Das haben wir uns anders vorgestellt oder Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Winterpause der Zweitliga-Saison 2006/07. Die Hälfte der Saison ist gelaufen und RWE steht mit 13 Punkten auf dem vorletzten Tabellenplatz. Fünf Punkte beträgt bereits der Rückstand zum rettenden 14. Platz. Keine Frage: Damit kann man als RWE-Fan nicht nur nicht zufrieden sein, denn es ist eher schon zum verzweifeln. Zum vierten Mal nach den Aufstiegen 1993, 1996 und 2004 droht dem Verein abermals der sofortige Abstieg. Eine Vorstellung die einem Angst und Bange machen kann, da in der nächsten Saison im Unterbau des Profifußballs die Qualifikation für die eingleisige 3. Liga ab der Saison 2008/09 ansteht, die einen knüppelharten Wettbewerb um die Plätze verspricht. Im schlimmsten Fall droht RWE die Viertklassigkeit ab 2008. Folgt ein neuerlicher Sturz ins Niemandsland? Wie konnte es nur so weit kommen? Nach dem nicht unbedingt euphorisch gefeierten - aber doch mit großer Genugtuung erlebten und keineswegs selbstverständlichen - direkten Wiederaufstieg unter Uwe Neuhaus im Mai dieses Jahres, haben sicherlich die allerwenigsten mit dem Trauerspiel gerechnet, das sich in den letzten Monaten an der Hafenstraße entwickelt hat.

Noch vor dem ersten Saisonspiel in Kaiserslautern legte der sportliche Leiter Olaf Janßen die Messlatte der Erwartungshaltung im treuen RWE-Umfeld sehr hoch, in dem er prognostizierte: "Ich bin sicher, dass RWE diese Saison mit dem Abstieg nichts zu tun haben wird." Das glaubten die Meisten und es erschien auch durchaus glaubhaft. Die Voraussetzungen schienen durchaus viel versprechend: Mit Ali Bilgin wurde nur ein Leistungsträger der Aufstiegsmannschaft abgegeben, dazu wurden mit Neuzugängen wie Kläsener, Hysky, Grammozis Spieler mit Bundesligaerfahrung an die Hafenstraße geholt, mit dem Portugiesen Paulo Sergio Rodriguez eine vermeintliche Offensiv-Granate, zusätzlich noch mit Pascal Bieler von den Hertha-Amateuren ein junges hoffnungsvolles Talent ausgeliehen. Das sah auf dem Papier erstmal ganz ordentlich aus. Nicht ganz erschloss sich dem gemeinen Fan der Sinn, mit dem Marokkaner Karim Zaza sowie dem Ex-RWO-Keeper Daniel Masuch noch zwei zusätzliche Torhüter zu verpflichten, so dass RWE sich den fragwürdigen Luxus erlaubte, gleich vier Keeper im Kader zu haben. Sicherlich ein Novum, welches schon Stirnrunzeln auslöste, zumal keiner der bisher spielenden Keeper sich so präsentierte, dass er als unumstritten gelten kann.

Im Großen und Ganzen kann man den Verlauf der Hinrunde in 3 Phasen einteilen. Der Start in die Saison gab zunächst eher den Optimisten Recht: nach sechs Spielen hatte die Mannschaft acht Punkte geholt und stand damit recht gesichert im Mittelfeld. Ein Fehlstart wie in den vergangenen Zweitligajahren wurde damit vermieden, ein erstes Ziel damit erreicht. Starke, aber leider nicht belohnte Auftritte bei den Bundesliga-Absteigern Kaiserslautern und Köln mit unglücklichen 0:1-Niederlagen wechselten sich dabei mit eher unspektakulären, aber durchaus erfolgreichen Vorstellungen ab. Es folgten jeweils 2:0-Heimsiege gegen Freiburg und Braunschweig, ein 0:0 in Augsburg sowie ein spektakuläres 4:4 gegen Mitaufsteiger Jena, wobei in diesem Spiel aus RWE-Sicht bereits zwei Punkte verschenkt wurden, da man ein 3:1 bzw. 4:2 nicht über die Zeit retten konnte. Erinnerungen wurden erstmals wach. Trotzdem blieb nach sechs Spieltagen der Gesamteindruck: wir liegen im Soll.

Phase 2 der Hinrunde dauerte vom 7. bis 14. Spieltag inklusive und kann bei allem Wohlwollen nur als einzige Katastrophe bezeichnet werden. Das Elend im Detail: 0:1 bei bis dahin sieglosen Offenbachern nach absolut indiskutabler Leistung! Ein 2:2 zu Hause gegen den Paderborner SC nach 2:0- Führung bis zur 89. Minute; ein Spiel aus der Rubrik: "dümmer kann man einen sicher geglaubten Sieg nicht mehr herschenken". Unglücklich dann 1:2 zu Hause gegen Karlsruhe durch einen Sonntagsschuss in der 90. Minute verloren, kraftlos 0:2 bei München 60 vergeigt, 0:1 zu Hause gegen Koblenz, 1:2 in Unterhaching, 0:1 gegen Aue, 0:2 in Rostock. Abstiegsplatz nach 14 Spieltagen. In diesen acht Spielen holte die Mannschaft genau einen von 24 möglichen Punkten und stürzte mit dieser Ausbeute logischerweise im Steilflug ans Tabellenende, was Trainer Uwe Neuhaus bereits nach dem 0:1 am 11. Spieltag gegen Koblenz den Job kostete. Der Aufstiegstrainer präsentierte sich in dieser Phase zunehmend hilf- und ideenlos und machte nicht den Eindruck, die Truppe aus der verfahrenen Situation bald wieder herausbringen zu können. Von daher konnte seine Entlassung im schnelllebigen Fußballgeschäft niemanden verwundern, zumal man die Situation vor zwei Jahren, als man den Trainerwechsel erst vollzog, als es zu spät war, nicht wiederholen wollte.

Auch die kurzzeitig angestrebte Interimslösung mit Olaf Janssen in Doppelfunktion als Sportlicher Leiter und Trainer bewährte sich nicht. Nach dem 1:2 in Unterhaching unter seiner Trainerregie, wurde mit Lorenz-Günter Köstner folgerichtig ein neuer Trainer verpflichtet, der ursprünglich scheinbar nicht die erste Wahl der Verantwortlichen war, der aber durchaus über genügend Zweitligaerfahrung verfügt, um ihm grundsätzlich den Klassenerhalt mit RWE zutrauen zu können. Von daher eine nachvollziehbare Verpflichtung. Wobei allerdings auch ein Köstner nicht zaubern kann!
Die ersten beiden Spiele unter seiner Regie gingen ebenfalls noch verloren, 0:1 zu Hause gegen Aue, sowie 0:2 bei den starken Rostockern. Danach aber trugen seine Bemühungen erste Früchte und die kurze Phase 3 der Hinrunde von Spieltag 15-17 ist genau das, was die kleine Flamme der Hoffnung an der Hafenstraße noch am Glimmen hält: ein frenetisch gefeierter 1:0-Sieg gegen Fürth am 15. Spieltag, ein Hochverdientes 1:1 beim Mitkonkurrenten Burghausen eine Woche später (mit dem ersten selbst erzielten Auswärtstor! in der ganzen Hinrunde) sowie eine überaus unglückliche 1:2 Heimniederlage in der Nachspielzeit gegen den Aufstiegsaspiranten MSV Duisburg beim letzten Auftritt vor der kurzen Winterpause.

In den letzten drei Spielen war ein deutlicher Aufwärtstrend zu erkennen. Es macht Mut, dass die Mannschaft in diesen Spielen deutlich anders auftrat als in den Wochen zuvor. Endlich wurde bis zum Umfallen gelaufen und geackert, endlich sah man schon verloren geglaubten Kampfgeist, der auch die Fans wieder mit ins Boot holte und man sah nach schweren Wochen auch mal wieder hoffnungsvolle und spielerische Ansätze. Einzig die Chancenverwertung und Effektivität lässt sich sicher noch steigern und das muss sie auch, wenn RWE noch eine Chance haben will, die Klasse zu halten. Letztlich war es wie so oft, es wurde ein immenser Aufwand betrieben, der aber nicht adäquat belohnt wurde. Nun, was sind die Gründe bzw. Ursachen für das desolate Abschneiden der Rot-Weißen in der Hinrunde? Sicherlich spielen hierbei mehrere Faktoren ineinander.


1) Einkaufspolitik:
Die Personalplanung bzw. die Einkaufspolitik des verantwortlichen Duos Janssen / Neuhaus vor der Saison war im Nachhinein eher suboptimal. Es wurde großen Wert auf die Defensive gelegt, was sich in einem Kader mit vier Keepern und neun Abwehrspielern auch überdeutlich ausdrückt. Die Kreativabteilung im Mittelfeld sowie der Sturm wurden fatalerweise vernachlässigt. So fehlte beispielsweise ein echter Spielmacher vom Typ Nr.10, der den Ball halten, das Spiel gestalten, das Tempo bestimmen und die Spitzen vernünftig in Szene setzen kann. Die Folge war eine doch sehr durchschaubare Spielanlage mit langen hohen Bällen auf die oft einzige Spitze Löbe, der damit natürlich überfordert war. Dies entschuldigt die Harmlosigkeit der rot-weißen Offensivabteilung aber nur teilweise.

Der sichtlich in die Jahre gekommene Sturm mit Löbe und van Lent konnte seine Zweitligatauglichkeit nur sehr selten (Löbe) bzw. verletzungsbedingt nie (van Lent) unter Beweis stellen, zudem verletzte sich mit Boskovic ein weiterer Stürmer bereits im ersten Spiel und kam nie richtig in Tritt. Da die Verletzung von van Lent aus der Vorsaison ein durchaus absehbares Risiko darstellte, rächte sich hier bitterlich die Tatsache, dass der Verein in der Sommerpause nicht noch mindestens einen jungen zweitligatauglichen Stürmer mehr verpflichtet hatte. Weiterhin fiel auf, dass der einzige nennenswerte Abgang, nämlich Ali Bilgin, Typ offensiver und torgefährlicher Mittelfeldspieler, nie adäquat ersetzt werden konnte. Diese Rolle wurde wohl ursprünglich dem Portugiesen Paulo Sergio zugedacht, der sich aber ebenfalls in der Vorbereitung verletzte und die in ihn gesetzten Erwartungen bisher nie erfüllen konnte. Hinzu kam, dass auch Leistungsträger der Aufstiegssaison wie z.B. Haeldermans, Wehlage, Bemben oder auch Grammozis weit unter ihren Möglichkeiten blieben und in der Verfassung, in der sie sich präsentierten, der Mannschaft nur selten wirklich helfen konnten.


2) Psychologie:
Es fällt ins Auge, dass die Mannschaft nach ordentlichem Start zunehmend verunsicherter, mitunter nicht motiviert genug auftrat, wobei sich Letzteres unter Köstner deutlich besserte. Besonders auswärts trat man nach den ersten guten Auftritten in Lautern und Köln zunehmend als verunsicherter Punktelieferant auf, der nahezu jeden schwächenden Gegner wieder aufbaute. Egal ob dieser Offenbach, München 60, Unterhaching oder ausnahmsweise zu Hause Koblenz hieß. Keiner dieser Gegner präsentierte sich wirklich stark, in diesen Spielen wurden Punkte völlig unnötig liegen gelassen. Genauso unerklärlich bleiben die vielen späten Gegentore im eigenen Stadion, die insgesamt sieben Punkte kosteten. Könnte man die Niederlagen gegen die Spitzenteams KSC und MSV noch eher als sehr unglücklich abtun, so fielen die leichtfertig hergeschenkten Siege gegen Jena und vor allem Paderborn nach beruhigenden Vorsprüngen eindeutig unter die Kategorie "eigene Dummheit". Beide Spiele hatte man im Prinzip schon gewonnen, wahrscheinlich innerlich schon verbucht, das böse Ende ist bekannt.

Dass solche Punktverluste nun richtig schmerzen und nicht gerade das Selbstvertrauen einer Mannschaft fördern, müsste jedem klar sein. Vielleicht erklärt das auch die zunehmenden individuellen Fehler in der Defensive, die in den ersten Saisonspielen überwiegend sicher auftrat, zuletzt aber auch anfing zu wackeln. Es ist im Nachhinein müßig, darüber zu spekulieren, ob die beiden Heimspiele gegen Paderborn und Karlsruhe am 8. und 9. Spieltag ein Knackpunkt nach unten waren, rückblickend spricht jedoch vieles dafür. Zumindest waren sie für Uwe Neuhaus der Anfang vom Ende. Erst gegen Ende der Hinrunde, unter dem zunehmenden Einfluss Köstners, konnte sich das Team von diesen Nackenschlägen wieder erholen.


3) Das Schicksal bzw. der Pechfaktor:
Hierunter könnten die unglücklichen Last-Minute-Niederlagen gegen Karlsruhe und Duisburg sowie das Verletzungspech potenzieller Leistungsträger wie Wehlage, Grammozis, Boskovic und Haeldermans fassen. Wird ein verunsichertes Team dann noch mit einer haarsträubenden Schiedsrichterleistung wie beim Spiel gegen Aue konfrontiert (mit der mehr als fragwürdigen Herausstellung von Mouhani), die möglicherweise spielentscheidend war, dann hadert man mitunter schon mal mit dem Schicksal. Aber diese Probleme haben andere Teams auch, von daher reichen sie als Erklärung für das schwache Abschneiden nicht aus. Es wird sicherlich sauschwer, die Klasse noch zu halten. Völlig aussichtslos ist es nicht.


Fazit:
Wie sich der neue Trainer Köstner und die Mannschaft in den letzten Spielen präsentiert haben, lässt durchaus noch hoffen. Zudem hat sich das Umfeld an der Hafenstraße wieder etwas beruhigt, die Fans stehen wieder hinter der Mannschaft, was in der Hinrunde oft genug nicht der Fall war. Köstner hat sich inzwischen sein Bild vom vorhandenen Kader gemacht, er vertraut offenbar zunehmend den Jungen, (Özbek, Calik, Kiskanc) was diese bisher mit unbändigem Kämpferherz und Leistung zurück zahlen. Durch die Winterpause hat er endlich etwas Zeit, im Kader Feinjustierungen vorzunehmen und die Mannschaft auf die für den Verein so entscheidende Rückrunde einzustellen.

Zudem bleibt die Hoffnung, dass personelle Fehler erkannt wurden und in der Winterpause beim größten Sorgenkind, dem Sturm, personell noch mal nachgelegt wird. Hier sollten die Erwartungen aber nicht zu hoch angesetzt werden, man sollte realistisch bleiben. Der Kader ist zur Zeit groß und teuer, der finanzielle Spielraum von RWE ist recht begrenzt, es gilt zunächst, einige Leute, die RWE nicht mehr helfen können, aus dem Gehaltsgefüge zu bekommen, um finanziell Luft für neue Leute zu gewinnen. Trotzdem bleibt die Hoffnung auf zumindest 1-2 offensive Verstärkungen. Daran muss in der kurzen Winterpause mit aller Kraft gearbeitet werden.

51 Punkte sind noch zu vergeben, fünf Punkte gilt es, aufzuholen. Das ist eine Menge Holz; bedenkt man jedoch, dass aus den letzten 3 Spielen unter Köstner mit etwas Glück statt vier auch durchaus sieben bis neun Punkte möglich gewesen wären, gibt es überhaupt noch keinen Grund, die Flinte ins Korn zu werfen, sondern es muss für alle heißen: Jetzt erst recht! Wenn die chronische Auswärtsschwäche schleunigst behoben wird und die Chancenverwertung sich deutlich verbessert, dann könnte doch noch was gehen. Das wäre mit Sicherheit das größte Geschenk, was man dem Verein Rot-Weiss Essen zum 100. Geburtstag machen könnte.

Die Hoffnung stirbt zuletzt !

(wn)