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Aufstand der Pseudomoralisten

Die Super-League erhitzt die Gemüter, spaltet die Fans und ruft die UEFA auf den Plan, die moralisch Kritik übt. Zeit sich mit der Realität des Fußballs und seiner Verbandsfunktionäre in diesem Kommentar auseinanderzusetzen.

Ein Kommentar zu den Reaktionen rund um die Super League

In der Boulevardisierung der Medien sind die Begriffe „Schock“, „Beben“ und „Paukenschlag“ so inflationär gebraucht, dass es selbst die Einfältigsten kaum noch hinter dem Ofen hervorlockt, diese Vokabeln zu lesen. Ein wirklicher Paukenschlag ist einem Konsortium der bekanntesten Vereine Englands, Italiens und Spaniens mit der Gründung der Super League gelungen, deren Ligenverband sie gleichzeitig stellen und damit die UEFA und ihre Landesverbände ausbremsen. Gelten Überlegungen zu eigens organisierten Wettbewerben normalerweise als Verhandlungsmasse, um die Geldverteilung in Richtung der Zugpferde zu lenken, wurden Fans und Funktionäre von jetzt auf gleich vor vollendete Tatsachen gestellt.

Bevor wir uns dem Vorwurf aussetzen, dass das egoistische Gebaren der Vereine relativiert wird, soll an dieser Stelle betont werden, dass dieser Schritt selbstverständlich der Versuch ist, die finanzielle Basis der Vereine vom sportlichen Abschneiden zu entkoppeln. Durch die festgelegte Teilnehmerschaft sichern sich die ohnehin größten Vereine die dicksten Geldbündel, die der Fußball zu verteilen hat und entwertet gleichzeitig die europäischen Wettbewerbe und eigentlich auch die nationalen Ligensysteme.

Für den Traditionalisten passt dies in die Entwicklung, die der Fußball seit mindestens 20 Jahren nimmt und führt keinesfalls zu Aufregung. Was den Autor dieser Zeilen allerdings wütend werden lässt, ist die Reaktion der Landesverbände und allen voran der UEFA auf diese Entwicklung. So gab der europäische Fußballverband kurzerhand zu Protokoll, dass er gemeinsam mit den Landesverbänden daran arbeite, dieses zynische Projekt zu stoppen. Darauf folgt – das sollte sich jeder Fußballinteressierte auf der Zunge zergehen lassen – die Anmerkung, dass dieses Projekt nur den Eigeninteressen weniger Clubs diene, wohingegen zurzeit besonders viel gesellschaftliche Solidarität gefragt sei.

Diese Wortwahl ausgerechnet der UEFA verschlägt einem dann schier die Sprache. Gehen wir die beiden Sätze mal Stück für Stück durch: Dies ist also ein zynisches Projekt. Nur einen Tag nach dem „Super-League-Skandal“ folgt die Entscheidung der UEFA, die – kein Witz – eine Aufblähung der Champions League vorsieht, bei der die Anzahl der Spiele beinahe verdoppelt wird und sichergestellt wird, dass die größten Vereine möglichst viele Spiele gegeneinander austragen. Das garantiert für der exklusiven Klasse weniger Vereine Europas höhere Einnahmen aus diesem Wettbewerb. Die Kommentierung der eigenen Ideen als zynisches Projekt vermisst man bislang leider.

Der Gipfel wird allerdings mit dem Hinweis auf die gesellschaftliche Rücksichtnahme aufgrund der Pandemie erreicht. Ist die UEFA auch nur im Mindesten in der Position hier ein moralisches Urteil zu fällen?

Fassen wir mal nur die jüngsten Entscheidungen zusammen: Die Europameisterschaft sollte im Jahr 2020 in zwölf verschiedenen Ländern stattfinden. Ob man das allgemein für eine schöne oder sowieso alberne Idee hält, sei mal hintangestellt. In Zeiten einer dritten Welle, in der es massiv darum geht, die Mobilität kleinzuhalten, sollen 24 Fußballmannschaften mit Spielern, Trainern, Betreuern und Funktionären kreuz und quer durch Europa fliegen. Das kann niemand mit gesundem Menschenverstand wollen. Genau das verlangt die UEFA, die durchaus interessante Ideen, wie eine Verlagerung des Turniers nach Israel, gar nicht erst in Betracht zog.

Bleiben wir bei der EM: Hier will die UEFA keinesfalls leere Stadien präsentieren und übt Druck auf die Gastgeber aus. Der Verband erpresst nun die Stadt München, dass sie Zuschauer zulassen muss, da ihr sonst der Spielort entzogen wird – das in Zeiten, die besonders viel gesellschaftliche Solidarität benötigen. Anstelle der UEFA klar zu sagen, dass sie sich dringend aus Fragen des Krankheitsschutzes herauszuhalten habe, beschwört bspw. der uns bestens bekannte Rainer Koch, dass die Stadt München doch einlenken solle. Darüber hinaus bleibt es – gerade in Zeiten, in denen besonders viel gesellschaftliche Solidarität gefragt ist – bei der Entscheidung, dass Spielort nur sein kann, wer der UEFA satte Steuerrabatte gewährt.

Auch in der Champions League zeigt sich die UEFA von der mäßig solidarischen Seite. Als die englische Mutation auftrat, betraf der verhängte Reisestopp auch die Fußballclubs aus England und Deutschland. Da durch den engen Terminplan eine 14-tägige Quarantäne nicht möglich gewesen wäre, konnten die Spiele nicht vor Ort abgehalten werden. Da die UEFA aber jeden Verein, der sich an geltendes Recht und Gesetz gehalten hätte, mit einer Niederlage bestraft, wichen die Teams nach Ungarn aus. Man kuschelt ohnehin am liebsten mit autoritären Regierungen und bekommt dafür üppige Zugeständnisse.

Wäre das noch nicht alles genug, zeigt die UEFA in der Auseinandersetzung mit den Top-Vereinen einmal mehr die hässliche Fratze, indem sie offen Erpressung ausübt. Wer an der Super-League teilnimmt, soll nicht mehr in der Nationalmannschaft spielen dürfen, die Gründerclubs sollen sofort aus der Champions League ausgeschlossen werden und die nationalen Verbände sollen ein Verbot zur Teilnahme an der eigenen Liga aussprechen. So mag die Super League vielleicht ein zynisches Projekt sein, aber bislang noch kein so offen verfaultes wie das der UEFA.

Für die Traditionalisten ergeben sich hier möglicherweise ebenfalls Chancen. Wenn diejenigen, die das ganz große Geld und die ganz große Aufmerksamkeit suchen aus dem Ligensystem heraus sind, ergibt sich in einer etwas bodenständigeren Struktur vielleicht für einige Traditionsvereine doch Möglichkeiten. Das muss dann auch nicht langweiliger sein. Seien wir mal ehrlich: Ob Bayern München nun die nächsten 30 Jahre immer Deutscher Meister wird oder ob der Wettbewerb etwas entwertet, aber dann wieder wechselhafter wird, ist mir als RWE-Fan völlig egal. Möglicherweise ist letzteres Szenario sogar ein wenig spannender.

Angeblich sollen die Verantwortlichen der Super League die Totengräber des Fußballs sein. Dem ist unbedingt zu widersprechen. Hier wird allenfalls vollendet, was sich schon seit Jahren abspielt. Dieses Projekt, so die Initiatoren es denn durchhalten, wird seinen Erfolg einstellen, denn diejenigen, die den Fußball als popkulturelles Ereignis verfolgen, sind nicht an traditionellen Ligenstrukturen und durchlässigem Wettbewerb interessiert und werden den spannenden und qualitativ sicherlich hochwertigen Fußball verfolgen. Hier muss klar sein, dass es für den Zuschauer jedoch kaum einen Unterschied macht, ob diese Art Wettbewerb als Champions League unter Schirmherrschaft der UEFA oder als Super League unter Federführung der Gründervereine stattfindet. Um im Bild des Totengräbers zu bleiben: Der Patient liegt längst unter der Erde und der Grabstein steht bereits. Hier zanken sich lediglich zwei unsympathische Angehörige, wer die Stiefmütterchen pflanzen darf.

Hendrik Stürznickel