13.02.2020

Gegen Oberhausen nicht mehr vor Zuhause grausen!

von Redaktion

Unsere saisonale Tradition, unsere Vor- und Spielberichte mit kleinen sprachlichen Kalauern zu würzen, erhält im Vorfeld des Revierderbys gegen den westlichen Nachbarn vom Kanal eine gewisse Brisanz. Denn neunmal trat RWE ohne des nicht mehr in der Wertung befindlichen Spiels gegen Wattenscheid an der heimischen Hafenstraße an, viermal trat der Gegner siegreich die Heimfahrt an. Eine Bilanz, die durchaus Grausen erzeugen kann und deren tendenzielle Fortsetzung am kommenden Sonntag wohl das Ende aller Aufstiegsträume bedeuten könnte. Den bislang fünf Heimsiegen den sechsten oben drauf zu setzen wäre hingegen Balsam für die nach dem Rödinghausen-Match geschundene RWE-Seele und ließe zudem den Blick nach oben wieder zu, denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Vor allem nach den jüngsten Entwicklungen in der Liga.

Zwar hatten auch wir kurz vor dem Spiel gegen den Tabellenführer aus dem Wiehengebirge davor gewarnt, jede Partie zum Schicksalsspiel zu erklären, jedoch ist zwei Wochen später klar, viel darf RWE nicht mehr liegen lassen, um zumindest noch diese Saison ganz oben angreifen zu können. Da die Roten aufgrund des Rückzuges der SGW am letzten Wochenende spielfrei waren, mussten sie tatenlos zusehen, wie die Konkurrenz ausnahmslos Siege feierte. Dass der kommende Gegner RWO sein Heimspiel gegen Kellerkind Bergisch-Gladbach spät erfolgreich gestalten konnte, war zu erwarten. Ärgerlicher erschien, dass der SVR in seiner Partie gegen die Sportfreunde Lotte seine fast einzige Torchance zum Sieg nutzen konnte. Und das, obwohl die Gastgeber weit von ihrer an der Hafenstraße an den Tag gelegten Form entfernt schienen und zudem 70 Minuten in Unterzahl agieren mussten, nachdem Angelo Langer schon früh die Rotbremse gezogen hatte. Tante Lotte hatte die Spielkontrolle, ließ aber selbst den auf dem Silbertablett dargebotenen einen Zähler höflich im Wiehengebirge liegen. Die einen sagen, so clever und effizient wie Rödinghausen agiert ein Spitzenreiter, die anderen meinen, dass sich auch die Zwiebelfeststädter weiterhin strecken müssen, um die Punktetrauben abzupflücken.

Samstag können die Rödinghausener weiter Druck auf die Konkurrenz aufbauen. Sie gastieren in Wuppertal und sind dort natürlich Top-Favorit. Im Siegesfall würde der Vorsprung auf unseren RWE unglaublich zu nennende 15 Zähler betragen. Bei wohlgemerkt drei mehr ausgetragenen Partien. Doch für die Aufstiegsfrage ist das mit einem Male nicht mehr relevant.  Am Donnerstagmittag gab es den Paukenschlag. Der SV Rödinghausen wird keine Drittligalizenz beantragen. In einer offiziellen Verlautbarung gab der Verein bekannt, weiterhin nachhaltig wirtschaften zu wollen. Mit dem oberhalb der Regionalliga notwendigem Aufwand, vor allem in der Stadionfrage, sei dies nicht möglich. Der Schritt kommt nicht völlig überraschend, hatte man doch allein schon bei den Auswärtsauftritten unserer Roten im malerischen Wiehengebirge den Eindruck, dass es hier beschaulich bleiben solle und auswärtige Fans störend seien. Warum dennoch seit Jahren ein solch großer finanzieller Aufwand betrieben worden ist, müssen die Grün-Schwarzen sich selber beantworten und darf der Konkurrenz egal sein. Sollte Rödinghausen auch am Ende ganz oben stehen, würde jedenfalls der Vizemeister der RL West die Relegationsspiele bestreiten, jedenfalls wenn dieser seinerseits die Lizenz beantragt hat. Gänzlich souverän zeigte sich der SC Verl, der laut seines stets öffentlichkeitsliebenden Vorsitzenden Raimund Bertels auf jeden Fall die Drittligalizenz beantragen wird. Wie gewohnt sehr charmant und um gepflegte Wortwahl bemüht betitelte Bertels alle Gerüchte, der SCV werde ebenso auf den Lizenzantrag verzichten, als "Schwachsinn". Im Erfolgsfalle werden die Verler jedoch nicht in der heimischen und den Drittligastatuten des DFB nicht entsprechenden Sportclub-Arena an der Poststraße antreten können. Die Ostwestfalen hatten dort unter der Woche 90 Minuten DFB-Pokal gegen den Bundesligisten Union Berlin zu absolvieren und unterlagen erst kurz vor dem Ende mit 0:1. Wer gehofft hatte, der Kräfteverschleiß werde sich nur zweieinhalb Tage später in Bonn bemerkbar machen, sah sich gründlich getäuscht. Mit 3:0 siegte der SCV in der Beethovenstadt und zeigte sich sowohl physisch als auch mental bärenstark. Man muss kein Prophet sein, um der Truppe von Guerino Capretti die besten Aktien des Spitzenquartetts, das nun auf einmal ein Aufstiegsanwärtertrio geworden ist, zuzusprechen. Zeitgleich zum Revierderby empfangen die Verler am Sonntag die Reserve der Gelsenkirchener. Hier setzen wir Rot-Weisse auf engagierte Nachbarschaftshilfe. :)

Die bisherigen Bemerkungen haben es ganz klargemacht, Rot-Weiss Essen hat am Sonntag mächtigen Druck. Druck aufgrund der bereits angesprochenen sehr mäßigen Heimbilanz, Druck aufgrund der trotz Rödinghauser Rückzuges noch immer angespannten Tabellensituation und Druck, den man in einem Derby immer verspürt. Die Situation von Gegner RWO erscheint auf den ersten Blick entspannter. Nachdem der Klub von der Landwehr sich lange in Lauerstellung befunden hatte, zogen die Kleeblätter nun an RWE vorbei und haben drei Punkte mehr auf dem Konto. Das tut dem Oberhausener, der einer landläufigen Meinung nach seinen eigenen Verein weniger wertschätzt, als er RWE ablehnt, natürlich besonders gut. So verwundert es kaum, dass viel darüber gesprochen wird, RWE die Saison versauen zu wollen, so z. B. von Kapitän Löhden. Aber lassen wir diese Scharmützel und konzentrieren uns auf das Sportliche. Seit dem 30.09.2019 haben die Schützlinge von Mike Terranova den Platz nicht mehr als Verlierer verlassen. Damals unterlag man der Reserve des BVB mit 0:2. Vier Wochen zuvor feierte unser RWE einen süßen 3:0-Erfolg im Stadion Niederrhein. Und das sind in der Tat die einzigen Partien, die Oberhausen dem Gegner gänzlich überlassen musste. Mit 13 Siegen hat man genauso viele errungen wie die Essener. Interessant jedoch die Bilanzen bei Remis und Niederlagen, die sich genau umgekehrt gestalten. RWE spielte nur zweimal unentschieden und verlor satte fünfmal. Aus fünf Oberhausener Unentschieden und nur zwei Niederlagen resultieren die derzeitigen 3 Punkte Vorsprung der Gäste. Es wäre daher auch für unsere Roten erstrebenswerter gewesen, den Platz weniger häufig als Verlierer zu verlassen. Um wie viel besser würde man z. B. dastehen, hätte man die Partien gegen Verl und Rödinghausen mit einem Remis gestaltet? So verfügte man nicht nur selbst über zwei Punkte mehr, sondern auch die angesprochene Konkurrenz über jeweils zwei weniger. Auch mit Unentschieden kann man also durchaus vorankommen. Setzt RWE daher zu häufig auf Risikovarianten?

Wir hatten jetzt länger Zeit, die Partie gegen Rödinghausen Revue passieren zu lassen. Die Niederlage war ebenso verdient wie sie unnötig gewesen ist. RWE rührte einen Cocktail aus saudummen Abstimmungsfehlern in der Defensive und vergebenen Großchancen in der Offensive an. Das musste fast zwangsläufig zu einer Pleite führen. Da es bis zum 0:1, das die Roten dem Gegner schenkten, keine zwei Zeigerumdrehungen gegeben hatte, wurden die Grundbedingungen der Partie sofort vollkommen verändert. Mit Ruhe auf die Führung hinzuarbeiten wie zuvor in Köln hatte sich für RWE ad acta gelegt. Auf der Gegenseite kamen die Rot-Weissen nach tollen Kombinationen gleich zweimal hinter die Abwehrkette der Gäste, frönten aber in Person von Wirtz und später Endres dem bekannten Großchancenwucher. Als Ex-RWE-Keeper Niclas Heimann kurz nach der Pause einen eigentlich unhaltbar scheinenden abgefälschten Schuss von Dorow mit dem Schienbein parierte, schwand jedoch der Essener Glaube an eine Wende, der mit dem 0:2 völlig erstickt wurde. Der Gegner genoss wie andere Mannschaften zuvor die Ausnahmeatmosphäre an der Hafenstraße in vollen Zügen. Diese scheint allen Gästen eine besondere Motivation zu sein. Umgekehrt kann man nicht behaupten, dass die junge RWE-Mannschaft im Gegensatz zu ihren Vorgängern im Essener Trikot Angst vor der eigenen Courage habe. Jedoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Rot-Weiss Zuhause fast ein wenig übermotiviert erscheint, seine Fans zu beschenken. Nicht selten vermisst der Betrachter die Coolness, die RWE auswärts auszeichnet. Satte 8 von 11 Partien in der Fremde hat RWE gewonnen und wirkt dabei abgeklärter als vor heimischer Kulisse. Diesen Bock gilt es in den 8 verbleibenden Heimspielen umzustoßen und Sonntag sollte sofort damit begonnen werden.

Die RWE-Fans dürfen sich dabei auf ein neues Gesicht freuen, welches die fast verheerend zu nennende Abschlussschwäche beheben soll. Von Herthas zweiter Mannschaft wechselte ganz kurz vor Schließung des Transfensters der russische Angreifer Maximilian Pronichev an die Hafenstraße. Der 22-Jährige verfügt über eine gute Quote. In 32 Regionalligaspielen erzielte er 22 Treffer. In dieser Spielzeit waren es bislang 7 Tore in 13 Spielen. Dabei stand Pronichev jedoch durchschnittlich nur gut eine Halbzeit auf dem Feld und kam häufig über die Jokerrolle, was seine Bilanz in einem noch anderen Licht erscheinen lässt. Hat RWE hier endlich den effizienten Goalgetter gefunden? Alles Gute an der Hafenstraße, Maximilian.

Auch der zweite Last-Minute-Transfer der Essener weckt Hoffnungen. Mit José Matuwila, 28 Jahre alt, kommt der gewünschte zentrale Abwehrspieler mit linkem Fuß zu RWE. Er verfügt über reichlich Erfahrung und war zuletzt für den 1. FC Kaiserslautern am legendären Betze aktiv, sodass ihm positiv verrückte Fans bekannt sind. Matuwila ist zunächst bis zum Saisonende ausgeliehen, ein Zeichen, dass er in Lautern noch Wertschätzung genießt. Da Alex Hahn auf der Position des linken IV gelbgesperrt ist, stehen die Aktien des gebürtigen Koblenzers mit angolanischer Staatsbürgerschaft auf einen Startelfeinsatz gegen Oberhausen gut. Auch hier alles Gute in Essen, José.

Inwiefern die Essener Rot-Weissen mit diesen Neuzugängen an den wichtigen Stellschrauben defensive Stabilität und effiziente Chancenverwertung gedreht haben, wird sich ab nun zeigen. Mit einem Derbysieg wollen die Bergeborbecker nicht nur Wiedergutmachung bei den eigenen Zuschauern betreiben, sondern generell für die Aufrechterhaltung der Zuversicht im Essener Norden und der ganzen Stadt werben. Das ist auch wirtschaftlich von Belang. Bislang passierten im Schnitt mehr als 11.000 Zuschauer die Stadiontore von RWE. Ein unglaublich zu nennender Wert, der weniger unglaublich erscheint, wenn man die Begeisterungsfähigkeit der Essener Anhänger kennt. Vor Saisonbeginn hatten die Essener Verantwortlichen, allen voran Boss Marcus Uhlig, auf genau einen solchen Enthusiasmus gesetzt, um mittels Zuschauereinnahmen so wenig wie möglich auf die von Sascha Peljhan zur Verfügung gestellten Gelder zurückgreifen zu müssen und diese als Backup zu behalten. Bislang ging der Plan auf. Die zuletzt aufgekommene Ernüchterung wird sich jedoch am Sonntag bemerkbar machen, die Kulisse für Viertligaverhältnisse stolz sein, sich aber nicht so beeindruckend darstellen wie sie hätte sein können. Nehmen die einzig wahren Roten jedoch ab nun wieder Fahrt auf, werden die Fans weiter Kredit und Unterstützung geben. Wahrscheinlich reicht bereits die Meldung vom Drittliga-Verzicht des derzeitigen Spitzenreiters aus, dass mehr Menschen, als zuvor angenommen werden durfte, Sonntag an der Hafenstraße 97a vorstellig werden. Die sportliche Brisanz wurde dadurch für beide Derby-Parteien jedenfalls noch einmal nicht unerheblich gesteigert.

 NUR DER RWE!

 Sven Meyering