar nicht. Sowohl das 0:1 als auch das 1:2 waren Geschenke mit einer rot-weissen Schleife drum für Bakery Jatta. Nach 37 Minuten spielte Felix Bastians seinen Abwehrkollegen Rios Alonso suboptimal an, denn Alonso musste die Kugel mit dem Rücken zum Gegner annehmen und stand deshalb schlecht zu Jatta. Der witterte seine Chance und trennte Alonso vom Ball. Hamburgs Außenstürmer zog energisch in die Box auf den Kasten von Golz zu, Bastians hätte ihn noch stellen können, bemerkte aber auch Glatzel in seinem Rücken, weswegen Essens Kapitän sich nicht entschließen konnte, voll auf Jatta zu gehen. Dabei wäre Götze noch bei Glatzel gewesen.
Mit so viel Freiheit ausgestattet schloss der HSV-Angreifer dann konsequent ab. Jatta, der die RWE-Anhänger optisch etwas an den früheren Rot-Weiss Angreifer Francis Kioyo erinnerte, sagte nach 54 Zeigerumdrehungen das zweite Mal Dankeschön. RWE kopierte dabei das 0:1 von Halle. Jakob Golz bediente den eigentlich und nicht nur uneigentlich von Gegnern umstellten Felix Bastians an der eigenen Box und wie Thomas Eisfeld an der Saale war es erneut ein erfahrener Routinier, der die Übersicht verlieren sollte und sich die Kugel tödlich abluchsen ließ. Überflüssiger geht nicht. Auch bei den Gegentreffern drei und vier stand Essen irgendwie Pate. Der Eckball vor dem 2:2 war vermeidbar. Man hätte den Ball auch zum Einwurf klären können. Als Sapina das Leder rausgeköpft hatte, rückte man nicht geschlossen raus, der Nachschuss aus der zweiten Reihe prallte Andy Wiegel vor den Oberschenkel, den Abpraller verwertete Glatzel in Mittelstürmermanier. Wieder kein herausgespielter Treffer des HSV.
Dann das 3:4. Ausgerechnet dem gebürtigen Hamburger und lange Jahre in der HSV-Jugend tätigem Jakob Golz unterlief ein für ihn sehr seltener Patzer. Der Schuss von Benes fiel nicht unter die „Kategorie Unhaltbar“, doch Golz rutschte das Leder über die Handschuhe ins Netz. Bitter. Wegen des noch nicht tadellos zu nennenden neuen Rasens konnte sich Golz beim Absprung womöglich nicht so wegdrücken, wie es wünschenswert gewesen wäre und bekam keinen Druck hinter den Ball. Somit hatte RWE an zwei Gegentoren einen sehr gehörigen und an den zwei weiteren ebenfalls einen Anteil.
Ansonsten riss der HSV Essens Deckung nicht sonderlich häufig auseinander. Zweimal hatte man Alu-Glück, als Glatzel eine Flanke des von Wiegel kaum zu stoppenden Dompé ans Lattenkreuz setzte und später ebenso Jatta, als Rot-Weiss bei einer kurzen Ecke geträumt und eine gefährliche Hereingabe zugelassen hatte. Umgekehrt deckte Essen auch etliche Schwächen in der Hamburger Defensive auf und hätte weitere Treffer erzielen können, wenn nicht müssen. Sekunden vor Ablauf der regulären Spielzeit strebte Isi Young auf Rechts dem Kasten der Hamburger entgegen, ein Querpass auf den einlaufenden Berlinski wäre die beste Lösung gewesen, Young wählte dann aber eine uneffektive Mixtur aus Torschuss und unpräzisem Zuspiel, die Hamburg am Leben erhielt und den Lucky Punch für RWE verhinderte. In der Verlängerung hätte Bastians seine zuvor wenig glückliche Rolle im Spiel umkehren können, jedoch ließ er nach einem Eisfeld Freistoß eine XXL-Chance ungenutzt. Auch Leo Vonic hatte nach Kopfballverlängerung von Berlinski viel Grün links in der Box vor sich, schoss aber HSV-Keeper Raab zu unplatziert in die auffangbereiten Arme.
Die Aufreger
Schiedsrichter Felix Zwayer hatte eine sehr großzügige Regelauslegung und ließ viel laufen, manchmal bekam man den Eindruck, den Hamburgern würde er dabei noch etwas mehr durchgehen lassen als den Essenern. Allerdings konnte RWE von Glück sagen, dass Zwayer einen Ellbogeneinsatz von Doumbouya gegen seinen Gegenspieler Ramos nicht als Tätlichkeit auslegte. Ansonsten wirkte der Bundesligaschiedsrichter angenehm unaufgeregt und machte in seiner Spielleitung keine nennenswerten Fehler.
Etwas ärgerlich aus Essener Sicht fiel am Ende des Tages die TV-Berichterstattung aus. Die Krönung war, dass das ZDF RWE noch immer in der Regionalliga wähnte. Unabhängig von Kanal und Sender waren aber alle TV-Anstalten offenbar darum bemüht, jede Einschussgelegenheit des HSV zu präsentieren, während Essener Großchancen in der Verlängerung unterschlagen wurden, sodass sich ein schiefes Bild des wirklichen Geschehens auf dem Rasen ergab, bei dem der HSV am Ende alles, aber nicht dominant war.
Fazit und Blick auf die nächste Aufgabe
Rot-Weiss Essen hat in Sachen Energie, Leidenschaft und auch in fußballerischer Hinsicht eines der besten Spiele der letzten Jahre abgeliefert. Gepaart mit den leider auch grausamsten Abwehrböcken der letzten Jahre reichte das dennoch nicht zur Pokalsensation. Das ist maximal ärgerlich, denn der Hamburger SV, der die in unserem Vorbericht antizipierten Defensivschwächen tatsächlich auch offenbarte, war absolut schlagbar. So holte sich RWE leider nicht das gewünschte Happy End und auch nicht die satte Siegprämie von gut 400 K, die der DFB für das Erreichen der zweiten Hauptrunde ausgelobt hatte.
Das schmälert natürlich auch Essens Aussichten, die immer noch gewünschten Verstärkungen für Abwehr und Angriff an Land zu ziehen. Am kommenden Wochenende empfängt Rot-Weiss dann am späten Sonntagabend (19:30 Uhr) den FC Erzgebirge Aue zum Liga-Heimdebut. Allen sollte klar sein, dass im Ergebnissport Fußball dann unter dem Strich etwas Zählbares herausspringen muss, damit der zarte Funke der Eintracht, der trotz sportlichem Fehlstarts in die Saison zwischen Fans und Verein festzustellen ist, weiter glüht und bestenfalls zum Flächenbrand ausgeweitet werden kann, wenn all die feststellbaren positiven Dinge Resultate erzielen. Hurra-Fußball ist prima, Gewinnen aber geiler.
NUR DER RWE!
Sven Meyering