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2022/2023 – 3. Liga

MSV Duisburg – Rot-Weiss Essen (2:2)

RWE ist in der 3. Liga angekommen. Zwar hat es in Duisburg nur zu einem Punkt gereicht, aber nach 0:2 Rückstand so zurück zu kommen, gibt Selbstvertrauen für die kommenden Spiele. Und die Fans in Rot haben das Wedaustadion gerockt. Fotos, der Spielbericht und ein Kommentar zur An- und Abreise mit dem ÖPNV sind online.

Vorbericht

Große Stimmung auf den Rängen, großer Krampf auf dem Rasen? Vor ausverkauftem Haus wird am Freitagabend um 19:00 Uhr im mittlerweile namentlich verschandelten Wedaustadion erstmals seit 2007 wieder ein Liga-Spiel zwischen Rot-Weiss Essen und dem MSV Duisburg stattfinden – nach den Auftaktniederlagen stehen beide Teams bereits am zweiten Spieltag unter Druck.

Der Auftakt gegen Elversberg ging in die Hose und holte den einen oder anderen rot-weissen Träumer auf den Boden der Tatsachen zurück – dort sind die Duisburger nach zwei fünfzehnten Plätzen in den letzten beiden Spielzeiten schon längst angekommen. Realistisch betrachtet geht es für beide Teams dieses Jahr nur um den Klassenerhalt, doch während in Essen die dritte Liga als langersehntes und endlich erreichtes Ziel wahrgenommen wird, wollte der MSV die Liga nach dem Zweitliga-Abstieg 2019 eigentlich schnell wieder nach oben verlassen und geht nun in seine vierte Saison in Folge, wobei es in der abgelaufenen Spielzeit zwischenzeitlich sogar nach dem Gang in die Regionalliga aussah.

Von daher ist es wenig verwunderlich, dass RWE sowohl ein Vielfaches an Dauerkarten abgesetzt als auch den Gästeblock in Duisburg in 20 Minuten ausverkauft hat. Über die 5000 Gästekarten hinaus werden sich einige Essener über Kontakte auch mit Tribünenkarten eingedeckt haben. Um ein gefühltes Auswärtsspiel zu vermeiden, kauften MSV-Faninitiativen sogar Tickets auf, um diese an bedürftige Duisburger zu verteilen und einen freien Vorverkauf mit noch mehr infiltrierten Essenern zu verhindern, die das Stadion in Rot erstrahlen lassen könnten. Dem Aufruf der Ultras, in Rot zu erscheinen, dürfte ein großer Teil der Anhängerschaft am Freitag Folge leisten – allen Auswärtsfahrern beantwortet der jawattdenn.de-Liga-Guide natürlich sämtliche Fragen zu den gestreiften Eseln und ihrer Heimatstadt.

Dass das Spiel der gefühlten Bundesliga-Kulisse gerecht werden kann, darf bezweifelt werden. Der MSV läuft nach der Niederlage am ersten Spieltag in Osnabrück und den beiden katastrophalen Vorjahren Gefahr, dass bei einer Derby-Niederlage schon früh der Baum brennt und die Negativstimmung der letzten Monate sich wieder gegen das Team richtet.

Das verlorene Niederrheinpokal-Halbfinale in Straelen und die 0:6-Klatsche in der Liga gegen 1860 München liegen erst vier Monate zurück und eine Derby-Niederlage gegen den mit einer Heimklatsche gestarteten Aufsteiger wäre der absolute Super-GAU. Selbstbewusstsein oder Besinnung auf eigene Stärken sucht man auf Seiten der Duisburger vergeblich – die Hoffnung liegt eher darin, dass RWE erneut, wie am ersten Spieltag, mit Slapstick-Einlagen in der Defensive Geschenke verteilt.

Dabei stellten die Duisburger in der abgelaufenen Saison mit 71 Gegentreffern selbst die schlechteste Abwehr der Liga und bauen unter Neu-Trainer Torsten Ziegner auf defensive Stabilität. Nach den vorherigen Stationen FSV Zwickau, Hallescher FC und Würzburger Kickers übernahm der 44-jährige die Zebras zwei Spieltage vor Schluss der Vorsaison und sicherte mit einem 1:0 gegen den SC Freiburg II den Klassenerhalt, ehe beim 1:1 in Verl die Saison mit einem Unentschieden endete.

Beim 0:1 in Osnabrück zum Saisonstart setzte Ziegner auf eine neue Innenverteidigung, bestehend aus den Neuzugängen Sebastian Mai (kam von Absteiger Dynamo Dresden mit der Erfahrung von 15 Zweit- und 134 Drittliga-Spielen) und dem 22-jährigen Marvin Senger, der im Vorjahr fünf Einsätze für den 1. FC Kaiserslautern bestritt. Das Tor hütet seit dieser Saison der erst 21-jährige Vincent Müller, der von der Reserve des PSV Eindhoven zum MSV wechselte – sein Stellvertreter auf der Bank ist mit Lukas Raeder derweil ein alter Bekannter von der Hafenstraße.

Auch in der erfahrenen Achse in Mittelfeld und Angriff befindet sich ein ehemaliger Rot-Weisser: Moritz Stoppelkamp stieg als Jungspund mit RWE aus der dritten Liga ab und läuft nun, anderthalb Jahrzehnte später, als Routinier und Kapitän im offensiven Mittelfeld für den MSV auf, nachdem er zwischenzeitlich mit Hannover und Paderborn sogar insgesamt drei Jahre lang in der Bundesliga spielte. Hinter ihm räumt Marvin Bakalorz Ball und Gegner ab und kommt auf 84 Bundesliga-Spiele sowie 95 Einsätze in Liga 2.

Sturmspitze Aziz Bouhaddouz schaffte es zwar nicht bis in die Bundesliga, lief dafür jedoch satte 185-mal in Liga 2 auf und ist den RWE-Fans noch aus der Regionalliga West bekannt, wo er für Viktoria Köln und die Zweitvertretung von Bayer Leverkusen am Ball war. Auch der restliche Kader ist mit reichlich Profi-Erfahrung gespickt, doch die nominell zu höherem berufene Ansammlung drittligatauglicher Einzelspieler konnte in den letzten zwei Jahren von keinem Trainer (nach Torsten Lieberknechts Entlassung im November 2020 versuchten sich Gino Lettieri in seiner zweiten Amtszeit, Pavel Dotchev sowie Hagen Schmidt erfolglos) zu einer Mannschaft geformt werden.

Einer ähnlich angriffslustigen Truppe wie den torhungrigen Elversbergern wird RWE am Freitag vermutlich nicht begegnen, wahrscheinlich starten die Gastgeber im 4-2-3-1 mit Fokus auf defensiver Stabilität. Dass man insbesondere Isaiah Young möglichst keine großen Freiräume anbietet, dürfte sich auch eine Liga höher rumgesprochen haben und mit der Auftaktniederlage im Gepäck wird man den Essenern kaum ins offene Messer laufen. Die Reaktion von Christoph Dabrowksi auf das ernüchternde 1:5 zum Saisonauftakt ist auch wesentlich schwieriger vorherzusehen, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit einer abwartend defensiven Ausrichtung bei Torsten Ziegner erhöht.

Wählt Dabrowski ebenfalls eine risikoärmere Variante ohne hohes Pressing und flaches Herauskombinieren bei gegnerischem Druck? Oder behält er die Spielweise aus der Vorbereitung bei und vertraut darauf, dass die Mannschaft die Nervosität aus dem Auftaktspiel ablegen und die Vorgaben umsetzen kann? Wer erhält erneut das Vertrauen und wer muss nach dem schwachen Auftritt gegen Elversberg auf die Bank?

Sicher erscheint vor allem der Einsatz von Jakob Golz, der RWE gegen Elversberg sogar vor einer höheren Niederlage bewahrte. Isaiah Young konnte mit seiner Torvorbereitung andeuten, dass er auch eine Liga höher die Gegner zu Slalomstangen degradieren kann und dürfte ebenfalls gesetzt sein. Aus sportlicher Sicht konnte Ron Berlinski im Auftaktspiel mit einem Treffer, einem herausgeholten Elfmeter und unermüdlichem Einsatz in nicht einmal einer Halbzeit überzeugen – sein Startelfeinsatz hängt jedoch in erster Linie davon ab, wie schnell er sich von seiner Schulterverletzung erholt. Alternativ wird für ihn Simon Engelmann beginnen.

In der Mittelfeldzentrale ist Thomas Eisfeld ein Startelfkandidat und könnte Cedric Harenbrock verdrängen. Dass Niklas Tarnat oder Björn Rother auf der Bank landen erscheint eher unwahrscheinlich, obwohl das durchwachsene Debüt des ehemaligen Rostockers gegen Elversberg von Christoph Dabrowski nach 70 Minuten beendet wurde, um einem Ende durch den Schiedsrichter zuvorzukommen.

Die größten Fragezeichen wirft ohnehin die Abwehr auf. Daniel Heber wird als Kapitän trotz des gebrauchten Tags gegen Elversberg in der Innenverteidigung gesetzt sein, ob allerdings erneut Felix Bastians neben ihm beginnt oder zurück auf seine alte Position als linker Verteidiger wechselt, hängt davon ab, ob und wie Dabrowski auf die Patzer von Felix Herzenbruch reagieren wird. Sowohl ein Wechsel in die Innenverteidigung als auch ein Bankplatz wären für „Herze“ denkbar – Moritz Römling ist nach guten Ansätzen in Halbzeit 2 des Elversberg-Spiels (allerdings in offensiverer Rolle) eine Option für die linke Außenverteidigerposition.

Gegenüber muss Sandro Plechaty sich dem Konkurrenzkampf mit Meiko Sponsel stellen, auch hier erscheint ein Wechsel in der Startelf möglich. Die letzte vakante Position bildet das offensive Flügelpendant zu Isaiah Young: Lawrence Ennali hatte gegen Elversberg die Nase vorn, hat jedoch mit Kefkir und Loubongo starke Konkurrenz, die sich gegen den MSV auch Hoffnungen auf die Startelf machen darf.

Wenn auch Dabrowski auf Nummer sicher geht, erscheint ein torarmes Geduldsspiel nicht unwahrscheinlich. Dafür, dass er es tut, spricht die hohe Fehlerquote gegen Elversberg und die daraus resultierende Notwendigkeit einfacher und sicherer Abläufe bei der überwiegend noch nicht drittligaerfahrenen rot-weissen Aufstiegsmannschaft. Andererseits spricht das angeknackste Selbstvertrauen der dauerkriselnden Zebras eventuell auch für die Variante des hohen Pressings, um den vor ausverkauftem Haus unter größerem Druck stehenden Gastgeber früh zu Fehlern zu zwingen und möglichst mit einem frühen Treffer zu schocken – eine Spielidee, die eben auch schnell nach hinten losgehen kann, wie RWE am ersten Spieltag so schmerzlich feststellen musste.

Eine wichtige Lektion des Eröffnungsspiels war, dass das Publikum bedingungslos hinter den rot-weissen Aufstiegshelden inklusive der wenigen Neuzugänge steht. Die Mannschaft kann sich der vollen Unterstützung sicher sein und hat Freitag wesentlich weniger zu verlieren und mehr zu gewinnen als die blauweißen Gastgeber. Nachdem gegen Elversberg alles schief ging, was schiefgehen konnte, wäre es an der Zeit, dass sich das Blatt wendet und RWE zum Ausgleich mit dem nötigen Glück belohnt wird, um etwas zählbares aus Duisburg mitzunehmen – am besten natürlich gleich dreifach.

Nur der RWE!

Spielbericht

Rot-weisse Achterbahnfahrt im Derby: Nach ganz schwachem Beginn holt RWE einen Zwei-Tore-Rückstand auf, verpasst in der Nachspielzeit sogar knapp das Siegtor und geht doch als moralischer Sieger vom Platz.

Christoph Dabrowski vertraute der Startelf vom ersten Spiel erneut.

Mit unveränderter Startelf und leider auch unverändert schlechtem Defensivverhalten sah es zunächst danach aus, als ob RWE auch im zweiten Saisonspiel Lehrgeld zahlen sollte. Christoph Dabrowski überraschte, indem er der kompletten Elversberg-Startelf erneut das Vertrauen schenkte und die Nervosität aus dem Auftaktspiel steckte bei einigen Spielern noch spürbar in den Knochen. Nach zwei Spielen hat RWE nun bereits sieben Gegentreffer auf dem Konto, weil erneut einfache, individuelle Fehler den Gegner förmlich zum Toreschießen einluden.

Eine Slapstick-Kombination von Tarnat und Plechaty führte zum Eckball, den Marvin Bakalorz bereits nach fünf Minuten ins lange Eck köpfen konnte. Einfachste Finten reichten aus, um RWE insbesondere in Halbzeit 1 auf den Flügeln immer wieder im 1-gegen-1 zu überwinden und in Bedrängnis zu bringen, auch wenn die ganz großen Chancen zunächst Mangelware blieben. Jakob Golz hatte kurz vor der Pause dann jedoch Glück, dass sein fallengelassener Ball nicht den Weg ins Tor, sondern knapp daneben fand. Nur fünf Minuten nach Wiederanpfiff konnte Duisburg einen Eisfeld-Freistoß klären und Isaiah Young, der gegen Konter absichern sollte, verschätzte sich zunächst beim Rausrücken, musste dann Stoppelkamp hinterherlaufen und ließ sich von diesem vor dem schönen Schlenzer zum 2:0 an der Strafraumkante verladen.

Simon Engelmann regelt nun in der dritten Liga.

Während in Halbzeit 1 wenig bis nichts funktionierte – außer einem eher zufällig entstandenen Volley-Lattentreffer des aufgerückten Daniel Heber gab es keine nennenswerte Torchance – gingen die Umstellungen und Wechsel in Halbzeit 2 voll auf und stellten den MSV vor große Probleme. Christoph Dabrowksi nahm zur Pause den glücklosen Cedric Harenbrock vom Feld und wechselte Thomas Eisfeld ein. Der Routinier brachte Ordnung ins Mittelfeld und bereitete zudem mit seinem Pass auf Lawrence Ennali nach 70 Minuten den 2:2-Ausgleich vor. Meiko Sponsel (kam zur Halbzeit für Sandro Plechaty) stabilisierte die rechte Abwehrseite und sein eingewechseltes Pendant auf der gegenüberliegenden Seite, Moritz Römling, spielte nach seiner Einwechslung für Felix Herzenbruch nach einer knappen Stunde ganz stark und mit großem Selbstvertrauen auf – beeindruckend vor allem, da beide mit 20 bzw. 21 Jahren zu den jüngsten Spielern auf dem Platz zählten.

Nachdem Simon Engelmann ebenfalls nach einer Stunde für Niklas Tarnat in die Partie kam und Dabrowski erstmals auf die Doppelspitze Berlinski/Engelmann umstellte, lieferten beide gleich in Kooperation den Anschlusstreffer, Simon Engelmanns erstes Tor in Liga 3! Der seit Halbzeit 1 gelb vorbelastete Torschütze Ennali musste zehn Minuten vor dem Ende noch für Oguzhan Kefkir weichen, der in der Nachspielzeit mit einer butterweichen Flanke Felix Bastians fand, dessen Kopfball von MSV-Keeper Vincent Müller mit einer Glanzparade noch von der Linie gekratzt werden konnte.

Lawrence Ennali mit seinem ersten Ligatreffer für den RWE!

Ron Berlinski hechtete zum Nachschuss, traf jedoch nicht den Ball sondern den Kopf eines MSV-Verteidigers. Essens neue Nummer 9 bereitete dem rot-weissen Anhang erneut große Freude und war Gesprächsthema nach Abpfiff: Wer das gesamte Spiel über um jeden Ball kämpft und selbst in der Nachspielzeit noch den Torwart anrennt und an der Außenlinie seinen Gegenspieler umgrätscht, hat an der Hafenstraße das Zeug zum Publikumsliebling! Doch nicht nur für ihn – für die gesamte Mannschaft gab es tosenden Applaus der 5000 mitgereisten Rot-Weissen, die ihre Farben auf den Rängen lautstark und würdig vertraten. RWE kann trotz des schwachen Beginns viel Positives in die englische Woche mitnehmen, denn auch wenn vom oft zitierten „Matchplan“ zu Beginn nicht viel zu sehen war, nahm Christoph Dabrowski die richtigen Veränderungen vor und die Mannschaft erbrachte den Beweis, dass sie in der Liga mithalten kann.

Irgendwo zwischen Erleichterung und Freude. Es war ein spannendes Spiel.

Für die Meidericher hingegen bedeutet das Ergebnis vom Spielverlauf her eine gefühlte Niederlage, noch dazu weil einige Vertreter des Duisburger Lagers vor dem Derby bereits in den (sozialen) Medien durch diverse überhebliche Peinlichkeiten auf sich aufmerksam gemacht hatten. MSV-„Edelfan“ (dem Verfasser dieser Zeilen war der Mann vollkommen unbekannt) Joachim Llambi durfte in den Funke-Blättchen vor dem Spiel seine 4:0-Prognose mit dem Gleichsetzen Rot-Weiss Essens mit Rödinghausen, Bocholt und Düren garnieren. Abgesehen davon, dass das Einheizen des Publikums durch Ballermann-Schlager aus vollaufgedrehten Stadionboxen und peinliches Animieren der wenig sangesfreudigen Sitztribünenbesucher durch ein Maskottchen mehr Dorfclub-Ambiente versprühen, als das gemeine Zebra zu reflektieren imstande ist, darf man gespannt sein, ob Herr Llambi seine Zebras nun auf Augenhöhe mit den genannten Regionalligisten einordnet und wie viele Duisburger beim nächsten Heimspiel gegen die Zweitvertretung des SC Freiburg erneut den Weg ins Stadion finden. Die werden doch wohl nicht alle bloß dagewesen sein, um Rot-Weiss Essen zu sehen? Verstehen könnten wir’s!

Nur der RWE!

Dominik Gsell

Umfeldkommentar

Der Vor- und Nachspielaufreger

Wegen des ausverkauften Hauses an der Wedau wurden die RWE-Fans natürlich aufgefordert, mit Bussen und Bahn zum Derby anzureisen. Doch am Ende des Tages fragte man sich, ob es vor solchen Spielen zu viel verlangt ist, auch von Seiten der Deutschen Bahn irgendeine Form von Orga an den Tag zu legen. Dass die S1 über Duisburg-Schlenk, planmäßige Abfahrt 17:06, bereits mit satter Verspätung um 5 Minuten vor halb Sechs in den Essener Hauptbahnhof einfuhr, war ja fast normal. Was dann folgte jedoch nicht. Wie viele der mindestens 5000 RWE-Fans sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Bahnsteig 7 befanden und nicht mit anderen Zügen, dem Auto oder per Rad unterwegs waren, ist Spekulation. Für eine S-Bahn mit zwei angekoppelten Waggons jedenfalls viel zu viele. Kaum zu glauben aber wahr, um kurz nach 18 Uhr stand der Zug noch immer auf dem Bahnsteig.

Der Grund, der Zugführer weigerte sich wegen des Übergewichts, angeblich war der Zug um 245 % überlastet, die Fahrt anzutreten. Das wurde nicht per Lautsprecherdurchsage bekannt gegeben, sondern erfuhren jeweils nur Einzelne an den Türen durch das Bahnpersonal oder die Polizei. Zwischendurch wechselten einige Fans den Zug, als eine weitere S1 auf dem Nebengleis einfuhr, aber es waren zu wenige, die diese Info bekommen hatten. Fast Slapstick war es, als die Fans aufgefordert wurden, sich besser in der Bahn zu verteilen, um das Gewicht zu verlagern. Das taten sie auch, doch der Zug verharrte weiter dort, wo er stand.

Mittlerweile wurden erboste Diskussionen geführt: klar war, dass die Partie wegen der TV-Liveübertragung pünktlich angepfiffen wird und die Zeit, nach Duisburg zu gelangen, immer kürzer wurde. Die nächste S1 fuhr auf einem anderen Gleis ein, die Polizei überredete einige Anhänger, die Bahn zu wechseln. Mit mittlerweile 50 Minuten Verspätung setzte sich der eigentliche Zug dann endlich in Bewegung, die umgestiegenen RWE-Anhänger erlebten die nächste Farce, denn kaum in die Ausweich-S1 eingestiegen, ertönte eine Lautsprecherdurchsage. Die Fußball-Fans sollten wieder aussteigen und auf einen Sonderzug nach Duisburg-Schlenk warten. Und das um mittlerweile fast 18:15 Uhr. Das überraschte jetzt sogar sichtlich die Polizei und das Bahnpersonal konnte nicht sagen, wann und wo genau dieser Sonderzug fahren würde. Die RWE-Anhänger verzichteten darauf, den Ghost Train zu suchen und blieben an Bord. Zum Glück. Um 18:40 erreichten sie doch noch den ersehnten Haltebahnhof und inklusive Fußmarsch zum und Einlasskontrollen am Stadion verpassten sie nur wenige Minuten des Spiels und versäumten die Duisburger 1:0 Führung.

Damit jedoch nicht genug. Auf dem Rückweg zum Spiel wollte die Polizei dann überfüllte Bahngleise und Züge im Keim Ersticken und regulierte den Zugang zum Bahnhof in Schlenk. Wer um 21:30 Uhr noch weggekommen war, hatte Glück. Denn in Ermangelung eines Entlastungszuges wurden nun knapp 1.000 Essener, andere wurden noch weiter vorne aufgehalten, satte 45 Minuten vor dem Gleisaufgang eingekesselt. Im schummrigen Dämmerlicht unter einer Eisenbahnbrücke und angesichts eines engen Tunnels, durch den später eine große Menschenmasse stürmen sollte, erfassten einen Erinnerungen an ein anderes vor einigen Jahren in Duisburg grandios in den Sand gesetztes Großereignis.

Um 22:25 verkündete ein vermeintlicher Enkel von Hans Dietrich Genscher bei der Duisburger Polizei per Megafon, dass unsere Ausreise aus Duisburg genehmigt worden sei. Überflüssig zu erwähnen, dass der nun einfahrende Zug kurz darauf gefühlt dreimal so viele Menschen beherbergen sollte, wie der Zug, der gut 5 Stunden zuvor in Essen wegen Überfüllung nicht losfahren wollte.

Liebe Deutsche Bahn, an dieser Stelle sei die Frage erlaubt, ob es eigentlich zu viel verlangt ist, sich auf ein seit Wochen feststehendes Event so einzustellen, dass sich ein paar Tausend Menschen nicht komplett veräppelt fühlen müssen? Wie wäre es, einen Entlastungszug einzusetzen, wie wäre es, zusätzliche Waggons anzukoppeln, wie wäre es überhaupt einmal damit, vernünftig und klar zu kommunizieren? Eines sei an dieser Stelle klar gesagt, was die mit dem ÖPNV an diesem Abend reisenden RWE-Anhänger mitmachen durften, ging nicht mehr auf die berühmte Kuhhaut. Dass es bis auf einige Wortgefechte diszipliniert und ruhig blieb, ist lobend herauszustellen. Immerhin entschädigte die RWE-Mannschaft ihre Fans mit einem tollen Schlussspurt für diese unnötigen Strapazen.

Sven Meyering

Fotos by M.R.

Impressionen by Breilmannswiese