08.03.2015

Torlos weiter in die Krise

von Fabian Jerrentrup

Fußball kann so kompliziert sein. Über 90 Minuten mühten sich die Rot-Weissen ein Tor zu erzielen, aber ein Mix aus Inkonsequenz, Pech, mangelndem Selbstbewusstsein und wenig vorhandener Kreativität verhinderte den Torerfolg, den die Mannschaft als Mutmacher derzeit so dringend benötigt. Am Ende genügte dem Gegner eine zielstrebige Einzelaktion zu drei Punkten, der damit punktgenau aufzeigte, woran es RWE momentan mangelt.

Nur knapp 1.000 Essener taten sich die nächste Niederlage anDie Entscheidung, die Partie im Borussia Park auszutragen, hatten die Verantwortlichen am Niederrhein bestimmt schon vor etlichen Wochen gefällt, als Rot-Weiss Essen als Herbstmeister noch auf Großes zu hoffen wagte. Gestern wirkte das Stadion mindestens drei Nummern zu groß, und mit dem Supportverzicht auf Essener Seite und einer Gladbacher Fanszene, die zum Zeitpunkt des Anstoßes schon auf dem Weg nach Mainz war, ergab sich eine ziemlich trostlose Atmosphäre. Die Gästefans zeigten Mitte der Zweiten Halbzeit kreativ-ironisch, warum der Block diesmal schwieg: „Wir wollten ja singen, aber auf unseren Zungen lastet ein Fluch“. Ob Marc Fascher diese Spitze zur Kenntnis genommen hat, ist nicht überliefert. Sollten auf Essener Seite allerdings Überlegungen bestehen, in den nächsten Auswärtsspielen wieder auf den Support zu verzichten, ließe sich das eventuell noch mit „mangelnder Erfahrung“ der Fanszene begründen…

Damit aber genug der Trainerschelte, auf dem Platz zeigte sich die Truppe von Fascher nämlich von der ersten Minute an deutlich verbessert. Mit vier Änderungen im Vergleich zum Kray-Spiel in die Begegnung gestartet, machten die in schwarz gekleidete Gäste Druck und waren bemüht, die Kontrolle über das Spiel zu übernehmen. Nach zehn Minuten ergab sich die erste große Chance, als der Schiedsrichter nach einer unübersichtlichen Situation wegen gefährlichen Spiels auf indirekten Freistoß für RWE im Strafraum entschied. Tim Hermes traf allerdings nur eins der zahlreichen weißen Abwehrbeine und der Ball trudelte zur Ecke. Hermes war es auch, der nach einem Freistoß aus über 30 Metern einfach mal drauf hielt und das Tor nur knapp verfehlte. Vor allem über die Außen Kevin Freiberger, Hermes und Linksverteidiger Patrick Huckle kombinierte sich RWE manchmal sogar recht ansehnlich nach vorne, den Flanken oder den folgenden Abschlüssen fehlte aber entweder die Präzision oder die Durchschlagskraft. Die gastgebende Borussia blieb in der Offensive über Einzelaktionen von Marlon Ritter oder RWE-Schreck Guiseppe Pisano (fünf Tore in den letzten vier Spielen gegen Essen) gefährlich, so dass die wohl großzügig gezählten 1.500 Zuschauer eine muntere erste Halbzeit sahen. Lediglich der Schiedsrichter hatte einen kleinlichen Tag erwischt und verteile großzügig gelbe Karte, sodass der kurz vor der Halbzeit verwarnte Philipp Zeiger in der nächsten Woche im Heimspiel gegen einen unbekannten Gelsenkirchener Stadtteilverein gesperrt ist.

Marc Fascher änderte die Startelf auf vier PositionenMit dem Spielerwechsel von Marvin Studtrucker für Freiberger begann die zweite Spielhälfte, in der das Spiel etwas abflaute. Björn Kluft, der in den ersten 45 Minuten endlich mal sein lange beschworenes Potential andeuten konnte, ging langsam die Puste aus, sodass auch er nach 64 Zeigerumdrehungen duschen durfte und Sven Kreyer kam, der nach den Vorkommnissen nach dem Kray-Spiel bei seiner Einwechslung mit Pfiffen bedacht wurde. Wenige Sekunden vorher hatten die Essener großen Dusel, als ein Flachschuss von Ritter an den Innenpfosten prallte, und mit viel Effet durch den Fünfmeterraum zur Ecke kullerte. Kurze Zeit später ging Kreyer im Strafraum zu Fall, und was aus 100 Metern Entfernung im Gästeblock schon nach Strafstoß roch, war wohl auch einer, sodass auch Fohlen-Coach Sven Demandt nach dem Spiel zugeben musste, dass er sich über einen Elfmeter wohl nicht hätte beschweren können.

So kam es fünf Minuten später auf der anderen Seite zur spielentscheidenden Szene, als sich Marlon Ritter an der Mittellinie gegen Leon Binder durchsetzen und beinahe ungestört bis in den Strafraum davon ziehen konnte, ehe der angeflogene Richard Weber seinen Schuss unhaltbar für Niclas Heimann ins eigene Tor ablenkte. Der psychische Knacks der Mannschaft war förmlich zu spüren. Auch wenn RWE danach noch zu etlichen Chancen kam und sich in der Nachspielzeit eine Eckenserie erkämpfte, war nach dem Tor zum 0:1 auf den Rängen und wohl auch auf dem Platz im Unterbewusstsein verankert, dass es heute wohl wieder eine Niederlage setzen wird.

Der letzte Glaube an die eigenen Stärken, dass das Spiel wirklich noch gedreht oder zumindest ausgeglichen werden kann, war bei einigen Spielern nicht zu sehen. Und so hatte man sich irgendwie schon mit der Niederlage abgefunden, als der Schiedsrichter um 17:21 Uhr die Partie abpfiff. Die komplette Mannschaft bildete demonstrativ direkt nach Spielschluss einen Kreis auf dem Spielfeld, aber ob es dabei wirklich um Teamgeist und den Glauben an die eigene Stärke oder doch eher um ein inhaltsleeres Symbol ging, werden erst die kommenden Spiele zeigen. Die „Fascher raus“-Rufe nach dem Spiel waren schon deutlich lauter als nach dem letzten Spiel, und das lag nicht nur an der Akustik eines leeren Bundesligastadions. Die Mannschaft kam noch einmal Richtung Block und holte sich von Teilen der Fans den nachvollziehbaren und nicht unverdienten Applaus für ein deutlich verbessertes Spiel ab, aber wenn selbst Niederlagen schon beklatscht werden, erkennt man die Hilflosigkeit der aktuellen Situation.

Nach der vierten 0:1-Niederlage im fünften Spiel nach der Winterpause ist für den einstigen Herbstmeister der Aufstiegsexpress endgültig abgefahren, bei elf Punkten Rückstand und möglichen 14 Zählern auf die Borussia aus Mönchengladbach, die noch zwei Nachholspiele vor der Brust hat, muss selbst der kühnste Träumer aufwachen. Und auch der Verweis auf die Hinrunde hilft nicht, damals war die Situation mit dem zunächst überragenden und dann traditionell einbrechenden Spitzenreiter aus Köln eine ganz andere als jetzt in der Rückrunde, wo mehrere Mannschaft souverän ihre Spiele gewinnen und die zu absolvierenden Partien immer weniger werden. Gegen die gleichen Gegner, gegen die im Jahr 2015 nur drei Punkte und ein einziges (!) Törchen heraussprangen, holte RWE im August/September 2014 bei einem Sieg und drei Unentschieden sechs Punkte und schoss zwölf Tore. Zur Erinnerung, damals war das in der subjektiven Wahrnehmung ein katastrophaler Saisonstart.

Der "Fluch" ist mittlerweile auch auf den Tribünen angekommenDoch während es vor sechs Monaten hauptsächlich darum ging, die löchrige Defensive zu verbessern, was dank einiger personeller und taktischer Änderungen gelang, steht diesmal das komplette Offensivspiel, ja die komplette Spielidee zur Debatte. In der Hinrunde reichte die spielerische Klasse der Einzelspieler in Kombination mit einer hervorragenden Ausbeute aus Standardsituation, um die beste Offensive der Liga zu stellen, die auch bei einem Gegentor noch problemlos gewinnen konnte. Zu Beginn des Frühlings 2015 blüht bei RWE überhaupt keine offensive Spielkultur mehr. Reihenweise befinden sich Spieler im Formtief (Kreyer, Platzek, Studtrucker), und die Gefährlichkeit nach ruhenden Bällen ist scheinbar komplett im Winterschlaf geblieben und kann die bereits in der Hinrunde schon in Ansätzen zu erkennende Einfallslosigkeit nicht mehr überdecken. Dass ausgerechnet Cebio Soukou, der wie kein Zweiter für überraschende Momente und Spielwitz im Spiel nach vorne steht, nun bis Saisonende gesperrt ist, tut doppelt und dreifach weh.

Um Spiele erfolgreich zu bestreiten, muss das Runde ins Eckige. Momentan ist es kaum vorstellbar, wie in den nächsten Begegnungen überhaupt noch Tore fallen sollen. Aber weil wir die Hoffnung nicht verlieren wollen, erwähnen wir an dieser Stelle nicht, dass die Mannschaft bereits seit 289 Minuten ohne Erfolgserlebnis ist. Die längste Serie in der Meisterschaft seit Herbst 2011. Damals war der Verein gerade wieder aus fünften Liga aufgestiegen, der Trainer hieß Waldemar Wrobel, auf dem Platz standen Aufstiegshelden wie Suat Tokat, Meik Kuta, Dennis Lamczyk und Lukas Lenz. Seitdem sind einige Spielzeiten vergangen, Trainer wurden entlassen, Vorstände Sport wurden berufen, und der Spieleretat wurde kontinuierlich erhöht. Das Ergebnis ist, dass nun wieder zweieinhalb Monate voller „Freundschaftsspiele“ vor uns liegen. Und trotzdem, am nächsten Samstag ist man wieder im Stadion, um sich einen weiteren uninspirierten Grottenkick anzusehen. Und am Ende bleibt die Hoffnung: Jede Serie muss ja mal ein Ende haben.


Jawattdenn-Spielerbewertung (folgt)

Niclas Heimann
Heimann
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Leon Binder
Binder
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Philipp Zeiger
Zeiger
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Richard Weber
Weber
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Patrick Huckle
Huckle
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Tim Treude
Treude
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Benjamin Baier
Baier
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Tim Hermes
Hermes
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Björn Kluft
Kluft
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Kevin Freiberger
Freiberger
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Marcel Platzek
Platzek
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Marwin Studtrucker
Studtrucker
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Sven Kreyer
Kreyer
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Tobias Steffen
Steffen
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Borussia Mönchengladbach II

Blaswich, Rütten, Knipping, Stang, Zimmermann, Sezer, Dahoud (90. Holzweiler), Schulz (46. Berauer), Ritter, Pisano, Rodriguez (79. Brandenburger)

 

Rot-Weiss Essen

Heimann, Binder, Weber, Zeiger, Huckle (75. Steffen), Treude, Baier, Hermes, Kluft (62. Kreyer), Platzek, Freiberger (46. Studtrucker)

 

Tore

1:0 Ritter (70.)

 

Zuschauer

1.500

 

Schiedsrichter

Andreas Steffens

 

Gelbe Karten

Schulz, Zimmermann, Rodriguez, Dahoud - Zeiger (5. Gelbe Karte), Treude (1. Gelbe Karte), Hermes (4. Gelbe Karte)