20.06.2015

Die Saison 2015/16 – ein weiterer Neuanfang oder einfach nur “Back to the roots“?

von Michael Jaskolla

Die Saison 2014/15 ist oberflächlich betrachtet gar nicht so schlecht gewesen: Platz 5 in der Liga und der Niederrheinpokalsieg lassen auf den ersten Blick auf eine solide, gerade noch zufriedenstellende Spielzeit schließen. Aber obwohl man damit sportlich im offiziell gesetzten Zielkorridor eingelaufen ist, wird dieses Ergebnis weder von der Vereins- noch von der Anhängerseite als Erfolg gefeiert.

Das hat gute Gründe, die auch jenseits des Fußballplatzes zu finden sind: Die früher als ursprünglich geplant vorangetriebene Professionalisierung im sportlichen Bereich mit der Installation eines erfahrenen Sportvorstandes und der Verpflichtung eines Trainers, der sich mit Aufstiegen in die Dritte Liga bestens auskennt, ist mit Pauken und Trompeten gescheitert. Der eine entpuppte sich als unkooperativer Egozentriker, der andere hatte keinen Plan B. Nun ist der Verein dabei, nach 1,5 Jahren voller Negativschlagzeilen, Entlassungen, Vertrags- und Mannschaftssauflösungen, Vertrauensbrüchen, Katerstimmungen, Krisengesprächen und sportlichen Negativserien das auf vielen Ebenen zerbrochene Porzellan aufzukehren und Lehren aus der abgelaufenen Saison zu ziehen. Ungeachtet von weiteren Nebenkriegsschauplätzen (z.B. die noch ausstehenden Gerichtsverhandlungen bzgl. Harttgen) interessiert die Anhängerschaft dabei vor allem, welche Lehren und Erkenntnisse man bezüglich der folgenden Problemfelder gezogen bzw. gewonnen hat und wie mögliche Lösungsansätze aussehen:

1) Die Führungsfrage im sportlichen Bereich
   a) Der Posten des Sportdirektors
   b) Der Trainerposten
2) Die Nachwuchsarbeit
3) Die Leistungsfähigkeit der Mannschaft
4) Das Verhältnis Mannschaft – Westkurve

1a) Der Posten des Sportdirektors
„Statte einen Hafenstraßen-Neuling nicht mit allzu viel Macht aus!“ So oder so ähnlich könnte Dr. Welling die erste Erkenntnis formuliert haben, die er aus „Harttgengate“ gewonnen hat. Denn schon kurz nach der Freistellung Harttgens kündigte er an, dass es in absehbarer Zukunft keinen neuen Sportvorstand mehr geben werde, sondern allenfalls einen in der Vereinshierarchie niedriger eingestuften und mit etwas weniger Handlungsbefugnissen ausgestatteten Sportdirektor. Diesen hat man inzwischen gefunden und dabei mit Andreas Winkler auf die kleine, vereinsinterne Lösung gesetzt. Eine Lösung, die natürlich auch schon vor eineinhalb Jahren möglich gewesen wäre, aber damals war man im Verein (wie fast alle im Umfeld) noch fest davon überzeugt, dass uns ein sportlicher „Vollprofi“ in der Führungsebene sicher voranbringen würde. Das Scheitern mit Harttgen heißt natürlich nicht zwingend, dass es mit jedem anderen erfahrenen Profi genauso verlaufen würde. Warum also wurde jetzt einen Mann befördert, der vor eineinhalb Jahren noch nicht gut genug für die erste Mannschaft war? Ist Winkler etwa eine Notlösung, vielleicht auch aus finanziellen Gründen? Immerhin belasten die ordentlichen Gehälter von Harttgen und Fascher weiterhin den Etat. Meine Meinung: Nein, ist er nicht! Nach den gemachten Erfahrungen ist diese Entscheidung folgerichtig und man darf es Dr. Welling abnehmen, dass sie aus voller Überzeugung und nicht aus der Not heraus getroffen wurde.

Wenn man nach Harttgens Verdiensten um RWE fragt, erhält man stets die Zusammensetzung eines starken (oder besser: namhaften) Kaders als (einzige) Antwort. Aber wie hoch ist ihm dieser Verdienst tatsächlich anzurechnen? Warum sollte ein Andreas Winkler nicht genauso wie Harttgen in der Lage sein, mit deutlich mehr Geld, als es dem Duo Jamro/Wrobel damals zur Verfügung stand, Stammspieler aus der vierten Liga und Bankdrücker aus der Dritten zu verpflichten? Das ist zugegeben polemisch und rhetorisch gefragt. Aber RWO hat in den vergangenen beiden Jahren gezeigt, dass man mit geringeren Mitteln, ohne namhaften Sportvorstand, dafür aber mit dem Luxus einer Oberliga-U23, einen mindestens genauso ambitionierten Kader zusammenstellen kann. Möge das dem Duo Winkler / Siewert auch gelingen.

Nebenbei erwähnt: Im Zusammenhang mit der Besetzung der Posten des Sportdirektors und des Leistungszentrum-Leiters ist nie der Name „Putsche“ gefallen. Sollte er nicht oder wollte er nicht? Putsche entwickelt sich so langsam zum Vereins-Phantom, von dem seit der U23-Abmeldung kaum jemand genau weiß, was eigentlich seine konkreten Aufgaben sind.

1b) Der Trainerposten
Lange hat man sich im sich im Gegensatz zum Vorjahr bei der Suche nach einem neuen Trainer Zeit gelassen. Zunächst hat man vermutlich abgewartet, wie sich die Mannschaft unter Reiter entwickelt. Reiter selbst hat stets betont, gerne als Trainer weiterarbeiten zu wollen, er wurde aber durch den jungen Jan Siewert ersetzt. Für Reiter selbst ist die Entscheidung sicherlich keine Katastrophe: Der ihm übertragene Posten des Leiters des Nachwuchsleistungszentrums ist deutlich krisensicherer als der Schleudersitz an der Seitenlinie. Mit welchen Entwicklungen genau man aber beim Trainer Reiter nicht zufrieden war, wurde nicht näher erläutert. Zumindest kann man davon ausgehen, dass es Kritikpunkte gab, denn eine vollauf zufriedenstellende Entwicklung inklusive eines intakten Trainer-Mannschaftsgespanns wird man kaum freiwillig aufgegeben haben, nur um zu hoffen, dass es mit einem neuen Mann genauso gut laufen möge.

Bei der Trainerauswahl hat man auf ein unverbrauchtes Gesicht gesetzt. Das ist ebenso nachvollziehbar wie bei der Entscheidung pro Winkler, wenn man an die Probleme mit Marc Fascher denkt. Als zweimaliger Aufstiegstrainer war er so felsenfest von seiner gestrigen Erfolgstaktik überzeugt, dass er nie auch nur ein Jota von seiner einschläfernden und am Ende auch noch extrem erfolglosen Breitband- und Langholzspielweise abgerückt ist. Er probierte es lieber mit Personal-Roulette und schickte jede Woche erfolglos andere Flügelspieler aufs Feld - trial and error at its worst! Siewert dagegen wird als Neuling sicherlich auch empfänglicher für Tipps und Ratschläge sein als Marc Fascher. Auch für die nächste Baustelle, die Nachwuchsarbeit, kann sich die Verpflichtung des ehemaligen DFB-Nachwuchstrainers im Grunde nur positiv auswirken.

2) Die Nachwuchsarbeit:
Die B-Jugend hat die höchste Spielklasse gehalten, während die A-Jugend den sofortigen Wiederaufstieg in eben diese geschafft hat. Zudem ist die Seumannstraße als Nachwuchsleistungszentrum vom DFB anerkannt worden – bis zum Ende der U19 läuft es also rund bei RWE. Das große Problemfeld ist der Übergang in den Seniorenbereich. Die Theorie, die Dr. Harttgen im Rahmen der U23-Abschaffung diesbezüglich vorstellte, klang durchaus nachvollziehbar und gut, die praktische Umsetzung muss für das Jahr 1 ohne U23 aber mit „ungenügend“ bewertet werden.
„In Kooperationsvereinen, vor allem in unseren eigenen Mannschaften sowie in den Förderspielen und Fördertrainingseinheiten werden die rot-weissen Talente Spielpraxis auf hohem Niveau sammeln, so bleiben sie bei uns und werden langfristig individuell gefördert,“ frohlockte Harttgen im Mai 2014. Herausgekommen ist eine so große Kluft zwischen A-Jugend und erster Mannschaft wie seit Ewigkeiten nicht mehr, und statt der langfristigen individuellen Förderung hat man zahlreiche Abgänge unter den jungen Spielern zu verzeichnen.

Die Suche nach einem Kooperationsverein als wesentlichen Baustein des neuen Konzepts hatte Harttgen nach der ETB-Absage komplett auf Eis gelegt. Die Förderspiel-Maßnahmen gegen hochklassige Gegner klappten nicht wie geplant, so dass die Verantwortlichen schließlich Probleme bei der Terminfindung für die Spiele einräumen mussten, weil bei allen Mannschaften die Meisterschaft Priorität habe. Eine Erkenntnis, bei der Harttgen und Co. überraschend überrascht wirkten. Meisterschaft hat Vorrang? Wer hätte das denn ahnen können!

Auch Fascher legte keinen allzu großen Wert auf die Förderung von jungen Spielern, A-Jugendliche durften zwar immer mal wieder mittrainieren, kamen oben allerdings ebenso wie Beier und Limbasan keine einzige Minute zum Einsatz. Während Arenz nur sporadische Einsatzzeiten erhielt, durfte einzig Nakowitsch in der Hinrunde bis zu seiner Verletzung mithelfen, die angeschlagene Defensive zu stabilisieren. So setzte Limbasan im Winter die Nachwuchsspielerflucht in Gang. Heute ist Lucas Arenz der letzte Mohikaner in der Regionalligamannschaft, der aus der eigenen Jugend stammt.

Auch aus der diesjährigen A-Jugendmannschaft rückte niemand auf, was bei den vielen Spielern aus dem Jungjahrgang auch nachvollziehbar ist. Aber auch der zum Altjahrgang zählende Kapitän Sinan Özkara verließ RWE in Richtung Oberhausen. Auf die Frage nach dem „Warum“ erklärte Dr. Welling im RWE-Forum, dass man auf der Innenverteidiger-Position keine Planstelle mehr frei habe. Fast zeitgleich verkündete Winkler jedoch über die Reviersport, dass man unter anderem noch einen jungen Backup-Verteidiger suche (den man inzwischen mit Iyad Al Khalaf auch gefunden hat). Seltsamer widersprüchliche Aussagen. Und so haben wir einen 19-Jährigen aus Leipzig (der dort in der Oberliga-U23 nur auf der Bank saß) im Kader, anstelle des Kapitäns der eigenen A-Jugend. Nun ja.

An (mal mehr und mal weniger) nachvollziehbaren Erklärungen, warum man einen A-Jugendlichen nicht hochzieht, mangelt es jedenfalls nicht. Aber das kann natürlich nicht das Ziel sein, wenn man Jugendmannschaften auf höchstem Niveau und ein Nachwuchsleistungszentrum unterhält.
Das Problemfeld „Übergang zu den Senioren“ hat Dr. Welling aber erkannt, benannt und im RWE-Forum am 04. Juni bereits Verbesserungen angekündigt: „Ziel ist es eindeutig, dass wir die Jugend nicht als Alibi haben, sondern dass wir davon wirtschaftlich (Fall Nicolas) oder sportlich profitieren. Die Durchlässigkeit muss größer werden.“ Nur auf ein oder zwei feste Kaderplätze für A-Jugendliche möchte Dr. Welling sich nicht einlassen: „Ziel muss sein, mehr Jugendspieler aus dem eigenen Nachwuchs oben zu integrieren, dabei geht es aber eben nicht um einen Automatismus bei den Kaderplätzen, sondern darum, dass die uns weiterhelfen.“ Schade eigentlich, denn die meisten anderen Regionalliga-Vereine kennen die A-Jugend-Bundesliga nur vom Hörensagen und bilden trotzdem immer wieder Jugendspieler in dem Kader der 1. Mannschaft weiter aus. Auch ein Koop-Partner ist nach wie vor nicht in Sicht.

Trotzdem: Mit den Personalentscheidungen Winkler und Siewert setzte der Verein ein ganz klares Ausrufezeichen dafür, dass in Zukunft die eigenen Nachwuchskräfte wieder stärker gefördert werden sollen. Ebenfalls wurde bereits angekündigt, endlich verstärkt und regelmäßig Förderspiele stattfinden lassen zu wollen (ohne jedoch zu erklären, wie man das Prioritäten-Problem, das sich kaum ändern wird, lösen möchte). Insgesamt dürfen wir sicherlich wieder positiv in die Zukunft schauen, was die Jugendförderung angeht, zumal das Leistungszentrum nun auch neue Möglichkeiten der Spielerbindung eröffnet.

3) Die Leistungsfähigkeit der Mannschaft
Ein genauerer Blick auf die nackten Zahlen in der Abschlusstabelle ist zunächst einmal ernüchternd: Nach 34 Saisonspielen stehen 58 Punkte auf unserem Konto. Nach 34 Spielen der vorherigen Saison waren es 52 Punkte. 6 Punkte Differenz! Und dafür all die umstrittenen Maßnahmen, der erhöhte Mannschaftsetat, der Trainerwechsel, die U23-Auflösung, die enorme Spielerfluktuation ohne Rücksicht auf Vertragslaufzeiten und Identifikationsfiguren? Für lausige sechs Punkt mehr? Immerhin ist man mit den sechs zusätzlichen Punkten im Vergleich zum Vorjahr in der Tabelle um vier Plätze nach oben gerückt, aber es ist kaum vorstellbar, dass man das gleiche Ergebnis nicht auch mit einigen gezielten Neuzugängen, mit weniger Unmut im Umfeld und ohne den Verein auf links zu drehen hätte erzielen können. Jan Siewert wird es auf diese Art und Weise versuchen.

Wie stark oder schwach die Mannschaft nun genau ist, ob sie in der Hinrunde oder in der Rückrunde ihr wahres Gesicht gezeigt hat, kann nach einem Jahr kaum jemand so richtig einschätzen, zu groß waren die Leistungsschwankungen bis zum Schluss. Weitgehende Einigkeit besteht aber darin, dass die Mannschaft nicht so schwach ist wie über weite Strecken der Rückrunde. Umgekehrt ist aber auch die Herbstmeisterschaft eher mit einer Verkettung glücklicher Umstände zu erklären, durch die man nach oben gespült wurde. Wirklich überzeugend gespielt hat man dabei nur gegen Ende der Hinrunde. Wahrscheinlich steht die Mannschaft im Mittel genau da, wo sie auch hingehört: Rund um Platz 5.

Ohne Verstärkungen wird man also nicht ganz oben angreifen können. Bei der Suche nach geeigneten Spielern haben die Verantwortlichen aber noch mit einer Harttgen/Fascher-Altlast zu kämpfen: Die Einhaltung der U23-Regelung. Während unter Wrobel meist schon allein in der Startaufstellung vier U23-Spieler aufzufinden waren, verringerte sich die Anzahl der zu dieser Altersklasse zählenden Spieler im neuen Kader so weit, dass Fascher am Ende genau darauf achten musste, wen er auf die Bank setzt, mit prominenten Tribünen-Opfern als Folge. Und aufgrund der noch vielen laufenden Verträge bei den gleichzeitigen Abgängen von Nakowitsch, Nicolas und Beier mussten die freien Kaderplätze zu einem beträchtlichen Anteil an U23-Spieler vergeben werden. Das führte dann auch zu aus sportlicher Sicht unverständlichen, aber trotzdem nachvollziehbaren Personalentscheidungen: Unter den Fans gibt es zum Beispiel keine zwei Meinungen, ob man auf der linken Seite im nächsten Jahr lieber Steffen oder lieber Hermes wiedergesehen hätte. Aber: Steffen hat noch einen gültigen Vertrag, Hermes nicht mehr. Steffen fällt in der kommenden Saison noch unter die U23-Regelung, Hermes nicht mehr. Und so bleibt eben Steffen dem Kader erhalten in der Hoffnung, dass bei ihm noch ein paar Knoten platzen mögen. Dr. Welling fasste die Problematik am Beispiel Hermes im RWE-Forum wie folgt zusammen: „Wenn wir mit allen Spielern verlängern würden (was sich übrigens in den letzten Wochen hier anders anhörte), dann hätten wir noch immer ein U23 Problem.“

U23-Spieler, die die Mannschaft gleichzeitig verstärken, also Stammplatzpotenzial haben, muss man auch erstmal finden. Ein Trainings-„Casting“ mit jungen Spielern aus ganz Deutschland war die erste sichtbare Konsequenz. Inzwischen hat man hinreichend viele Spieler zwischen Duisburg und Leipzig gefunden und der eine oder andere Name klingt dabei recht vielversprechend.

Darunter befinden sich hoffentlich auch ein paar Kämpfertypen. Denn gerade die Eigenschaften, die in der Hinrunde noch als die ganz großen Stärken der Mannschaft bezeichnet wurden, nämlich stets vollen Einsatz zu zeigen und nach Rückständen (fast) immer zurückzuschlagen, haben sich in der Rückrunde schon früh in das genaue Gegenteil gedreht. Nur ein einziges Spiel wurde nach einem Rückstand nicht verloren (am vorletzten Spieltag in Düsseldorf), und an Rückständen mangelte es wahrlich nicht. Dagegen mangelte es der Mannschaft an Führungsspielern, was auch Fascher schon kurz nach der Winterpause feststellte. Eine überraschende Erkenntnis angesichts der Fülle an erfahrenen Neuzugängen. Dazu kamen einige saft- und lustlose Auftritte, vornehmlich in Heimspielen. So viele demütigende Heimdesaster wie in dieser Saison, teilweise gegen Feierabend-Fußballer, hat dem treuen Publikum zuletzt die Lübeck-Versagertruppe beschert. Diese Pleiten waren zudem unabhängig von Trainer und Spielsystem, auch unter Reiter gab es den blamablen Auftritt gegen den schon abgestiegenen FC Hennef. So musste Reiter anschließend ernüchtert einräumen, dass es „schwer ist, die Spannung in der Liga zu halten, es geht letztlich um nichts mehr.“ Eine Aussage, die einen Schlag ins Gesicht für jeden (treudoofen?) Eintrittskarten-Käufer darstellt, wenn das wirklich die Einstellung diverser Vollzeit-Fußballer aus unserer Mannschaft ist und man Heimpleiten und Katerstimmung unter den Fans billigend in Kauf nimmt. Hier liegt die größte Sorge bezüglich der Leistungsfähigkeit der Mannschaft: Man kann natürlich einen noch so teuren und namhaften Kader haben, aber wenn die Spieler nicht intrinsisch motiviert sind oder immer erst ein Donnerwetter oder ein volles Haus mit Zusatzprämie brauchen, um sich mal wieder ordentlich zu bewegen (dem 1:3 gegen Hennef folgten ein 5:0 gegen Uerdingen und der Pokalerfolg), dann wird sich das angespannte Verhältnis zwischen Mannschaft und Fans auch in Zukunft nur schwierig verbessern lassen.

4) Das Verhältnis Mannschaft – Fans
Das Pfeifkonzert, mit dem die Mannschaft nach dem letzten Saison-Schlusspfiff gegen Köln II in die Kabine geschickt wurde, lässt darauf schließen, dass auch der wichtige Pokalerfolg gegen RWO die vorhandenen atmosphärischen Störungen kaum kitten konnte. Denn als RWE-Fan weiß man aus Erfahrung: Große Pokalspiele vor vollem Haus sind ganz schlechte Gradmesser für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit und des allgemeinen Einsatzwillens einer Mannschaft. Selbst die „Lübeck-Versager“ von 2008 haben uns tolle Pokalfights beschert und den Verein nicht nur im DFB-Pokal überwintern lassen, sondern kurz vor dem Lübeck-Spiel auch noch den Niederrheinpokal gegen Düsseldorf gewonnen. Schon heute kann man also sicher davon ausgehen, dass wir eine höchst motivierte Truppe in der ersten Hauptrunde gegen Düsseldorf sehen werden. Die entscheidende Frage ist aber, ob dieselben Spieler gegebenenfalls eine Woche später gegen Erndtebrück ähnlich motiviert sein werden?

Gegen Köln II waren sie es jedenfalls nur bedingt. Der sorglose Umgang der Mannschaft mit der zwischenzeitlichen 1:0-Führung gegen einen durch Platzverweis dezimierten Gegner sorgte für Verärgerung und man fragte sich, ob die für viele Anhänger symbolische Bedeutung, am Ende vor RWO zu stehen, allen Spielern bewusst war – und falls ja, ob es sie in irgendeiner Form interessierte?
Es gibt also noch viel zu tun in den kommenden Wochen, um eine positive Grundstimmung für die kommende Saison zu erzeugen. Eines ist aber jetzt schon sicher: An den von Harttgen noch so vernachlässigten und unterschätzten Austauschmöglichkeiten zwischen Fans und Mannschaft wird es in diesem Jahr nicht mangeln, diese Lehre hatte Dr. Welling schon im vergangenen Herbst gezogen. Hoffentlich werden diese Gespräche den Effekt haben, dass die Mannschaft etwas mehr Kredit als im Vorjahr genießt und nicht erneut schon nach der ersten Niederlage der Baum brennen wird. Die Gefahr droht nämlich durchaus, denn nach vier Jahren Regionalliga bzw. sieben Jahren Amateurfußball am Stück stellt sich inzwischen so etwas wie Lagerkoller in der Westkurve ein.

Durch personelle Fehlentscheidungen (Wagner, Neunaber), durch die ignorierten Einladungen zu gemeinsamen Abenden mit den Fans (s.o.), durch das Über-die Stränge-Schlagen einzelner Idioten aus den Fanreihen (z. B. in Rellinghausen) und durch die darauf folgenden auch nicht immer sonderlich diplomatischen Reaktionen von einzelnen Spielern oder der ganzen Mannschaft (z.B. in Siegen) ist das Verhältnis früh und leider auch nachhaltig gestört worden. Selbst der zwischenzeitliche Erfolg mit der Herbstmeisterschaft und der aufkommenden Euphorie vor dem Aachen-Spiel konnte vorübergehend nur die Symptome bekämpfen, aber nicht die Ursache für die atmosphärischen Störungen beseitigen.

Wenn man sich als RWE-Fan schon Spiele um die goldene Ananas vor handgezählten 18 Gästeanhängern aus Hennef oder Rödinghausen anschaut, dann will man wenigstens attraktiven Fußball sehen und das Kommen nicht schon nach 15 Minuten bereut haben.
Das haben auch Dr. Welling und Co. erkannt und als Konsequenz eine Hafenstraßen-Spielphilosophie definiert, die der neue Trainer akzeptiert hat und die im Kern vor allem folgendes vorsieht: Wir zwingen dem Gegner unser Offensivspiel auf! Genau das muss auch der Anspruch sein, denn unsere Mannschaft möchte oben mitspielen, also hat sich der Gegner an der Hafenstraße gefälligst nach uns zu richten. Unsere Mannschaft agiert, der Gegner soll nur reagieren können – mit dem Ziel, auf diese Art und Weise von Beginn an das Publikum mit ins Boot zu holen und den Funken vom Platz auf die Tribünen überspringen zu lassen – aus Hafenstraßen-Fußball soll Hafenstraßen-Atmosphäre folgen. Fascher setzte zwar auch auf ein auf dem Papier offensives Spielsystem, die träge Umsetzung sorgte jedoch dafür, dass das Publikum eher einschlief als mitging – im günstigsten Fall. Die festgelegte Spielphilosophie könnte ein Schlüssel dafür sein, das gestörte Verhältnis wieder zu entspannen: Pressing und die damit zwingend verbundene hohe Laufbereitschaft kamen in Essen jedenfalls immer gut an.

Identifikationsfiguren wie Wagner, Kampfschweine wie Landgraf, echte Typen auf dem Platz wie Goldbaek – das sind Spielerkategorien, die ebenfalls Einfluss auf die gesamte Stimmung haben können. In Oberhausen hat man zurzeit einen „Local Hero“ Steinmetz, der letzte Saison noch in der Landesliga für Klosterhardt gespielt hat und in seinem Regionalliga-Premierenjahr bereits 10 Treffer erzielen konnte und direkt zum Publikumsliebling avancierte. An solchen oder ähnlichen Spielertypen mangelte es unserer neuen Mannschaft, aber das Publikum scheint geradezu nach solchen Spielern zu lechzen. Die Beispiele Soukou und Grund untermauern diese These, denn wie ist es sonst zu erklären, dass Kevin Grund nach seinem ersten richtig starken Saisonspiel in Wattenscheid mit Standing-Ovations verabschiedet und die Nachricht über die Vertragsverlängerung mit großer Freude zur Kenntnis genommen wurde? Unter Wrobel war er zwar stets Stammspieler, unter den Fans hatte er aber einen eher neutralen, jedenfalls keinen Publikumsliebling-Status. Es reichte also aus, dass er einfach nur der dienstälteste RWE-Spieler ist und hinreichend Stallgeruch besitzt, um in der Fangunst „befördert“ zu werden. Das hat er aber auch verdient, schließlich hat er sich nach der Bank-Degradierung bzw. fast schon Ignorierung durch Fascher nie öffentlich beklagt.

Auch Soukou hat die Doping-Affäre vermutlich nur aufgrund seines hohen Standings beim Publikum weitgehend schadlos überstanden. Er war der einzige Akteur, der aus dem starren Fascher´schen Spielsystem ausbrach und mit seinen unkonventionellen Dribblings so etwas wie Überraschungsmomente für die Gegner ins Spiel brachte. Kein anderer Spieler konnte durch die eigene Spielweise das Publikum mitreißen, man verzieh ihm dann auch schwächere Spiele, in denen er sich häufig fest dribbelte. Vor allem aber hat das Publikum ihm die Doping-Geschichte verziehen, obwohl sie dem Verein einen Punkt kostete und sein Ausfall das Offensivspiel merklich schwächte. Man stelle sich einmal vor, der Dopingvorfall wäre nicht Cebio, sondern einem Neunaber oder Kreyer passiert. Man hätte ihnen vermutlich raten müssen, immer einen Sicherheitsabstand von mindestens 50 Metern zur Westkurve einzuhalten.

Zwei Spieler also, die vor allem davon profitierten, dass sie schon länger an der Hafenstraße spielen, nicht nach Fascher riechen und das Publikum mit den neuen Spielern bislang nicht richtig warm geworden ist. Es wäre schön, wenn unter den neuen Spielern der eine oder andere Spieler wie Soukou ein wenig aus der Masse heraussticht und auf den sich das Publikum freuen kann.

Fazit:
Der Verein bewegt sich wieder in die richtige Richtung! Vor allem orientiert man sich wieder an Werten und Philosophien aus der prä-Harttgen´schen Zeit, back to the roots also. Bereits an Kleinigkeiten merkt man, dass die kurze Ära Harttgen vorbei ist. So werden zum Beispiel wieder Vertragslaufzeiten bekanntgegeben - offenbar konnte den Sinn und Zweck des Verschweigens der Laufzeiten niemand im Verein nachvollziehen. Aber auch größere Angelegenheiten werden wieder anders gelöst. Der neue Trainer scheint gewillt zu sein, mit dem Kern der Mannschaft zu arbeiten, die er hier vorfindet, auch wenn er nur an wenigen Verpflichtungen selbst beteiligt war. Die durch das Schwingen der „Du-machst-hier-kein-Spiel-mehr“-Keule erzwungenen Vertragsauflösungen unter Fascher gibt es bei Siewert nicht. Keiner wird rausgeschmissen, beim bislang einzigen Fall mit Neunaber sind beide Seiten mit der Entscheidung zufrieden - ohne jedes böse Wort.

Auch die unschöne Art und Weise der Entlassung Wrobels, der tagelang von der bereits getroffenen Entscheidung nichts ahnte, wurde bei Fascher nicht wiederholt, obwohl die sportliche Situation vergleichbar war (wichtiges Pokalspiel vor der Brust und in der Meisterschaft jenseits von Gut und Böse) und damit dieselben Argumente für eine solche Entlassung wieder aktuell gewesen wären. Als wir Dr. Welling beim letzten Video-Interview darauf ansprachen, kam heraus, dass dieselbe Art und Weise der Entlassung bei Fascher nicht mal als Option in Betracht gezogen und diskutiert wurde. Der Verdacht liegt also nahe, dass Uwe Harttgen im Aufsichtsrat in viel stärkerem Maße der Kopf und die treibende Kraft im Falle der Art und Weise der Wrobel-Entlassung war als es Dr. Welling vor einem Jahr zugeben konnte und wollte.

Der kühle Nordwind ist also endgültig vorbeigezogen und es „menschelt“ wieder ein wenig an der Hafenstraße. Ob das ein erfolgversprechenderer Weg ist, weiß man noch nicht, es ist aber definitiv ein sympathischerer und sorgt für weniger Unmut.

Winkler und Siewert sind die richtigen Leute, um das Jugendproblem zu lösen. Spätestens am Ende der kommenden Saison, wenn gleich ein ganzes Dutzend von interessanten A-Jugendlichen in den Seniorenbereich wechseln wird, kann sich herausstellen, wie ernsthaft man die guten Vorsätze vorantreibt. Dann bleibt noch der sportliche Erfolg der ersten Mannschaft. Sie wird noch beweisen müssen, dass die lausige Rückrunde in erster Linie mit dem starren Fascher´schen Spielsystem zu begründen ist, in das sie gezwängt wurde, und dass sie sich auch in weniger wichtigen Spielen motivieren und dem Publikum ordentlichen Sport bieten kann. Aber trotz aller Bedenken sollten wir der Mannschaft eine faire zweite Chance geben, die – so sagte es Dr. Welling im Video-Interview – auch noch einen Hafenstraßen-Lernprozess durchmachen musste. Die neue Spielphilosophie wird dabei hoffentlich ihre zusätzliche Wirkung auch nicht verfehlen.