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WM 2002 Kamerun – Deutschland

Das letzte Vorrundenspiel:

Im letzten Gruppenspiel war manchmal nur Schaulaufen für die deutsche Elf angesagt, weil man bereits für die nächste Runde qualifiziert gewesen war. Bei nicht gerade wenigen Endrunden ging es aber am Ende der ersten Gruppenphase noch um die sprichwörtliche Wurst. Selbst bei der WM 2014 in Brasilien musste der spätere Weltmeister im letzten Gruppenspiel gegen die USA um den Achtelfinaleinzug bangen. Das Wunder von Bern 1954 wurde nur möglich, weil die Herberger-Elf aufgrund des seltsamen Turniermodus ein Entscheidungsspiel gegen die Türkei bestreiten musste und gewann. Das starke Turnier, das Deutschland 2010 bei der WM in Südafrika spielte, hing vor der letzten Begegnung mit Ghana noch am seidenen Faden. Auch bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea vor 20 Jahren war es eng bis zum Schluss der Vorrunde. Die deutsche Mannschaft stand bei einem von der Öffentlichkeit nicht sonderlich heiß geliebtem Turnier vor einer schwierigen Schlussaufgabe, konnte aber am Ende die unzähmbaren Löwen aus Kamerun besiegen.Ein Remis hätte schon gereicht, als die deutsche Elf noch vor der Pause in Unterzahl geriet, wurde es aber hochdramatisch.

WM 2002 in Japan und Südkorea

11.06.2002 in Shizuoka, Shizuoka Stadium Ecopa (Zuschauer 47.085), Anstoß 13:30 Uhr (MEZ), Schiedsrichter Antonio Jesus Lopez Nieto (Spanien)

Kamerun – Deutschland 0:2 (0:0)

Aufstellungen:

Kamerun:

Boukar – Geremi, Song (C), Kalla, Tchato (53. Suffo), Wome – Foe, Lauren, Olembé (64. Komé) – Eto‘o, Mboma (80.Job)

Trainer: Winfried Schäfer

Deutschland:

Kahn (C) – Ziege, Ramelow, Metzelder, Linke, Frings – Hamann, Ballack, Schneider (80. Jeremies) – Klose (84. Neuville), Jancker (46. Bode)

Trainer: Rudi Völler

Tore:

0:1 Bode (50.), 0:2 Klose (79.)

Kartenfestival in Shizuoka – Deutschland löst in unbarmherzigen Fight das Ticket zum Achtelfinale und besiegt Kameruns unzähmbare Löwen mit 2:0!

Was für ein Kampf, was für eine Erleichterung! Die Mannschaft von Rudi Völler besiegte den Afrikameister Kamerun und damit auch die Albträume vom Ausscheiden bei der Vorrunde einer WM. Das hätte das schlechteste Abschneiden seit 1938 bedeutet. Deutschland wankte, wackelte, aber fiel nicht. Am Ende zeigte die DFB-Elf eine insgesamt reife Leistung, weil sie in den entscheidenden Situationen kühlen Kopf bewahrte. Anders als der spanische Schiedsrichter Lopez Nieto, der unglaubliche 16 Karten zückte. Hier kommt unsere Analyse.

Das Personal und die taktische Ausrichtung

Sowohl Deutschland als auch die vom deutschen Trainer Winnie Schäfer trainierten Kameruner begannen mit sehr vergleichbaren Formationen, d.h. defensiv in einer Fünfer- und bei Ballbesitz mit Dreierkette. Vor Oliver Kahn spielten Christian Ziege und Thorsten Frings auf den defensiven Außen, Metzelder, Ramelow und Linke in der inneren Dreierkette. Während Hamann den defensivsten Part im Mittelfeld übernahm, genossen Ballack und Schneider mehr Freiheiten. Mit der Doppelspitze Klose und Jancker sollte Kamerun vorne geknackt werden.

Nachdem Carsten Ramelow unfreiwillig ab der 40. Minute das Feld räumen musste, weil er von Referee Lopez Nieto die Ampelkarte präsentiert bekam, rettete sich die DFB-Elf zunächst in die Kabine. Völler und Skibbe brachten dann Marco Bode und lösten mit Carsten Janckers Herausnahme die Doppelspitze auf. So wurde nicht lupenrein die Abwehrkette wiederhergestellt, sondern Bode sollte das Mittelfeldspiel kompakter machen und Deutschland spielte nun Viererkette.

Ein Schachzug, der glückte. Bode gelang nicht nur wenige Minuten nach seiner Hereinnahme das immens wichtige 1:0, sondern die deutsche Mannschaft beruhigte nun mit zunehmender Spieldauer die zuvor extrem ruppige und hektische Partie. Die beiden weiteren Wechsel erfolgten, als die Vorentscheidung zugunsten Deutschlands bereits gefallen und auch der Gegner in Unterzahl war. Neuville ersetzte Miro Klose positionsgetreu, Jeremies interpretierte seine Rolle jedoch defensiver als sein Vorgänger Bernd Schneider.

Die Pluspunkte

Die DFB-Elf zeigte Mentalität. Die Partie in Shizuoka hatte von Beginn an wenig mit geordnetem Fußball zu tun, vielmehr wirkte die Partie wie ein wilder Boxkampf, den beide Kontrahenten mit offenem Visier führen sollten. Zunächst beeindruckte die deutsche Elf den Gegner mit offensiven Überfällen, dann durfte sie sich bei Oliver Kahn bedanken. Der Titan zeigte zwei starke Reaktionen und rettete das 0:0. Nach dem Schock des Platzverweises riss das Team sich zusammen und zeigte über weite Strecken des zweiten Abschnitts eine unter diesen Umständen abgeklärt zu nennende Leistung.

Wie in der obigen Kategorie erläutert, führte die Stärkung des Mittelfelds zu erhöhter Ruhe und Spielkontrolle. Der Führungstreffer zum 1:0 war toll herausgespielt. Zumindest von Miro Klose, der den Ball nach einem Stockfehler eines Kameruners erlief und von vier Gegenspielern nicht zu stoppen war.  Klose spielte die Abwehr mit schnellen Wendungen schwindelig, Marco Bode stürmte links heran und bekam den Ball vom deutschen Sturmführer perfekt in die Gasse hinter den Rücken der Abwehr in den Lauf gelegt.

Der Rest war Formsache. Auch das 2:0 war sehenswert. Michael Ballack flankte präzise, nun war Klose selber der Torschütze. Mutterselenallein konnte die deutsche Nummer 11 Schlussmann Boukar fragen, wohin er den Ball haben wollte und per Aufsetzer legte er dann die Kugel ins Tor. Das war die Vorentscheidung. Die Boxer hatten sich nun müde geschlagen, einer den Knockout erlitten.

Die Knackpunkte

Deutschland hätte sich vor allem in Hälfte eins nicht über einen Rückstand beschweren können. Thomas Linke eröffnete Kamerun nach 13 Minuten mit einem unforced Error die Großchance zur Führung, doch Kahn rettete. Es gab weitere Unzulänglichkeiten in der Abwehr, die Kamerun nicht nutzen konnte.

Ramelow wurde unmittelbar nach seiner Verwarnung in den Zweikampf mit Eto‘o gezwungen, weil Schneider den Stürmerstar zuvor nicht stellen konnte, das hatte den Platzverweis zur Folge. In Hälfte Zwei war man defensiv konzentrierter, stand aber auch in Unterzahl generell tiefer, ein bis zwei gute Gelegenheiten bekam der Gegner dennoch.

Die Aufreger

Die Partie war hart, keine Frage. Aber Schiedsrichter Lopez Nieto aus Spanien betrieb ein Kartenspiel der Anti-Extraklasse. Nur 8 Spieler, die bei Anpfiff auf dem Feld standen, hatten am Ende keine Verwarnung erhalten. Insgesamt verteilte er 16 persönliche Strafen, vierzehn Gelbe (die in den Statistiken in den Gelb-Roten Karten aufgehen und als zwölf gewertet werden) und zwei Gelb-Rote Karten. Paritätisch verteilt, jedoch ungleichgewichtig in den Halbzeiten.

Ging die erste Hälfte kartentechnisch mit 6:3 an Deutschland, so holte sich Kamerun Hälfte Zwei mit 5:2 Karten. Der Schiedsrichter lag mit seinen Entscheidungen häufig im Bereich überhart, wie in der Statistik ersichtlich, litt die deutsche Elf in der ersten Hälfte, Kamerun in Hälfte Zwei unter Lopez Nietos Strafenwahn, der auch den Spielfluss zerstörte.

Fazit

Deutschland hat als Gruppensieger das Achtelfinale erreicht. Wie erwartet schlugen die Iren Saudi-Arabien, und zwar mit 3:0, somit sind auch die Boys in Green eine Runde weiter. Für Kamerun bedeutete die Niederlage gegen das DFB Team das Vorrundenaus. Angesichts des irischen Ergebnisses hätte nur ein Sieg weitergeholfen. Gegen wen es für Deutschland im Achtelfinale am kommenden Samstag zur Frühstückszeit gehen wird, entscheidet sich erst morgen bei den Schlusspartien der Gruppe B.

Theoretisch könnte es noch gegen drei Teams gehen, Spanien, Südafrika und Paraguay rangeln noch um die Platzierungen. Das Völler Team wird sich in jedem Fall weiter steigern müssen. Fürs Erste hat die deutsche Elf jedoch ihren Ruf als Turniermannschaft gefestigt und eine kritische Situation gemeistert.

Blick zurück aus der Gegenwart – so lief für Deutschland die WM 2002 in Japan und Südkorea

Die Weltmeisterschaft 2002 in Japan & Südkorea hatte in vielerlei Hinsicht etwas Surreales an sich. Es war die Premiere auf dem asiatischen Kontinent, traditionell keine Fußball-Hochburg. Von daher hagelte es schon damals Kritik, das Turnier sei nur aus Kommerzgründen dorthin vergeben worden. Eine Ausrichtung mit zwei Nationen als Co-Gastgeber hatte es ebenfalls noch nicht gegeben, sodass für die Qualifikation ein Platz weniger zur Verfügung stand.

Das sorgte bei einem Teilnehmerfeld von 32 Nationen aber nicht für eine Qualitätsminderung. Die Europäer haderten vor allem wegen der großen Zeitunterschiede mit dem Austragungsort. Prime Time in Asien ist nun einmal Mittagszeit in Mitteleuropa. Das Achtelfinalspiel der deutschen Mannschaft gegen Paraguay lief sogar bereits zum Frühstück. Um 08.30 Uhr trafen sich beide Teams im südkoreanischen Seogwipo. Fast mit dem Ende der regulären Spielzeit erlöste dabei Oliver Neuville die deutsche Elf mit seinem Siegtor zum 1:0, das die eigenwillige Torwartikone Chilavert im Kasten der Südamerikaner nicht verhindern konnte.

Neuville gelang bei der WM in Deutschland 2006 gegen Polen fast zur selben Spielzeit ebenfalls das spielentscheidende 1:0. Die deutsche Öffentlichkeit nahm den Einzug ins Viertelfinale am Samstagmorgen erfreut zur Kenntnis. Hatten sie ihrer Mannschaft um Trainer Rudi Völler und seinem Assistenten Michael Skibbe doch nicht viel zugetraut.

Eigentlich sollte Christoph Daum bei Deutschland auf der Bank sitzen. Der wollte jedoch erst noch seinen Vertrag bei Bayer Leverkusen erfüllen und dann zum DFB wechseln. Dazu kam es aber nicht mehr. Mit einem Male machten Gerüchte über eine Drogenabhängigkeit Daums öffentlich die Runde, vor allem lanciert durch den damals wie heute streitbaren Uli H. aus M. Daum unterzog sich einem Drogentest, dieser fiel positiv aus, obwohl der Trainer-Guru wie einst Uwe Barschel nach eigenen Angaben zuvor ein absolut reines Gewissen gehabt hatte. Nach diesem tiefen Fall des großen Hoffnungsträgers blieb Rudi Völler Coach der DFB-Elf. Durchaus erfolgreich. In der Qualifikation zur WM gab es aber einen ordentlichen Stolperer.

Deutschland traf auf England und nur der Gruppensieg ermöglichte die Direktqualifikation für Japan & Südkorea. Die DFB-Elf fügte ihrem großen Konkurrenten zunächst einen schweren Schlag zu. Durch ein Freistoß-Tor von Didi Hamann siegten Völlers Mannen mit 1:0 in Wembley, und zwar beim letzten Spiel überhaupt im alten Wembleystadion. Prestigeträchtigster konnte ein Sieg also kaum sein. Die Briten traf der deutsche Erfolg in ihrem nationalen Fußball-Heiligtum schwer.

Erst recht, als die Times einen Wettbewerb für den Namen der Brücke startete, die die Fans zum Neubau des Stadions führen sollte. Vor allem die Deutschen machten sich einen Jux daraus zu voten und stimmten für „Didi-Hamann-Bridge“. Dieser Vorschlag erhielt die meisten Stimmen, wurde aber dann nicht umgesetzt. So demokratisch wollte man dann doch nicht sein.

Im Rückspiel in München gelang den Engländern jedoch ein Jahrhundertsieg, der die vorherige Schmach halbwegs vergessen lassen sollte. Obwohl Deutschland früh in Führung ging, stand es am Ende 5:1 für die Gäste von der Insel. Die mit Abstand höchste Niederlage einer DFB-Elf in einem WM-Qualifikationsspiel überhaupt. In solchen sind deutsche Niederlagen ohnehin selten wie eine blaue Mauritius.

Bis zum heutigen Tage zog Deutschland in allen ausgetragenen WM-Qualifikationen nur schier unglaubliche drei Male den Kürzeren. Übrigens immer Zuhause und zuletzt für die jetzige WM in Katar mit 1:2 gegen den absoluten Underdog Nordmazedonien. Die Premiere war ein 0:1 gegen Portugal im Herbst 1985, Deutschland war für die Endrunde in Mexiko aber bereits qualifiziert gewesen. Dazwischen lag die Demütigung gegen England.

Am letzten Gruppenspieltag spitzte sich die Dramatik noch einmal zu. England hatte Griechenland zu Gast und Deutschland empfing Finnland. Die DFB-Elf kam nicht über ein torloses Remis hinaus. Umso bitterer, als dass auch England erst mit der Schlussminute durch David Beckham ein 2:2 gegen die Griechen rettete und Deutschland die große Chance, auf den letzten Drücker die Tabellenspitze zurück zu erobern und damit die direkte Qualifikation zu sichern, kläglich vergeben hatte.

Es blieben aber noch Play-Off-Spiele gegen die Ukraine. Die hatte ihren Superstar Andre Shevshenko, Deutschland aber zum Glück Michael Ballack. Das Hinspiel in Kiew endete 1:1, die Ukraine ging früh in Front, Ballack egalisierte nach einer guten halben Stunde. Das Rückspiel in Dortmund geriet zu einer ganz klaren Sache für die deutsche Elf, die von den Zuschauern gefeiert bereits nach 15 Minuten den Deckel auf das Spiel gemacht hatte und 3:0 in Front lag. Wiederum traf Ballack, Neuville machte das 2:0 und Marko Rehmer den dritten Treffer.

Kurz nach der Pause war wiederum Ballack zur Stelle, Andre Shevsheno war nur der Ehrentreffer in der Nachspielzeit vorbehalten. Dieser eindrucksvolle Auftritt nährte dann doch die Hoffnung, bei der WM-Endrunde eine vernünftige Rolle spielen zu können. Diese begann mit einem Schützenfest. Die DFB-Elf fegte Saudi-Arabien mit sage und schreibe 8:0 vom Platz, Miroslav Klose schnürte in seinem ersten WM-Spiel einen Dreierpack. Im zweiten Match gegen Irland entriss Robbie Keane fast mit dem Schlusspfiff der DFB-Elf die Führung, für die erneut Klose gesorgt hatte, und somit auch den Sieg.

Nur deswegen durfte vor der abschließenden Gruppenbegegnung gegen Kamerun noch kräftig gezittert werden. Wie schon verraten, zog Deutschland nicht nur ins Achtelfinale ein, sondern bestritt auch dieses siegreich. Das Viertelfinale gegen die USA wurde dann zur Qual. Die US-Boys diktierten das Spiel die meiste Zeit über. Doch Deutschland schoss das einzige Tor. Das war natürlich Michael Ballack vorbehalten, der kurz vor der Pause das Tor des Tages per Kopf markierte.

Deutschland stand in der Runde der letzten Vier und viele andere große Fußballnationen waren schon längst Zuhause. Damit sind wir bei einem weiteren surreal anmutenden Fakt dieser WM. Dem sehr frühzeitigen Favoritensterben. Titelverteidiger Frankreich ging bereits in der Vorrunde baden, ebenso mit Argentinien eine weitere Fußball-Großmacht, auch Portugal kam nicht in die Runde der letzten 16 Nationen.

Wohl aber beide Co-Gastgeber, deren Wege sich dann jedoch trennten. Japan unterlag dem großen Überraschungsteam des Turniers, der Türkei mit 0:1. Südkorea hingegen wurde zum anderen großen Underdog, der Berge versetzte. Im Achtelfinale schlugen die von Gus Hiddink trainierten Südkoreaner Italien mit 2:1 per Golden Goal, im Viertelfinale warfen sie dann die Spanier im Elfmeterschießen raus. So traf Südkorea am 25.06.2002 in seiner Hauptstadt Seoul auf Deutschland. In der Bundesrepublik war es 13:30, als der Anstoß erfolgte. Ab ca. 15:30 Uhr starteten dann die Autokorsos, denn die DFB-Elf zeigte eine sehr gute Vorstellung und gewann verdient.

Mit ihrem K.O.-Runden Standardergebnis von 1:0. Das goldene Tor machte, wer sonst, Michael Ballack eine Viertelstunde vor Spielende. Die Auftritte des damals 25 Jahre alten Mittelfeldleaders von Bayer Leverkusen erinnerten an die Rolle von Lothar Matthäus bei der WM 1990. Ballack war aber nicht nur Matchwinner, sondern auch die große tragische Figur des Halbfinales. Wenige Minuten vor seinem Siegtreffer hatte er für ein taktisches Foul, ein Gegenspieler strebte aussichtsreich dem Tor von Oliver Kahn entgegen, vom Schweizer Schiedsrichter Urs Meier die Gelbe Karte gesehen. Es war Ballacks zweite Karte im Turnier, somit war er für das Finale, das Deutschland wider aller Erwartungen tatsächlich erreicht hatte, gesperrt. Somit blieb einem der größten Fußballer, den Deutschland in der ersten Dekade des Millenniums hervorgebracht hatte, ein Finale bei einer Fußball-Weltmeisterschaft verwehrt.

Der Fall Ballack führte zu einem Umdenken bei der FIFA. In Zukunft sollte kein Spieler mehr ein Endspiel verpassen müssen, weil er eine Gelbsperre abbrummen musste. Ab der WM 2006 wurden die Gelben Karten nach dem Viertelfinale gestrichen.

Den Finaleinzug hatte Deutschland neben Michael Ballack aber vor allem den großartigen Leistungen seines Titans im Tor zu verdanken. Oliver Kahn definierte Weltklasse zwischen den Pfosten neu. Vor dem Finale in Yokohama hatte Kahn nur einen einzigen Gegentreffer schlucken müssen und die Gegner teilweise zur Verzweiflung gebracht. Nun aber wartete Gigant Brasilien. Es waren eben nicht alle Topfavoriten ausgeschieden und der größte von allen war noch im Turnier.

Im Halbfinale behielten die Brasilianer gegen die wehrhafte Türkei mit 1:0 die Oberhand und gingen nun favorisiert in das Endspiel, das die zwei auf dem Papier größten Namen zusammenbrachte. Insgesamt 7 Weltmeistertitel und 12 Endspielteilnahmen brachten die beiden Kontrahenten bei Anpfiff zusammen auf die Waage. Es konnte somit im Weltfußball kein größeres Spiel geben, denn erfolgreicher als Brasilien und Deutschland war keine andere Nation bis dato bei Weltmeisterschaften gewesen.

Dennoch war es tatsächlich die erste direkte Begegnung beider Teams bei einer Endrunde. Kaum zu glauben bei den eben genannten Zahlen. Dennoch waren die Rollen klar verteilt. Von Brasilien erwartete niemand etwas anderes als den Titelgewinn. Für die Elf von „Verlegenheitscoach“ Rudi Völler war das Erreichen des Finales eine kleine Sensation, auch wenn Deutschland bekanntlich eine Turniermannschaft ist. Die DFB-Elf verkaufte ihre Haut dann auch sehr teuer.

Deutschland war in der ersten halben Stunde überlegen und auch spielerisch gut drauf, insbesondere Bernd Schneider von Bayer Leverkusen. Brasilien besaß jedoch sehr gute Tor-Möglichkeiten, die die Selecao aber zunächst nicht nutzen konnte. Lange Zeit blieben beide Teams gleichwertig. Dann trieb der Fußball-Gott Schabernack mit dem DFB-Team, als er ausgerechnet dem formidablen Oliver Kahn eine entscheidende Rolle bei der Einleitung der deutschen Niederlage zuschusterte.

Nach 67 Minute führte Didi Hamann zentral vor der deutschen Box das Leder, doch Schiedsrichter Pierluigi Collina, nach Telly Savalas eine der bekanntesten Glatzen der Welt, versperrte Hamann durch unglückliches Stellungsspiel den geraden Laufweg, das kurze Zögern des deutschen Akteurs nutzten die Brasilianer zur Balleroberung. Rivaldo zog von außerhalb des 16er ab, eigentlich kein Problem für Kahn. Doch die deutsche Nummer 1 ließ den Ball aus den Händen und nach vorne gleiten, dort lauerte „Il Fenomeno“ Ronaldo im Stile eines Gerd Müller und staubte zu seinem siebten Turniertreffer ab. So war es ausgerechnet Kahn, der entscheidend patzte.

Im Vorfeld des brasilianischen Führungstreffers war Kahn bei einer umkämpften Strafraumszene ein Gegenspieler auf die Hand gestiegen. Der deutsche Keeper musste getaped werden und viele Beobachter führten seinen spielentscheidenden Fehler später darauf zurück, was rein spekulativ ist. Ähnlich war es 16 Jahre zuvor Toni Schuhmacher im Finale von Mexiko City gegen Argentinien ergangen. Schuhmacher hatte zuvor mit Weltklasseleistungen den Endspieleinzug sichergestellt, patzte dann aber beim ersten Gegentor derbe. 

Wie auch immer, gut 10 Minuten später war es erneut Ronaldo, nun nach einer starken Kombination, der ein Tor erzielte. So stand es 2:0 für den Favoriten und so sollte es dann auch ausgehen. Unter dem Strich war zumindest das Turnier so gerecht entschieden worden. Als Kuriosität darf gelten, dass die deutschen WM-Teilnehmer von Bayer Leverkusen somit ihren vierten Vizetitel der Saison eingefahren hatten, wodurch sich Bayer 04 den nicht ganz ehrhaften Beinamen Vizekusen einfangen sollte. Und das, obwohl zumindest Brasiliens Innenverteidiger Lucio auch für Leverkusen gespielt und seinen persönlichen Titelfluch besiegt hatte.

Zwei Jahres später erlitt Deutschland unter Rudi Völler dann eine schmerzhafte Bauchlandung bei der Europameisterschaft in Portugal. Die wurde am Ende von Griechenland und seinem deutschen Trainer Otto Rehhagel aus Essen gewonnen. Dieser war von nun an „Rehakles“. Dem desillusionierten Rudi Völler folgte Jürgen Klinsmann nach. Dieser hatte ab sofort die Aufgabe, das am Boden liegende Deutschland für die Weltmeisterschaft im eigenen Land wiederaufzubauen und eine schlagkräftige Truppe zu formieren.

Sven Meyering