07.10.2017

Trotz guter Ansätze: Individuelle Fehler verhindern Punktgewinn in Rödinghausen

von Dominik Gsell

Vorab: Es ist durchaus üblich, dass Meinungen zu Spielen unterschiedlich ausfallen. Die Bewertung, die das heutige Auswärtsspiel in Rödinghausen bei RevierSport sowohl durch Schreiberlinge, als auch folglich in den Kommentaren erfahren hat, hat mit dem Geschehen auf dem Rasen jedoch nichts zu tun.

Knapp 400 RWE-Fans waren in RödinghausenDie Spielbewertung durch Fans ist bei Rot-Weiss Essen meistens sehr simpel gestrickt: Die 2:3-Niederlage in Rödinghausen wäre bei identischem Verlauf, aber besserem Tabellenstand, vermutlich als engagierte Leistung mit unglücklichem Ende bewertet worden. Da das Team aktuell aber (zurecht!) stark in der Kritik steht, passt es besser ins Bild, einen Grottenkick gesehen zu haben und erneut draufzuhauen.

Neu ist dabei, dass Reviersport seine beste Klick- und Kommentier-Klientel mittlerweile freudig bedient und es dabei mit der Realität nicht so genau nimmt. Liveticker und Spielbericht zeugen davon, dass jemand entweder vom Fußballsport überhaupt nichts versteht oder bewusst die bereits vorhandene Negativstimmung kanalisieren möchte. Wenn Rot-Weiss Essen nach 12 Spielen nur zwei Siege auf dem Konto hat und kurz vor dem Abstiegsplatz steht, dann sind gegenteilige Meinungen schließlich ins Reich der Schönredner zu verdammen.

Der Gegner im heutigen Grottenkick war der SV Rödinghausen, der mit einem Sieg die Tabellenführung übernehmen konnte, was aber bekanntlich nur daran liegt, dass er zwischen all den grottenschlechten Mannschaften die derzeit am wenigsten grottenschlechte ist. Lucas und Wolters nahmen drei positionellen Veränderungen vor: Jansen, Meier und Malura kehrten in die Startelf zurück, Becker, Bednarski und Lucas landeten auf der Bank. Reviersport erkannte in der ersten Halbzeit eine "blutleere Darbietung", weil RWE sich nach der häufig kritiserten Passivität heute an sehr hohem Angriffspressing versuchte. Sturmspitze David Jansen, sowie die Flügelstürmer Pröger und Platzek setzten Rödinghausen früh unter Druck, Benjamin Baier rückte im Zentrum weit vor und der jeweils ballnahe Außenverteidiger schob bis 30-40 Meter ans gegnerische Tor vor, um die Sechser Brauer und Maier nach Ballverlusten im sofortigen Gegenpressing zu unterstützen. Die Innenverteidigung sicherte dabei auf Höhe der Mittellinie ab, eine Ausrichtung und Spielweise, die auswärts bei der torgefährlichsten Mannschaft der Liga sicherlich von manch einem als "mutig" bezeichnet würde.

Bei eigenem Ballbesitz suchte RWE spielerische Lösungen über Kurzpässe, wusste dabei im letzten Drittel jedoch nicht zu überzeugen, sodass die stabile Rödinghauser Endverteidigung nicht ernsthaft in Gefahr gebracht wurde. Nach 7 Minuten erschwerte sich die Situation für RWE, da Benjamin Baier nach einer Balleroberung tief in der gegnerischen Hälfte den Ball vertändelte, statt ihn zu Dennis Malura oder Robin Urban zu spielen, die ihm entgegengekommen waren. Durch das Aufrücken Maluras entstand die Lücke in der Defensive mit Überzahl für Rödinghausen, die der Tabellenführer nach kurzem Doppelpass und Querlegen auf den Ex-Essener Tobias Steffen mit dem 1:0 abschließen konnte. Obwohl laut Reviersport die "gesamte Defensive der Essener aber mal so richtig gepennt" hatte, ist keinem (!) Abwehrspieler ein Vorwurf zu machen, da die Situation aus einem völlig unnötigen Ballverlust Baiers resultierte und nicht mehr zu retten war.

Interims-Trainer mit erster NiederlageEin im Endeffekt doch noch geklärter Durchbruch Simon Engelmanns verleitet den Liveticker-Verfasser im RevierSport zur Feststellung, der SVR-Stürmer würde Philipp Zeiger "immer wieder" davonlaufen. Der bei eigenem Ballbesitz durch kluges Anlaufen der RWE-Mannschaft während der ersten halben Stunde durchweg in die eigene Hälfte gedrängte SV Rödinghausen "drückt und beißt an allen Ecken und Enden", die Essener Defensive, die abgesehen von einem krassen individuellen Fehler in der ersten halben Stunde keine nennenswerte Torchance zugelassen hat, "scheint sich [...] ein wenig gefangen zu haben". Im Spielbericht heißt es dann über den ersten Durchgang, dass "die Gastgeber die frühe Führung immer mehr unterstrichen und gegen eine planlose Essener Mannschaft völlig befreit aufspielen konnten" - in welchem Paralleluniversum dies stattgefunden haben soll, bleibt ein Rätsel, denn das Spiel in Rödinghausen fand überwiegend bei Essener Ballbesitz in der Hälfte der Gastgeber statt. Es finden sich in der gesamten ersten Halbzeit keine drei Situationen, in denen Rödinghausen bei eigenem Ballbesitz eine halbwegs konstruktive, spielerische Lösung finden kann, doch zur hanebüchenen Berichterstattung im RevierSport seien damit auch genug der Worte verloren.

Auch die RWE-Bemühungen enden am gegnerischen Sechzehner, weil sich zwei Mannschaften auf defensiv hohem Niveau gegenseitig neutralisieren und so geht es mit dem 1:0 in die Halbzeit. Kurz nach der Pause legt Rödinghausen dann den zweiten Treffer nach: Ein langer Ball von Heimann landet nach einen Querschläger Maluras zentral kurz hinter der Mittellinie und der aufrückende Robin Urban verliert den Ball. Marius Bülter ist frei durch, Philipp Zeiger muss zunächst von seinem eigentlichen Gegenspieler aus nach außen rücken und ist durch diese Laufbewegung beim folgenden Haken Bülters ebenso machtlos, wie Heller beim Abschluss. Der zweite individuelle Patzer führt nach 46 Minuten zur zweiten Torchance Rödinghausens und dem zweiten Treffer. Aus einem Ballverlust Marcel Platzeks drei Minuten später ergibt sich dann fast eine Kopie des zweiten Treffers und auch die dritte Rödinghauser Großchance entsteht aus einem vermeidbaren, individuellen Fehler bei eigenem Ballbesitz.

Keine zehn Minuten nach Wiederanpfiff - Rödinghausen hat das Geschehen mittlerweile völlig im Griff - fällt dann nach einer Grund-Ecke der Anschluss durch einen Kopfball Marcel Platzeks. Bei eigenem Ballbesitz fällt es den Essenern jedoch weiterhin schwer, Chancen zu generieren, während Rödinghausen auf Konter lauert, sodass sich das Bild des Spiels zunächst wenig verändert und eher dem SVR entgegen kommt, der vereinzelt Nadelstiche nach vorn setzen kann. Die erste Auswechslung erfolgt nach knapp einer Stunde: Robin Urban verlässt das Feld und Nico Lucas übernimmt für Jan-Steffen Meier die Sechserposition, während dieser Urbans Part in der Innenverteidigung übernimmt. RWE wird endlich zwingender, wenngleich zunächst nur eine Eckball-Serie, sowie ein Jansen-Kopfball aus zehn Metern herausspringen. Mitten in die gute Phase der Gäste folgt dann nach 67 Minuten ein Konter Rödinghausens, den Heller noch zur Ecke entschärfen kann. Vier Minuten später lädt Timo Brauer mit einem völlig unbedrängten Fehlpass zu einer weiteren Kontergelegenheit ein und wird kurz darauf gegen Kamil Bednarski ausgewechselt. Dieser übernimmt den Part auf der linken Außenbahn, Pröger wechselt nach rechts und Platzek zu Jansen ins Sturmzentrum. Im 4-4-2 will RWE nun den Ausgleich erzwingen.

Nach dem Tor von Platzek kurze Hoffnung auf etwas ZählbaresFünfzehn Minuten vor Schluss bringt eine weitere der vielen Ecken RWEs dann einen Handelfmeter, den Benjamin Baier zum Ausgleich verwandeln kann. Fünf Minuten später sorgt eine Pröger-Hereingabe für Konfusion und Gestocher im Rödinghauser Strafraum, statt des Führungstreffers holt RWE aber lediglich eine weitere Ecke heraus. Der Abschlussversuch landet in den Armen Heimanns, dessen Abwurf leitet wieder einmal einen schnellen Konter ein und Lungas Abschluss wird von Philipp Zeigers Rücken unhaltbar an Robin Heller vorbei zur erneuten Rödinghauser Führung abgefälscht. Nach der Einwechslung Ngankams für Grund (85.) kann der neue Mann eine Ecke rausholen, die wiederum in einem Konter und der nächsten Gelegenheit für Rödinghausen mündet. Ein guter Platzek-Abschluss in der Nachspielzeit stellt dann die letzte dicke Gelegenheit des Spiels dar und besiegelt die erste Auswärtsniederlage.

Ein engagierter Auftritt mit verbessertem Verhalten im Spiel gegen den Ball reicht am Ende nicht zu einem Punktgewinn, weil der Mannschaft weiterhin die Mechanismen bei eigenem Ballbesitz völlig abhanden kommen. Aus dem Spiel heraus konnte zwar wenig zugelassen, aber auch kaum eine Chance kreiert werden. Die fehlenden Automatismen führen derweil immer wieder zu gefährlichen Ballverlusten, die eine Spitzenmannschaft wie Rödinghausen eiskalt bestraft. Auch wenn das Experiment Siewert vor zwei Jahren gescheitert ist, sollten die Verantwortlichen bei der Trainerwahl eine mutige Lösung nicht scheuen. Es liegt mitnichten eine spielerisch intakte Truppe vor, der von einem verwaltenden Coach bloß wieder Selbstvertrauen und Stabilität eingeimpft werden muss. RWE agiert in der Liga fast immer aus der Favoritenrolle und muss selbst das Spiel gestalten können. Trainer wie Golombek oder Toku haben bisher bewiesen, mit limitiertem Kader ins gesicherte Mittelfeld der Liga vorrücken zu können, würden bei RWE jedoch andere Ansprüche und Voraussetzungen vorfinden, sodass auch ihre Verpflichtung nicht frei von Risiken wäre. Die Beispiele Nagelsmann, Tuchel oder Tedesco haben in höheren Gefilden bewiesen, dass ein Trainer aus dem Jugendbereich mit ausgezeichneten Taktik-Kenntnissen eine Mannschaft durchaus beleben kann und bei der eigentlich intakten, aber spielerisch limitierten rot-weissen Truppe ist in erster Linie jemand gefragt, der neben dem Kampf auch eine Spielidee vermitteln kann. Wer auch immer es wird: Er hat zwar eine Mannschaft mit Potenzial, jedoch auch eine Menge Arbeit vor sich.


Jawattdenn-Spielerbewertung

Robin Heller
Heller
[3+]
Dennis Malura
Malura
[3-]
Philipp Zeiger
Zeiger
[3]
Robin Urban
Urban
[3-]
Kevin Grund
Grund
[2+]
Timo Brauer
Brauer
[3-]
Jan-Steffen Meier
Meier
[3-]
Benjamin Baier
Baier
[3-]
Kai Pröger
Pröger
[3]
David Jansen
Jansen
[3-]
Marcel Platzek
Platzek
[3+]
Nico Lucas
Lucas
[o.B.]
Kamil Bednarski
Bednarski
[o.B.]
Roussel Ngankam
Ngankam
[o.B.]


SV Rödinghausen

Heimann, Hippe, Flottmann, Knystock, F. Kunze, L. Kunze, Möllering (88. Kacinoglu), Dantas, Bülter, Steffen (78. Lunga), Engelmann (90. Brosch)

 

Rot-Weiss Essen

Heller, Malura, Zeiger, Urban (63. Lucas), Brauer (74. Bednarski), Baier, Meier, Grund (86. Ngankam), Pröger, Jansen, Platzek

Tore

1:0 Steffen (7.)

2:0 Bülter (46.)

2:1 Platzek (55.)

2:2 Baier (77., Handelfmeter)

3:2 Lunga (82.)

 

Zuschauer

1.702

 

Schiedsrichter

Benjamin Schäfer

 

Gelbe Karten

Flottmann (2. Gelbe Karte)

Engelmann (3. Gelbe Karte)

F. Kunze (5. Gelbe Karte)

Pröger (3. Gelbe Karte)

Baier (5. Gelbe Karte)


Spieler des Spiels - Kevin Grund

Kevin Grund