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Vorbericht
Matchball in Halle!
Halle an der Saale war vor über hundert Jahren die Heimat des Mathematikers Georg Cantor, der am Institut für Mathematik herausfand, dass auch unendliche Mengen unterschiedlich groß sein können. Für die Erkenntnis, dass unendliche Größen noch übertroffen werden können, hätte Cantor heutzutage ein Blick in die sozialen Medien von Rot-Weiss Essen genügt, wo das Gejammer alle Grenzen des Messbaren sprengt: Zwei Spieltage vor Schluss fährt RWE mit sechs Punkten und neun Toren Vorsprung auf einen Abstiegsplatz zum letzten Auswärtsspiel nach Halle, doch herrscht eine Stimmung vor, als stünde RWE kurz vor dem Sturz in die Regionalliga.
Keine Frage, die Leistung der Mannschaft in der Rückrunde animiert nicht unbedingt zu Jubelstürmen – doch am Samstag kann das Team von Christoph Dabrowski den ersten Klassenerhalt im Profifußball seit 33 (!) Jahren perfekt machen. In der Spielzeit 1989/1990 beendete RWE die 2. Bundesliga ganz entspannt auf dem sechsten Tabellenplatz, nur um in der folgenden Spielzeit abzusteigen und seitdem nach allen vier Zweitliga-Aufstiegen je eine Spielzeit später wieder den Gang in die „Schweineliga“ antreten zu müssen.
Damit Duelle mit kleinen Amateurvereinen wie Bocholt, Oberhausen oder Velbert auch zukünftig auf den Niederrheinpokal beschränkt bleiben, gibt es mehrere Szenarien, die sich heutzutage glücklicherweise berechnen lassen. So wie einst Georg Cantor revolutionierte ein Jahrhundert später ein rot-weisser Pfarrer aus Süddeutschland erneut die Mathematik und führte den jawattdenn.de-Dompfaff-O-Mat ein, der mit komplizierten Formeln die Berechnung von Auf- und Abstiegsszenarien ermöglichte: Bereits am Samstag kann RWE aus eigener Kraft alles klar machen! Bei einem Sieg oder Unentschieden in Halle ist RWE der Klassenerhalt nicht mehr zu nehmen. Im Falle einer rot-weissen Niederlage müssen die abgestiegenen Zwickauer am Sonntag Schützenhilfe in Oldenburg leisten und mindestens einen Punkt holen, um ein Fernduell zwischen Halle, Essen und Oldenburg am letzten Spieltag zu vermeiden, wo RWE dann erneut ein Punkt gegen Verl oder ein Punktverlust der Oldenburger zum Klassenerhalt reichen würde.
Eigentlich Grund genug, dem Matchball am Samstag entgegenzufiebern, doch nachdem der Vorsprung zwischenzeitlich schon mal komfortabler aussah, schleppt sich RWE derzeit mit letzter Kraft der Ziellinie entgegen: Klammert man den für RWE gewerteten Spielabbruch in Zwickau aus, gab es aus den letzten 10 Ligaspielen nur einen Sieg, drei Remis und sechs Niederlagen. Die Form spricht nicht für RWE, vor allem da nach 25 Spieltagen insgesamt erst 7 Niederlagen auf dem Konto standen und diese Zahl sich im Schlussdrittel der Saison nun fast verdoppelt hat.
Vor allem die Ausfälle im Defensivbereich machen Christoph Dabrowski zu schaffen, wie auch die ungewöhnlich hohe Zahl an Gegentoren (18) im angesprochenen Zeitraum belegt. Mit Felix Bastians und Andreas Wiegel fehlen zwei absolute Routiniers im Defensivverbund und da auch Meiko Sponsel und Moritz Römling verletzt passen müssen, stellt sich die Viererkette vor Jakob Golz derzeit fast von selbst auf: Herzenbruch und Rios Alonso werden auch in Halle wahrscheinlich wieder außen von Kefkir und Plechaty eingerahmt – eine Fünferkette mit Mustafa Kourouma als drittem Innenverteidiger erscheint unwahrscheinlich. Hinter Thomas Eisfeld im Mittelfeld steht nach dessen verletzungsbedingter Auswechslung wohl noch ein Fragezeichen, sodass auch eine Doppelsechs aus Björn Rother und Felix Götze denkbar wäre – die offensiven Außenbahnen werden vermutlich wieder mit Young und Ennali besetzt, als Zehner könnte erneut Cedric Harenbrock auflaufen und im Sturm könnte Simon Engelmann den Vorzug von Beginn an vor Ron Berlinski erhalten, der sich gegen 1860 München das Nasenbein gebrochen hat.
Die Gastgeber konnten, seitdem Sreto Ristic am 25. Spieltag die Mannschaft auf dem letzten Tabellenplatz übernahm, das Ruder herumreißen. In den ersten zehn Ligaspielen unter dem neuen Coach bleib der HFC ohne Niederlage und arbeitete sich aus dem Tabellenkeller heraus. Erst in den letzten vier Spielen ebbte das Momentum der Hallenser ab (1 Sieg, 3 Niederlagen). Ein Gesicht des Aufschwungs ist Erich Berko, der fast 150 Zweitliga-Spiele auf dem Buckel hat und nach einem halben Jahr in Israel seit der Winterpause die rechte, offensive Außenbahn des HFC beackert. Sein Pendant auf der linken Seite ist Tom Zimmerschied, der mit 10 Treffern Top-Torschütze der Hallenser ist. Die 7 Tore von Tunay Deniz stellen bereits den zweitbesten Wert des Kaders dar, der Mittelfeldregisseur spielte bereits anderthalb Jahre unter Ristic in Offenbach und ist auch in Halle absoluter Stammspieler. Da der treffsicherste Mittelstürmer der Hallenser mit Dominik Steczyk gerade mal fünf Treffer auf dem Konto hat, spielte Halle zwischenzeitlich mit Jonas Nietfeld im Sturm – der Kapitän kommt auf sechs Treffer, ist aber eigentlich Innenverteidiger und seit der Übernahme von Ristic wieder auf seine angestammte Position zurückgekehrt.
Im Gegensatz zum Hinspiel Mitte Januar (0:0) wird RWE diesmal auf eine Hallenser Mannschaft treffen, die versuchen wird, selbst das Spiel zu machen – über weite Strecken der Saison kam dies der Dabrowski-Elf sehr entgegen, da sich Räume zum Kontern bieten, die von Young und Ennali genutzt werden können. Voraussetzung ist jedoch, dass zunächst einmal die eigene Defensive wieder sicherer steht als zuletzt. Der Druck liegt jedenfalls beim Halleschen FC, der in der Tabelle drei Punkte hinter RWE liegt und demnach auch nur drei Punkte Vorsprung auf die Oldenburger sowie vier Zähler auf den SV Meppen vorweist.
Tausend Karten wurden im Vorverkauf abgesetzt, vierhundert weitere Karten können an der Tageskasse noch erworben werden und der Heimbereich wird zu diesem Abstiegsendspiel ebenfalls gut gefüllt sein. Für alle Auswärtsfahrer stellt RWE zum letzten Mal in dieser Saison alle notwendigen Informationen im Liga-Guide zur Verfügung, mit hoffentlich lautstarker Unterstützung darf RWE sich durchaus etwas ausrechnen und kann am letzten Spieltag den Taschenrechner im Idealfall zuhause lassen, um vor eigenem Publikum schon vor Anpfiff den Klassenerhalt feiern zu dürfen. Dafür braucht es Samstag 90 Minuten Vollgas und mindestens einen Punkt!
Nur der RWE!
Dominik Gsell
Spielbericht
Hoher Aufwand wird nicht belohnt – RWE verliert im direkten Duell um den Klassenerhalt in Halle
Leider wurde nichts aus dem Matchball in Sachsen-Anhalt. Größter Gegner war allerdings nicht der Hallesche FC, sondern wieder einmal die eigenen Probleme. Eine Flut von vergebenen Chancen und zwei Fehler im Abwehrverbund reichen aus, um als Verlierer wieder nach Hause zu fahren.
Die beste Leistung auswärts seit der zweiten Halbzeit in Aue am 26. Spieltag genügen nicht, um den einen benötigen Punkt aus Halle zu entführen. 12.773 Zuschauer im Leuna-Chemie-Stadion sehen nach einer aufwendigen Choreo einen mutigen Gast, der immer wieder zu gefährlichen Abschlüssen kommt. Am Ende jubelt aber der HFC, der mit dem 2:0-Sieg jetzt bessere Karten als der RWE im Abstiegskampf aufgrund der besseren Tordifferenz (-10 statt -13) im Dreikampf mit Oldenburg hat. Dennoch kann am Sonntag noch der Klassenerhalt bei einem Punktverlust von Oldenburg in Wilhelmshaven für Rot-Weiss feststehen, ansonsten muss am letzten Spieltag noch einmal gezittert und der entscheidende Punkt gegen Verl eingefahren werden.
Das Personal
Aufgrund vieler Personalsorgen stellte sich die erste Elf von Trainer Dabrowski nahezu von allein auf. Es gab im Unterschied zum Heimspiel gegen 1860 nur eine einzige Veränderung, da Engelmann für den verletzten Berlinski von Beginn an spielen musste. Leider hielt diese Formation nur zwölf Minuten lang. Rios Alonso musste nach einem Schlag auf dessen Fuß von Halles Gayret vom Platz, für ihn konnte sich Youngster Kourouma auf seiner Stammposition beweisen. Der junge Spieler machte seine Sache gut und vertrat Rios Alonso vorbildlich. Allerdings tut dieser Ausfall der Mannschaft sehr weh, die einst so top eingespielte Verteidigung ist damit einmal komplett ausgetauscht worden. Dies ist bestimmt nicht der einzige, aber auch ein wichtiger Faktor für die Probleme in den letzten Wochen.
In der zweiten Halbzeit wird kurz vor dem zweiten Gegentreffer Eisfeld durch Müsel ersetzt. Kurz vor Schluss durften dann noch Rother für Götze und Holzweiler für Young das Spiel beenden.
Die Pluspunkte
Im Gegensatz zu dem Auftritt in Meppen war das Spiel der Essener von Beginn an ein gänzlich anderer. Bis zum Strafraum der Gäste wurde mit viel Tempo und gutem Kombinationsspiel die Flucht nach vorn gesucht und dies fast bereits in der vierten Minute belohnt. Leider wurde Herzenbruch beim Kopfballversuch noch gestört, der Ball konnte aber dennoch erst auf der Linie geklärt werden. Vor der Rekordkulisse in dieser Saison hatte vor allem der Gastgeber seine Probleme, eine Chance in der vierzehnten Minute wurde den Essenern aufgelegt, allerdings konnten weder Eisfeld noch Young Kapital daraus schlagen.
Die dickste Möglichkeit zur Führung hatte dann wieder Eisfeld vierzehn Minuten später, als er nach einem Doppelpass völlig frei vor HFC-Torwart Gebardt auftauchte und sich dann fälschlicherweise für das kurze Eck entschied. Halle schwamm ordentlich und wurde von den Essenern eingekesselt. Auch nach dem kuriosen Rückstand machte RWE dort weiter, wo sie vorher aufgehört hatten. In der 56. Minute hätte Ennali den Ball versenken können, doch Nietfeld kann gleich zweimal die Situation gerade noch bereinigen. Das Bild änderte sich danach wenig, allerdings wurden die klaren Gelegenheiten weniger. Erst nach dem zweiten Gegentreffer hatten Müsel (85.) und Engelmann (90.) noch einmal Möglichkeiten auf den Anschlusstreffer, aber da schien das Spiel schon gelaufen zu sein.
Auch die Abwehr muss sich kaum Vorwürfe machen lassen. Viele Gelegenheiten wurden durch beherzigte Tacklings schon vor den gefährlichen Räumen unterbunden, die Kopfballhoheit im Strafraum sicherten sich die Essener bis auf die entscheidende Situation auch. Insgesamt hatten die Spieler durchaus verstanden, worum es an diesem Tag ging.
Die Knackpunkte
Unter dem Strich steht dann doch ein 2:0 für den Gastgeber. Dafür lassen sich klare Gründe benennen und nicht nur unter dem Motto „Pech gehabt“ von der Hand weisen. Der Hauptursache liegt wieder in einem Dauerthema: Die Chancenverwertung. Nachdem die Mannschaft in den letzten Wochen ordentlich Probleme hatte, überhaupt welche zu generieren, wurden diese im gestrigen Spiel fahrlässig liegengelassen. Geschenke der teilweise schlampigen Hallenser Abwehr müssen in einer solchen Situation ausgenutzt werden. Der HFC hatte seine Nerven in der ersten Hälfte überhaupt nicht im Griff, aber die Essener auf ihre Weise halt auch nicht. Außerdem fehlt ein Zielspieler, Engelmann war zwar wie alle seine Kameraden äußerst bemüht, aber häufig einen Schritt zu spät.
Das Abwehrverhalten wurde vorhin zwar gelobt, allerdings ist die Mannschaft nicht in der Lage, die Konzentration in allen Situationen hochzuhalten. Das Tor in der 40. Minute fällt nur, weil Plechaty seinen Gegenspieler zu wenig attackiert und dieser den gefährlichen Querpass setzen kann. Der Rest ist einfach sinnbildlich für die gesamte sportliche Situation in der letzten Zeit. Kefkir schafft es nicht, den Ball lang oder seitlich wegzuschlagen, sondern trifft aus kurzen Distanz Pechvogel Herzenbruch, der für das Gegentor noch am wenigsten kann. Beim zweiten Gegentreffer stehen die Essener viel zu weit weg, hier können sich gleich drei HFC-Spieler aussuchen, wer den Ball nach einem Freistoß ins Netz köpft, am Ende war es dann Bolyki. Halle muss nur wenig Aufwand betreiben, um als Sieger vom Platz zu gehen. Diesen Vorwurf muss sich die Mannschaft nach Chancenwucher und dilettantischen Abwehrverhalten in zwei Spielsituationen gefallen lassen.
Der Aufreger
1 Punkt, 3:16 im Torverhältnis – so lautet die erschreckende Auswärtsbilanz von RWE in der Rückrunde der Spielzeit 23/23, wenn das für Essen gewertete Spiel in Zwickau herausgerechnet wird. Der angestimmte Gesang der mitgereisten Fans „Wir fahren weit, wir fahren viel, wir verlieren jedes Spiel“ hat daher seine absolute Berechtigung. An dieser Stelle muss ein großes Lob an den Essener Anhang ausgesprochen werden, welche die Mannschaft in dieser schwierigen Lage bedingungslos bis zum zweiten Gegentreffer unterstütze und für eine fantastische Stimmung sorgte.
Danach ließen auch hier wieder einige Zuschauer ihren Unmut gegenüber Trainer Dabrowski freien Lauf, aber es wäre auch naiv zu glauben, dass diese gänzlich verschwinden würden und diese Meinung muss bis zu einem gewissen Grad auch ausgehalten werden. Nach dem Spiel gab es neben Applaus auch die Aufforderung, für „unsere Farbe zu kämpfen“. Auch wenn dies nicht den Kern der Ursachen für die Niederlage trifft, bewegen sich diese Äußerungen in einem völlig legitimen Rahmen. Die Mannschaft kann sich sicher sein, auch in den nächsten beiden Partien die volle Unterstützung von den Rängen zu haben.
Voran liegt es also, dass die Truppe aus Essen vor allem in der Fremde auftritt wie ein Absteiger? Dies führt uns vielleicht wieder zurück zu den Anfängen der Saison, als Zuschauer und Verantwortliche feststellen mussten, dass der Kader doch etwas überschätzt und anschließend nachgebessert wurde. In der aktuellen Situation, wo viele Stammspieler verletzt sind und Spieler mit Verletzungshistorie nicht gänzlich an ihre alte Form anknüpfen können, lässt sich erkennen, wie wenig Potential im Rest der Mannschaft steckt. Es sind Fehler sowohl in der Kaderplanung als auch in deren Nachbesserung im Winter gemacht worden, die sehr deutlich machen, dass es so einfach nicht reicht. Wer welchen Anteil an dieser Misere besitzt, muss dringend aufgearbeitet werden, damit sich eine solche Lage nicht wiederholt.
Die Lage in der Liga
Aufgrund des 2:0 Sieg der Hallenser steht die nächste Entscheidung fest: Der SV Meppen steigt trotz einer positiven Tendenz in den letzten Spielen als dritte Mannschaft ab. Am Sonntag könnte Oldenburg im Heimspiel entweder auf drei Punkte an den HFC und den RWE heranrücken oder Absteiger Nummer vier stellen. Elversberg ist nach dem Unentschieden gegen Wehen der Aufstieg aufgrund des besseren Torverhältnisses nur noch theoretisch zu nehmen. Osnabrück legte im Aufstiegskampf mit 0:2 in Köln vor und sorgt damit für ordentlich Druck auf Dynamo Dresden, der sich durch einen Sieg der Saarbrücker in Duisburg am Sonntag noch erhöhen könnte. Wenn Dresden aufsteigen will, müssen in beiden Spielen gegen Absteiger Meppen und Abstiegskandidat Oldenburg Punkte her. Dies ist eine gute Nachricht für Rot-Weiss-Essen, allerdings wäre es schön, selbst für positive Schlagzeilen im letzten Heimspiel gegen Verl zu sorgen. Die goldene Ananas des 37. Spieltags teilen sich der SC Freiburg (1:2-Sieg in Verl), der FC Ingolstadt (3:0 in Aue), Dortmund II (1:0 gegen Bayreuth) und die TSV 1860 München (gegen Waldhof Mannheim). Herzlichen Glückwunsch und guten Appetit!
Egal wie das Spiel in Wilhelmshaven ausgeht, sollte die Mannschaft noch einmal alles reinwerfen, um für einen versöhnlichen Abschluss der Spielzeit zu sorgen. In Gänze war nicht alles Mist, aber im Kopf bleiben die Auftritte der schlechten Rückrunde, die eine gefeierte Rückkehr in die Dritte Liga madig gemacht haben. Erst dann heißt es die Wunden zu lecken und eine schlagkräftige Mannschaft für die kommende Saison auf die Beine zu stellen. Vielleicht gibt es dann auch in der Ferne wieder mehr zu feiern.
In diesem Sinne NUR DER RWE!
Pascal Druschke