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Einmal Lotte und zurück – ein Rückblick auf 14 Jahre im Fußballniemandsland – Kapitel VI

Nachdem sich Hoch 3 nicht als der Heilsbringer erwiesen hatte, verfolgte RWE ab 2019 die Devise, alle guten Dinge sind Drei. In einer bewegten und lange Zeit von Corona geprägten Zeit, besiegte RWE am Ende auch den Virus der Unaufsteigbarkeit, den die Konkurrenz uns stets wünschte. Nach drei Jahren, die endlich von Spitzenfußball geprägt waren, haben wir uns am Ende den Aufstieg geholt.

Kapitel VI: Eins, Zwei, Liga Drei! Essens „fette Jahre“

Zur Saison 2019/20 war klar, dass die Tristesse der vergangenen Jahre überwunden werden und RWE endlich oben angreifen musste. Sonst hätte Rot-Weiss möglicherweise auch zuschauermäßig ein Versinken im Niemandsland gedroht. Dazu musste nicht nur der Kader stark verändert, sondern auch in anderen Bereichen neue Impulse gesetzt werden. Schließlich hatte Marcus Uhlig versprochen, eine Spitzenmannschaft aufbauen zu wollen. Jürgen Lucas, dem von den Fans auch immer wieder das Engagement seines Sohnes Nico in Essens Erster vorgehalten worden war, zog sich als Sportlicher Leiter zurück, für ihn kam Jörn Nowak von Rot-Weiß Oberhausen, der gerade einmal 32 Lenze zählte. Während das die Spatzen bereits etwas länger von den Hafenstraßendächern gepfiffen hatten, überraschte die Personalie des neuen Cheftrainers dann aber ordentlich.

Ein mutiger Schritt, Jörn Nowak vom Nachbarn RWO als Sportlichen Leiter zu verpflichten.

Zunächst entband Jörn Nowak Karsten Neitzel von seinen Aufgaben, was angesichts der desaströsen Rückrunde in der Vorsaison Niemanden erstaunte. Als dann aber Christian Titz als Neitzel-Nachfolger vorgestellt wurde, rieben sich die Anhänger verwundert die Augen. Schließlich war der letzte Verein des neuen Coaches kein geringerer als der Hamburger SV, den Titz in der ersten und zweiten Bundesliga trainiert hatte. Seit einigen Monaten jedoch war CT vereinslos gewesen und das Angebot eines ambitionierten Viertligisten mit profireifem Umfeld reizte den gebürtigen Aachener offenbar.

Die namhaften Neuzugänge im Sommer 2019 sorgten für viel Zuversicht.

Als Spieler kamen zudem vielversprechende Namen wie Routinier Dennis Grote, Marco Kehl-Gomez, Alexander Hahn, Oguzhan Kefkir, Hamdi Dahmani, David Sauerland, Jakob Golz oder Amara Condé. RWE trennte sich von einigen langjährigen Korsettstangen, die prominentesten wohl Benny Baier und Timo Brauer. Immerhin noch neun Spieler des alten RWE-Kaders sollten verbleiben. Unter ihnen Keeper Marcel Lenz, dem Titz zu Saisonbeginn im Tor das Vertrauen schenkte. Das war umso wichtiger, als dass dem Torhüter im System von Christian Titz eine besondere Rolle zukam, bei eigenem Ballbesitz stand dieser häufig fast auf Höhe der Mittellinie, um als zusätzliche Anspielstation zu dienen. Den RWE-Fans trieb dieses vor Ligastart die Schweißperlen auf die Stirn, war man ein solch riskantes Agieren doch nicht gewohnt.

Christian Titz gab von Beginn an die Richtung vor.

Die Schweißperlen flossen aber auch aus anderen Gründen in Strömen, denn Ende Juli 2019 empfing RWE freitagabends die zweite Mannschaft des BVB bei Temperaturen von 35 Grad im Schatten vor einer prächtigen Kulisse von 14.500 Zuschauern, darunter gut 1.000 Anhänger aus Dortmund. Alle brauchten ihr Kommen nicht zu bereuen. RWE hatte anfangs seine liebe Not mit den quirligen und spielstarken Dortmundern, die auch in Führung gingen und zuvor schon zwei Abseitstore aberkannt bekommen hatten. Dennoch erlebten die RWE-Fans ein Happyend der Extraklasse. Gut 10 Minuten vor dem Abpfiff schlenzte Essens neues Mittelfeldjuwel Amara Condè einen direkten Freistoß zum Ausgleich in die Maschen und auch danach passierte für RWE-Verhältnisse Ungewöhnliches. Neigte sich die Waage in der Vergangenheit häufig eher auf die andere Seite, so schenkte der Fußballgott allen Essenern einen besonderen Moment. Die Nachspielzeit war fast abgelaufen, da stellten sich zwei Dortmunder Verteidiger im Zweikampf gegen Marcel Platzek in der Box ziemlich dumm an und den fälligen Elfer versenkte Alexander Hahn, danach wurde gar nicht mehr angepfiffen. Das Stadion Essen war ein einziges Tollhaus und die RWE-Fans feierten, als sei die Meisterschaft am ersten Spieltag errungen worden.

Last-Minute-Treffer für RWE? Die Saison startete fast perfekt.

Diese Glücksgefühle sollten in den nächsten Wochen fast zur Normalität werden, denn Rot-Weiss holte aus seinen 8 Auftaktpartien 7 Siege und sagenhafte 22 Punkte, nur in Rödinghausen reichte es lediglich zu einem Remis. Zudem konnte Christian Titz offenbar machen, was er wollte, es glückte. Denn der Trainer wechselte, wenn es ihm notwendig erschien, sehr früh in den Spielen, manchmal schon in der ersten Halbzeit und machte dabei auch vor großen Namen nicht halt. Zudem forderte Titz Flexibilität auf den Positionen. Essens Abwehr-Ass Daniel Heber wurde von ihm von seiner ursprünglich angestammten Position als Rechtsverteidiger ins Zentrum gezogen, eine Position, auf der Heber noch immer brilliert. Die ersten Wochen der Saison boten vor allem nach dem Planlosgekicke der Vorjahre hohen Unterhaltungswert und rissen die Zuschauer mit. Die Gegner machten zumeist den Fehler, RWE sehr hoch anzulaufen, um die Risikovarianten des Titz-Fußballs auszutesten. Das bot Essen Räume, denn die wenigsten Kontrahenten schafften es, das Feld dicht zu machen, wenn ihre ersten Angreifer überspielt waren. Zudem waren zahlreiche Jokertore mitverantwortlich für den Essener Höhenflug.

Joker Enzo Wirtz knipste direkt 2 x innerhalb von 9 Minuten nach seiner Einwechslung am Kanal.

Doch auch eine andere Mannschaft befand sich auf diesem. Der SC Verl hatte eine noch größere Siegesserie hingelegt als RWE, jedoch am ersten Spieltag sensationell gegen die SG Wattenscheid verloren. Doch beim Spitzentanz in Essen zeigten die Ostwestfalen den Rot-Weissen was eine Harke ist und fertigten die Titz-Elf humorlos mit 1:4 aus deren Sicht ab. An diesem Tag ging fast alles schief, auch der hochstehende Torwart führte nach einem dummen Ballverlust zu einem Gegentor und am Ende war RWE in Unterzahl, da sich David Sauerland verletzte und das Wechselkontingent erschöpft war. RWE war trotz des tollen Saisonauftakts nur noch Dritter, denn nicht nur Verl, sondern auch ein zweiter ostwestfälischer Klub, der SV Rödinghausen, lieferte grandios ab. Hauptverantwortlicher ein gewisser Simon Engelmann mit Toren am Fließband.

Die Sympathien für die beiden Spieler Grote und Janjic wechselten im Lauf der Zeit.

Nach der Verl-Schlappe verlor RWE auch seine beiden nächsten Partien und hatte offenbar einen ordentlichen Wirkungstreffer kassiert. Marcel Lenz war kein sicherer Rückhalt mehr und wurde in der Krise von Jakob Golz ersetzt. So schien dem Spätsommer der Euphorie der Herbst der Tristesse zu folgen. Das wurde noch schlimmer, als sich die SG Wattenscheid 09 wegen Zahlungsunfähigkeit aus dem Spielbetrieb zurückzog, wovon der SC Verl massiv profitierte. Denn die Niederlage der Ostwestfalen war mit einem Male bedeutungslos, ebenso wie Essens 2:0 Erfolg über den Reviernachbarn, weswegen sich die Waage um zusätzliche 3 Punkte negativ gegen RWE neigte. Weil die Tabelle wegen der stark variierenden Anzahl an Spielen deutlich verzerrt war, lief Rot-Weiss zeitweise mit einem fast zweistelligen Punktrückstand der Tabellenmusik an der Spitze hinterher.

Die SG Wattenscheid war finanziell am Boden und die Tabelle wurde mal richtig durchgemischt.

Doch die Essener bewiesen Kampfgeist, arbeiteten sich langsam wieder heran und erhielten immer die Hoffnung aufrecht. Als im letzten Spiel vor der Winterpause der Abstiegskandidat VFB Homberg mit 2:0 an der Hafenstraße siegte und Anfang Februar 2020 Spitzenreiter SV Rödinghausen ebenfalls, Essens vorerst letzte Niederlage für über ein Jahr, fiel Optimismus aber sehr schwer. Diesen ließ ausgerechnet aber der SVR selber kurzzeitig wieder aufkommen. Denn Rödinghausen verzichtete wegen der nicht zu erfüllenden Bedingungen an ein Drittligastadion auf den Aufstieg und reichte keine Lizenzunterlagen ein. Torjäger Simon Engelmann verstand die Welt nicht mehr, noch in der Winterpause hatte sein Klub ihm den Abgang zum Drittligisten Ingolstadt verweigert, um die eigenen Aktien nicht zu schmälern. Ein gewichtiger Grund dafür, dass Engel dann zur nächsten Saison in Essen anheuern sollte.

Rödinghausens Aufstiegsverzicht brachte Engel dann doch noch (Achtung Spoiler) in die 3. Liga.

So spielte RWE plötzlich dann doch um den Aufstieg und nicht wieder um die goldene Ananas. Als im kommenden Heimspiel Nachbar Rot-Weiß Oberhausen, auch dieser durfte sich wieder Chancen ausrechnen, durch einen Gewaltroller von Oguzhan Kefkir mit 1:0 besiegt wurde, schien alles wieder gut. Der damalige und jetzt wieder neue RWO-Schlussmann Daniel Davari sah Ötzis Geschoss in Ski-Abfahrtshocke verharrend resigniert hinterher. Essen war somit Doppelderbysieger. RWE und seine Fans rüsteten sich für eine Invasion nach Ostwestfalen zum SC Verl Ende März, um den noch immer vorhandenen Punktrückstand auf die Verler zu verringern. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Das Corona-Virus schlich sich zunächst heimlich still und leise und dann immer lauter in Deutschland ein. Essen machte nach dem Oberhausen-Match noch drei Partien gegen Lippstadt (3:1), das enttäuschende 1:1 gegen den TuS Haltern in der Lohrheide und in Bonn (3:1). Doch das Spiel in der ehemaligen Bundeshauptstadt am 8. März 2020 war das letzte Rot-Weiss Match im Ligabetrieb. Dieser wurde wegen Corona abgebrochen, RWE bekam nicht mehr die Chance auf ein direktes Duell mit den Verlern und lag bei Saisonabbruch 2 Punkte hinter dem Sportclub, dieser hatte zudem noch 2 Partien weniger ausgetragen.

Der vorerst letzte Sieg vor Zuschauern war in Bonn.

RWE war der einzige Verein, der die Saison zu Ende spielen wollte. Kein Wunder, Verl sicherte sich durch den Abbruch den Platz in der Relegation, welche die Ostwestfalen siegreich gegen Lok Leipzig gestalten sollten, ohne sich noch seinem schwierigen Restprogramm stellen zu müssen. Alle anderen Klubs hatten keine Ambitionen mehr. Die Saison fortzusetzen wäre für sie ein teures Muster ohne Wert gewesen. Die Spielordnung sah für dieses Worst-Case-Szenario jedoch keine Regelungen vor, weswegen Marcus Uhlig und der Verein noch kämpften wie die Löwen, um RWE doch noch den Aufstieg zu ermöglichen. So brachte Uhlig ein Dreierturnier zwischen Verl, RWE und RWO ins Spiel, den drei Vereinen, die Lizenzierungsunterlagen für die dritte Liga eingereicht hatten. Uhligs Plan sah vor, zunächst Essen und Oberhausen in einem Halbfinale den Gegner ermitteln zu lassen, der gegen Verl um den Relegationsplatz spielen sollte.

Saisonabbruch wegen Corona – da kannste dir nur am Kopp packen.

Essens Vorstandsvorsitzender, zart unterstützt von HaJo Sommers von Rot-Weiß Oberhausen, pochte somit auf eine sportliche Lösung, die zudem die erspielte Ausgangsposition der Verler positiv berücksichtigen sollte. Marcus Uhlig brachte der Vorschlag im Schwerpunkt beißende Kritik ein, Rot-Weiss Essen könne halt nicht verlieren. Hier scheiden sich wohl die Geister.

Fakt war jedoch, dass RWE zwar endlich einmal eine gute, aber keine wirklich sehr gute Saison gespielt hatte. So erspielte der SC Verl einen Punkteschnitt von 2,41, der SV Rödinghausen, obwohl nach dem Aufstiegsverzicht nicht mehr mit Vollgas unterwegs, sogar von 2,42. Essen unter Christian Titz brachte es da nur auf 2,16 Punkte, zwar der beste Schnitt seit Regionalliga-Zugehörigkeit, aber eben zu wenig. Zudem waren fünf Niederlagen in 24 Partien auch nicht gerade ein Gütesiegel und wenn man ehrlich war, dann war der Titz-Style irgendwann von den Gegnern dechiffriert und wirksam bekämpft worden. Ab dem Zeitpunkt, ab dem die Kontrahenten die Essener nicht mehr so hoch anliefen und RWE im letzten Drittel wenig Räume gaben, war die Herrlichkeit im Grunde vorbei.

Überraschendes Aus für Christian Titz nach Saisonende.

Da es auch hinter den Kulissen kräftig gekracht hatte und man mit Christian Titz im Clinch lag, verkündete RWE im Juni 2020 die Entlassung seines prominenten Cheftrainers. Diese war im Grunde bereits seit Monaten klar, aber wegen der Coronawirren unter der Decke gehalten worden. Viele RWE-Fans bedauern das bis heute, auch wenn Titz angesichts des Saisonverlaufs hier fast schon mystisch und realitätsfern verklärt wird. Die Tatsache, dass Rot-Weiss endlich einmal wieder oben angegriffen und die Fans zumindest streckenweise begeistert hatte, ist der Bonus, der Titz offenbar noch immer zufällt. Dennoch, das bestreitet bis heute keiner der RWE-Verantwortlichen, kam mit Christian Titz Innovation und Professionalität in den Verein, wovon dieser auch jetzt profitiert.

Wer fit sein will muss leiden.

Allein in Sachen Fitness brachte Titz die RWE-Mannschaft auf ein zuvor nicht gekanntes Niveau. Das Trainingslager im beschaulichen Herzlake erhielt daher auch den Codenamen Schmerzlake. Waren späte Gegentore und eine um die 70. Minute herum deutlich ermüdendes Essener Team in den Jahren zuvor die Regel, so spielte nun RWE die Gegner müde und erlegte diese reihenweise auf der Zielgeraden einer Partie. Zudem wird seitdem auch auf der sportmedizinischen Ebene wesentlich moderner gearbeitet und gezielte individuelle Belastungssteuerung der Spieler führte zu einer wesentlichen Reduzierung der nicht durch Unfälle bedingten Verletzungen. Die Saison 2019/20 wurde auf Tabellenplatz 3 abgeschlossen, oder besser abgebrochen und war die erste von drei Essener Spielzeiten, in denen man sich Schritt für Schritt dem großen Ziel annähern und es letztlich erreichen sollte. Zudem schaffte RWE im Binnenverhältnis zu seinen Anhängern die große Trendwende. Kaum war die Tabellenspitze ohne Fernglas sichtbar, strömten die RWE-Fans in Scharen an die Hafenstraße. Im Schnitt waren es über 11.000 Zuschauer, die endlich wieder heiß auf Rot-Weiss waren. Das schaffte bundesweit kein einziger Klub unterhalb der dritten Liga auch nur annähernd und RWE stellte damit diverse Dritt- und sogar Zweitligisten in den Schatten.

Alle bekloppt!

Zur kommenden Spielzeit 2020/21 nahm RWE von vorneherein unter Coronabeschränkungen leidend und von seinen Fans im Stadion getrennt einen neuen Anlauf. Wie schon erwähnt tätigte man dafür sofort einen Königstransfer und holte sich Simon Engelmann an die Hafenstraße 97 A, sozusagen im Gegenzug ging Enzo Wirtz, den Christian Titz links liegen gelassen hatte, nach Rödinghausen. Aber auch die Wechsel von Felix Backszat, ebenfalls aus Rödinghausen, oder Daniel Davari als neue Nummer 1 aus Oberhausen, er verdrängte Jakob Golz zurück auf die Bank, zeigten, dass Essen es ernst meinte.

Ein Bild vom neuen Mann an der Seitenlinie konnten sich die Fans vorerst nur am Monitor machen.

Neuer Trainer wurde Christian Neidhart, der zuvor beim SV Meppen eine kleine Ära geprägt hatte. Ein erneut überraschender Trainer-Coup, hatte das Umfeld den gebürtigen Braunschweiger doch nicht auf dem Zettel gehabt. Neidhart formulierte sofort offensiv, dass er Essen in die dritte Liga führen wolle. Klar war von Anfang an, Zuschauer wird es zumindest vorerst nicht im Stadion oder nur in sehr kleinen Mengen geben. Je nach Coronaschutzverordnung durften 100 – 300 – 500 ausgeloste Anhänger vor Ort sein. Nur ein einziges Mal, am 2. Oktober gegen Düsseldorf II (2:0) sollten 5.000 Fans live im Stadion sein dürfen, das entsprach auch der Anzahl der verkauften Dauerkarten. RWE entschädigte seine Dauerkarteninhaber in den anderen Partien mit dem Internet-Livestream „Hafenstraße live“ moderiert von Christian Ruthenbeck und Andreas Crom. Dieser war natürlich auch gegen eine Gebühr von anderen Fans buchbar.

Die 5.000 Zuschauer gegen Düsseldorf und alle hatten richtig Bock auf Fußball im Stadion.

Obwohl eine Mammutsaison mit 40 Meisterschaftspartien bevorstand, startete die Liga erst Anfang September, RWE hatte den SC Wiedenbrück zu Gast. Sofort zeigte sich, dass die Meistertrauben hoch hängen sollten. Zwar stach Simon Engelmann auf Anhieb und brachte seine Farben nach sperriger erster Hälfte unmittelbar nach der Pause in Front. Rot-Weiss versäumte es bei guten Chancen jedoch den Sack zuzumachen und kassierte in der Schlussminute den Ausgleich durch einen Sonntagsschuss. So war der Auftakt verpatzt und Christian Neidhart und seiner Mannschaft blies sofort ein kräftiger Hafenstraßenwind ins Gesicht. Erst recht, als auch die zweite Partie mit einem 1:1 Remis endete. Die Dramaturgie war anders, Felix Backszat rettete RWE mit fast der letzten Aktion nun seinerseits einen Punkt gegen Borussia Dortmund II, aber die Unruhe im Essener Umfeld war bereits deutlich spürbar, auch wenn der Gegner nicht von Pappe war.

Nach dem späten 1:1-Ausgleich in Dortmund war selbst Enrico mal ruhig.

Genau dieser BVB II, trainiert von Rödinghausens Meistermacher Enrico Maaßen, sollte Essens größtes Problem werden. Denn kein anderer Verein, weder Preußen Münster noch Fortuna Köln, beide hoch gehandelt, sollten etwas mit dem Aufstieg zu tun haben. RWE hingegen kam so langsam in die Spur, am dritten Spieltag der erste Sieg, mühevoll 3:2 gegen RW Ahlen. Zwischendurch hatten die Neidhartler Bundesliga Aufsteiger Arminia Bielefeld vor Corona limitierten 300 Anhängern aus dem DFB-Pokal geworfen, beim 1:0 Sieg kam der goldene Treffer natürlich von Simon Engelmann. Bei der anschließenden Siegesfeier kreierten Neuzugang Sandro Plechaty und Engel selbst den Torjingle „Klingellingeling, Klingellingeling, hier kommt der Engelmann“. Fortan Essens Nummmer 1 Hit.

Erste Runde Bielefeld…

Bis zur Winterpause kam Rot-Weiss immer stärker in Fahrt und war einfach nicht zu besiegen. Nach den 20 Partien der Hinrunde wies RWE 50 Punkte und einen Schnitt von 2,5 Zählern pro Partie auf. Das reichte, um zum Beispiel Preußen Münster um 16 Punkte zu distanzieren. Der BVB II jedoch lieferte selbst stark ab und hatte 6 Punkte Rückstand, aber auch noch ein Spiel gegenüber RWE in der Hinterhand. Schon jetzt war klar, es wird in der Rückrunde einen Zweikampf um den Titel geben. Einen Tag vor Heiligabend bescherte RWE seinen Anhang mit einem 3:2 Sieg über Fortuna Düsseldorf im DFB-Pokal. Im Anschluss hielten sich nicht alle RWE-Fans, die nach Abpfiff zur Hafenstraße strömten, gänzlich an die Corona-Regeln. Insgesamt herrschte aber eitel Sonnenschein über die erste Halbserie.

Zweite Fortuna…

Ende Januar 2021 ging es weiter und erneut war der SC Wiedenbrück der Spielverderber. RWE kam über ein torloses Remis nicht hinaus und Engelmann vergab gar einen Elfmeter. Wiedenbrücks formidabler Schlussmann Marcel Hölscher sollte jedoch knapp 16 Monate später auch RWE glücklich machen, als er Preußen Münster zur Verzweiflung trieb. Aber das ist ein anderer Teil unserer Geschichte. Die Rückrunde verlief für Rot-Weiss generell deutlich zäher, vor allem auswärts. Der fast unbarmherzig anmutende Zweikampf zwischen den Dortmundern und Essenern, bei dem beide Seiten den Eindruck gewinnen konnten, dass jeder Patzer das Aus aller Aufstiegsträume bedeuten könnte, zehrte an den Nerven, machte womöglich auch die Beine und den Kopf im zunehmenden Saisonverlauf schwerer. Vor allem auswärts haperte es.

Während RWE in 20 Heimspielen ungeschlagen blieb und sagenhafte 56 Zähler holte, ergatterten die Rot-Weissen in der Fremde lediglich 34 Punkte, in der Rückrunde gingen dort sogar 4 von 10 Partien verloren und man nahm nur 12 Punkte mit nach Essen. Überhaupt stotterte der Motor in der Fremde. Während RWE im heimischen Stadion Essen den Gegnern im Schnitt mehr als 3 Tore pro Partie einschenkte, gab es auswärts nur 28 Treffer in 20 Spielen zu bejubeln. Waren die rot-weissen Pokalsensationen dafür verantwortlich, dass RWE den Fokus auf die Liga verlieren sollte?

Dritte Leverkusen, Engelmann war da.

Denn Rot-Weiss sorgte im DFB-Pokal für Megafurore. Anfang Februar 2021 kickten die Essener im leider fast zuschauerfreien Stadion sogar die Millionarios von Bayer Leverkusen raus und zogen sensationell ins Viertelfinale ein. Daniel Davari war im Essener Tor nie besser als an diesem Abend und als Leverkusen in der Verlängerung doch in Führung ging, antwortete Rot-Weiss mit einem sensationellen Doppelschlag durch Kefkir und natürlich Engelmann. Der englische Kommentator überschlug sich förmlich, ein Autokorso zog die ganze Nacht durch Essen und selbst die internationale Presse widmete dem RWE-Pokalmärchen viel Aufmerksamkeit.

Richtige Entscheidung: Tor für Essen und kein Elfmeter für Leverkusen.

Zudem feierte der Video Assistence Referee seine Premiere bei einem RWE-Spiel. Und wie. In der Szene vor Engelmanns 2:1 konnte Leverkusens Frimpong den Ball nicht im Essener Strafraum erreichen. Felix Herzenbruch hatte den Leverkusener am Trikot berührt und leicht festgehalten. Also bat der VAR Tobias Reichel den Schiedsrichter Daniel Schlager an den Videomonitor. Schlager sollte prüfen, ob Herzenbruch Frimpong gefoult hatte. Dann hätte es tatsächlich nicht 2:1 für RWE gestanden, sondern Leverkusen hätte beim Stande von 1:1 einen Elfmeter bekommen! Eine derartige Szene, in der es nicht nur um einen eigenen Treffer, sondern zugleich um einen gegnerischen Elfmeter geht, hatte man sich im Vorfeld nicht ausgemalt. Schiri Schlager entschied, dass Herzenbruch nur leicht und kurz gezupft hatte. Kein Elfer, sondern 2:1 für RWE! Wahnsinn. Der größte Triumph seit 1994, als Rot-Weiss Essen sogar im Endspiel gestanden hatte, war geschafft. Leider verfolgten das die RWE Anhänger im Schwerpunkt nur an den TV-Geräten beim Bezahlsender Sky.

https://www.youtube.com/watch?v=bUjzBfmIUL4

Rot-Weiss war unter Christian Neidhart noch immer unbesiegt. Das sollte sich ändern. Zunächst fiel das für den Samstag danach angesetzte Spitzenspiel gegen den BVB II dem pokalramponiertem Rasen zum Opfer. Danach die Partien gegen Ahlen und Lippstadt wegen Coronafällen. RWE trat erst 24 Tage nach dem Leverkusen-Match wieder an, die lange Zwangspause zeigte Wirkung, am Ende hatte man mit 0:3 bei Fortuna Düsseldorfs Reserve verloren. Dann kam das Pokalviertelfinale gegen Holstein Kiel. Eine Aktion der aktiven Fanszene, die in der Nacht vor dem Spiel vor dem Gästehotel ein Feuerwerk zündete, um den Kielern die Nachtruhe zu rauben, blieb ohne Erfolg. Das Spiel ging mit 0:3 verloren, allerdings unter ärgerlichen Begleitumständen.

Manche Störche flogen tief im Strafraum.

RWE hatte das Spiel zunächst im Griff und die Spannung stieg, da Christian Neidharts Plan aufzugehen schien – bis zur 26. Minute. Da kam Kiels Finn Porath an den Ball und sackte nach einer Grätsche von Essens Quarterback Dennis Grote in der Box zusammen. In der Normalgeschwindigkeit haben wohl auch viele RWE-Fans Verständnis für die Entscheidung von Schiedsrichter Markus Schmidt gezeigt, denn dieser zögerte nicht eine Sekunde und zeigte auf den Elfmeterpunkt. In der anschließenden Zeitlupe sah allerdings ganz Fußballdeutschland, dass man nichts sieht. Dennis Grote zog seine Beine rechtzeitig zurück, Finn Porath markierte aber trotzdem den sterbenden Storch. Es war allen klar, dass dieser Pfiff nicht der Überprüfung durch den Video-Referee standhalten würde. Doch dieser meldete sich zum Ärger aller, die es mit den Rot-Weissen halten, nicht. Unverständlich. Die Kommentatoren, unter ihnen auch Marcel Reif, zerrissen das Schiedsrichtergespann am nächsten Tag dafür bundesweit in der Luft, aber das nutzte RWE nichts mehr. Noch unter Schock stehend kassierte man das 0:2 sofort danach und das 0:3 in der Nachspielzeit.

Raus im Viertelfinale. War trotzdem eine geile Pokalsaison.

Dazwischen hatte Rot-Weiss alles versucht, aber Kiel war in allen Belangen cleverer und zumindest Porath mit allen Abwassern gewaschen. War RWE unter Christian Neidhart bislang nicht zu besiegen und insgesamt sogar 13 Monate ohne eine Pflichtspielniederlage geblieben, hatte man nun zwei in Folge erlitten. In der Liga verfestigte sich der Negativtrend und man holte sich in den nächsten Wochen bis Ende März zwei weitere Niederlagen in Münster und Ahlen ab. Besonders fair erwies sich dabei Münsters Stadionsprecher, der Essen nach dem Schlusspfiff auf Wiedersehen im nächsten Jahr in der Regionalliga wünschte. Bad Karma, Kollege! Auch das Spitzenspiel gegen den BVB II konnte RWE Zuhause nicht gewinnen, das 1:1 schmeichelte Essen eher. Die Dortmunder, ohnehin mit der lautesten Bank der Republik unterwegs, vollführten nach Schlusspfiff einen leicht provokativen Spitzenreiterkreisel auf dem Feld und Christian Neidhart wirkte im anschließenden Livestream-Interview ebenso angesäuert wie angeknackst.

Die Schreihals-Boys waren auch an der Hafenstraße schwer zu stoppen.

So wurden die Aktien der Dortmunder immer besser und als RWE im Halbfinale des Niederrheinpokals gegen den SV Straelen in Bestbesetzung nach Elfmeterschießen ausschied, handelte sich die müde wirkende Truppe wenige Tage später eine völlig überflüssige 1:2-Niederlage bei Köln II ein und schien Ende Mai aller Aufstiegshoffnungen beraubt. Doch der BVB II verlor zwar seine Spiele nicht, wohl aber gab es diverse Unentschieden. Die Maaßen-Elf hatte zudem eine lange Coronazwangspause einlegen müssen oder wollen. Als Leistungsträger wie Tigges und Knauf nicht zur Verfügung standen, konnten die Dortmunder auf einmal keine 15 einsatzfähigen Spieler mehr auftreiben. Der Restprogramm-Marathon schlauchte und vor dem letzten Spieltag war der Vorsprung der Borussen auf drei Zähler vor RWE geschrumpft.

Die Mannschaft wurde vor dem letzten Spiel gebührend verabschiedet.

Rot-Weiss fuhr zu Wegberg-Beeck und benötigte einen Sieg mit zwei Toren Differenz. Der hätte bei einer zeitgleichen Niederlage des BVB beim Wuppertaler SV zum Aufstieg gereicht. Bei der Abfahrt zum Spiel wurde die Mannschaft an der Hafenstraße von weit über 2000 Fans in rot-weissem Pyrorauch gehüllt sangeskräftig verabschiedet. Gänsehautmomente. Das steigerte sich zunächst. Zur Halbzeit grüßte Rot-Weiss von der Tabellenspitze. Mit 2:0 führte RWE in Wegberg, das war auch das Endresultat. Dortmund hingegen lag 0:1 beim WSV zurück, drehte die Partie aber in Hälfte zwei und war aufgestiegen. Bei ihrer Feier verhöhnten die Jungprofis ihren knapp gescheiterten Kontrahenten mit seinem eigenen Vereinslied.

Tränen und Enttäuschung zum Finale.

Als letzte Hoffnung blieb RWE ein Einspruch gegen Spielwertungen der Dortmunder aufgrund der ominösen Spielberechtigungslisten der Schwarz-Gelben. Durften die Spiele überhaupt verlegt werden? Der Einspruch wurde vom Westdeutschen Fußballverband aber gar nicht erst verhandelt, da RWE nicht der direkt betroffene Verein gewesen war und wieder hagelte es für Rot-Weiss beissenden Spott statt Anerkennung. So endete eine weitere Saison ohne den ersehnten Aufstieg, obwohl RWE sich erneut gesteigert hatte. Fußballerisch fehlte manchmal etwas Leidenschaft und Würze, das war wohl auch den fehlenden Zuschauern geschuldet. Diese fehlten offenbar auch den Gegnern, denn diese ließen sich des Öfteren sang- und klanglos an der Hafenstraße wegputzen. Tabellarisch war man Vizemeister geworden, die beste Platzierung seit Zugehörigkeit zur viertklassigen Regionalliga West. Es war also an der Zeit, in der kommenden Saison den letzten Schritt in Richtung dritte Liga zu machen.

Die namhaften Neuzugänge im Sommer 2021 sorgten für viel Zuversicht.

Vor Saisonbeginn gingen mit Kevin Grund und Marcel Platzek zwei rot-weisse Heroen, beide wechselten zum Oberligisten 1.FC Bocholt. Kevin und Platzo sollten dort ebenfalls Aufstiegsfeierlichkeiten begehen dürfen, denn Bocholt sollte in die Regionalliga hoch marschieren. Ansonsten waren die Abgänge von Marco Kehl-Gomez, Amara Condé und Alexander Hahn personelle Schläge ins Kontor. Alle Drei wechselten zu Drittligisten. RWE hatte insgesamt 16 Abgänge zu vermelden, ein großer Aderlass, jedoch wogen nicht alle Abschiede gleich schwer. Im Gegenzug kamen Luca Dürholtz aus Elversberg, Zlatko Janjic aus Verl, leicht verspätet Felix Bastians als vereinsloser Transfercoup und Kevin Holzweiler als zunächst namhafteste Neuzugänge. Mit Daniel Davari, Daniel Heber, Felix Herzenbruch, Sandro Plechaty, Cedric Harenbrock, Oguzhan Kefkir, Isi Young und Simon Engelmann blieben wichtige Korsettstangen. Immerhin acht Spieler des Kaders hatten bereits in der Spielzeit 2019/20 und vier weitere ab der Saison 2020/21 unter Vertrag gestanden, sodass der Umbruch dann doch nicht so gigantisch ausgefallen war und durchaus nennenswerte Konstanz herrschte. Christian Neidhart stand weiterhin als Cheftrainer am Ruder.

Isi Young sorgte für gute Laune zum Saisonauftakt in Bonn.

Die folgende Saison war dann eine ohne DFB-Pokal und eine, in der Rot-Weiss Essen viele Widrigkeiten überwinden musste und konnte. Nachdem am zweiten Spieltag, RWE hatte zum Auftakt 3:0 in Bonn gewonnen, der SV Straelen eine unter Corona-Bedingungen ausverkaufte Hafenstraße (7.500 Zuschauer) in Schockzustand versetzte und 4:1 in Essen gewann, war bereits der erste Tiefschlag eingefahren. Doch Rot-Weiss behielt die Nerven, siegte im Anschluss 6 Spiele in Folge, darunter die Spitzenpartien in Wuppertal (1:0), gegen Fortuna Köln (2:1) und in Münster (3:2). Bei den Preußen hatte RWE zur Pause 0:2 hinten gelegen, drehte aber die Partie mit toller Moral. Nach dem Schlusspfiff trübten unrühmliche Jagdszenen auf den Rängen, ausgelöst durch unverbesserliche Freunde der dritten Halbzeit, die rot-weisse Freude und RWE hatte bundesweite Schlagzeilen, aber nicht wegen des sportlichen Erfolges.

Aus 0:2 mach 3:2 – und in Münster doppelt schön.

Weniger Mühe als in Münster hatte Essen gegen den KFC Uerdingen in dessen Ausweichquartier in Velbert. RWE startete ein fast unbarmherziges Scheibenschießen und siegte mit sage und schreibe 11:0. Preußen Münsters Trainer Sascha Hildmann bemühte direkt nach Saisonende diese Partie als Schlüssel für Essens Aufstieg, RWE sollte in der Endabrechnung um vier Tore besser sein als die Adlerträger. Gegen Münster habe ein anderes Krefeld auf dem Platz gestanden, so Hildmann. Was der Sportsmann auf der Preußen-Bank nicht erwähnte war allerdings, dass bei Münsters kärglichem 1:0 Erfolg einige Wochen später 9 der 11 KFC-Spieler, die gegen Essen in der Startelf gestanden hatten und untergegangen waren, auch gegen seine Mannschaft mitwirken sollten, weswegen man hier von einer Legendenbildung sprechen darf.

Das 11:0 beim KFC Uerdingen ist der höchste Sieg in der Geschichte der Regionalliga West.

Mitte Oktober kam der SC Wiedenbrück nach Essen und entführte beim torlosen 0:0 einen Zähler, RWE verlor nicht nur deren zwei, sondern auch Daniel Heber (Wadenbeinbruch) und Kevin Holzweiler (Kreuzbandriss). Das waren Hiobsbotschaften, aber die RWE-Elf kämpfte sich personell arg gebeutelt in die Winterpause, punktete gut und führte die Tabelle vor Wuppertal, Münster, Fortuna Köln und Oberhausen an, das war das Quintett, das noch Chancen hatte. Ein Jahr zuvor hatte sich schnell ein Zweikampf zwischen RWE und dem BVB II herauskristallisiert, in dieser Saison sollte es länger dauern, bis der Aufstieg nur noch zwischen Essen und Münster entschieden werden konnte.

Die Unschuld vom (Münster)lande.

Noch vor der Jahreswende platzte aber die nächste Negativbombe, Kapitän Dennis Grote hatte die Muße, mit Konkurrent Preußen Münster über einen Wechsel zu verhandeln. RWE war not amused, das Umfeld erzürnt und Grote sich keiner Schuld bewusst. So sollte das Spiel gegen den SV Rödinghausen (1:0) Ende November Grotes letztes Spiel für RWE gewesen sein. Offiziell fehlte er danach mit einem „hartnäckigen“ Magen-Darm-Infekt gegen Bonn (6:1) und in Straelen (1:0), Essen stellte den 35 Jahre alten Routinier später offiziell frei. Erst nach Ende der Transferperiode am 31.01.22 durfte DG6 dann weg, aber nicht nach Münster, sondern nur noch zu Wacker Innsbruck in die zweite österreichische Liga, denn hierfür galt die Sperrfrist nicht. Dort holte Grote das Karma ein, er stieg ab und der Verein ging insolvent.

Zum Glück hatte RWE schon vor Grotes Abgang mit Niklas Tarnat, zuletzt Hannover 96 und dann vereinslos, einen waschechten 6er geholt, dann kam Anfang Februar mit Thomas Eisfeld, zuvor VFL Bochum und bei seiner Verpflichtung ebenfalls ungebunden, ein echter Kracher an die Hafenstraße, wonach Marcus Uhlig dann auch seinen persönlichen Frieden mit dem Grote-Abgang machen konnte, denn der Verlust an individueller Klasse war aufgefangen.

Thomas Eisfeld sorgte für neue Euphorie an der Hafenstraße

Ohnehin hatte RWE das erste Spiel nach der Winterpause vor 750 ausgelosten Enthusiasten, die Coronabeschränkungen waren deutlich angezogen worden, mit 2:1 gegen den Wuppertaler SV gewonnen und seine Spitzenposition ausgebaut. Das Spiel war das erste, das Rot-Weiss Essen im vorherigen Stadion Essen und nun wieder sogenannten Stadion an der Hafenstraße austragen sollte, denn RWE hatte sich zur Verhinderung einer kommerziellen Namensnutzung die Namensrechte gesichert. Stadionpaten sind hauptsächlich die RWE-Fans.

Don’t mess with Herze. Das musste auch Düsseldorf erfahren.

Danach putzte Rot-Weiss in Unterzahl, Luca Dürholtz hatte beim Zwischenstand von 1:1 die Ampelkarte gesehen, die Zweitvertretung aus Düsseldorf mit 4:1 weg, Eisfeld glänzte sogleich, und RWE bestand im Anschluss den Charaktertest am Rheindeich in Homberg (1:0). Realistisch war das Bewerberfeld um den Aufstieg von 5 auf 3 Teams geschmolzen, der WSV und RWO waren abgehängt. Zudem fielen ab dem Düsseldorf-Spiel nach und nach die Zuschauerbeschränkungen wieder und trotz der vielen Partien mit deutlich begrenzter Besucherzahl kamen im Schnitt 9.400 Zuschauer ins Stadion Essen, RWE hatte in einigen Begegnungen mehr Leute in der Bude als Bundesligist Hoffenheim in einem Erstligaheimspiel. Alles lief rund.

Noch mehr Bekloppte.

Dann kam der (beinahe) verheerende 20. Februar und das Heimspiel gegen Preußen Münster. Beim Stande von 1:1 gut 15 Minuten vor dem regulären Ende fiel ein Böller, geworfen aus einem Bereich der Alten West zwischen die sich warm machenden Münsteraner Reservespieler, von denen dann zwei angaben, nicht mehr spielbereit zu sein. Die Folge: Spielabbruch und spätere Wertung von 2:0 für die Preußen am grünen Tisch. Ein absoluter Tiefschlag für RWE, das die Spielwertung nach einer erfolglosen Revision einige Wochen später endgültig akzeptieren musste. So wäre die Tat eines hirnlosen Einzeltäters, der kurz darauf identifiziert und dingfest gemacht werden konnte, um ein Haar entscheidend für die Aufstiegsentscheidung gewesen, die am grünen Tisch und nicht auf dem grünen Platz gefallen wäre.

Selbsterklärend

Nach der Skandalpartie stand Essen zunächst nur noch einmal auf dem Platz und siegte eine Woche darauf 2:1 in Gelsenkirchen, Thomas Eisfeld brillierte. Doch die nächste Hürde war bereits aufgestellt worden. Als Rot-Weiss nur kurze Zeit später in eine Coronazwangspause gehen musste, weil der halbe Kader infiziert oder in Quarantäne war, ruhte der Trainings- und Spielbetrieb für zweieinhalb Wochen. Aus diesem Intermezzo kam RWE mit nun stotterndem Motor zurück. In den folgenden 8 Partien holte Rot-Weiss nur 13 Punkte, weit unterdurchschnittlich gemessen an den vorherigen Daten. Der Tiefpunkt das 0:2 bei RW Ahlen, das unangenehme Erinnerungen an die Vorsaison weckte und RWE die erste sportliche Niederlage in der Liga nach 24 unbesiegten Partien zufügte.

So schmolz der komfortable Vorsprung auf Preußen Münster, der selbst nach dem Böllerurteil zeitweilig 5 Punkte betragen hatte, und verwandelte sich in einen Rückstand von zwei Zählern. Mittlerweile waren die Adlerträger nach einer langen Durststrecke von Fortuna Köln der einzige Titelkonkurrent der Rot-Weissen. Essen verspielte gleich in vier Partien einen Vorsprung, besonders bitter das 1:1 gegen die Zweite Mannschaft von Borussia Mönchengladbach, als RWE sich vor heimischer Kulisse kurz vor dem Ende nach schwacher Leistung den Ausgleich fing. An diesem Tag hätte man die Chance gehabt, das Stolpern von Preußen Münster in Lippstadt auszunutzen und nach Punkten wieder gleichzuziehen. 

Nur 1:1 gegen Gladbach. War’s das? Nö!

Es rappelte kräftig hinter den Kulissen, Erfolgscoach Christian Neidhart, dessen Bilanzen die besten in der bisherigen Vereinsgeschichte sind, war angezählt, aber auch die Mannschaft bekam Tacheles zu hören. Schon zuvor hatte Daniel Davari nach einigen Patzern seinen Stammplatz zwischen den Pfosten an den jungen Herausforderer Jakob Golz verloren. Das Ziel: Die abschließenden 5 Partien gewinnen und auf einen Münsteraner Ausrutscher hoffen. Das gelang. Essen siegte 4:0 gegen Lippstadt, 3:0 in Lotte und 3:1 gegen Wegberg-Beeck. Die Partien gegen Rödinghausen und gegen Ahlen standen noch aus. Zeitgleich brillierte Preußen nicht, aber siegte ebenfalls. Gegen den hoffnungslos abgeschlagenen KFC Uerdingen aber nur mit 3:0, somit konnten die Münsteraner ihr Torverhältnis nicht vorentscheidend ausbauen. Für RWE folgten vier Tage der Wahrheit.

Tore mussten her und RWE lieferte.

Am Dienstag, den 3. Mai unterlagen die Rot-Weissen mit einer vollkommen uninspirierten Leistung mit 1:3 im Halbfinale des Niederrheinpokals, die Zweifel daran, dass Christian Neidhart seine Mannschaft noch erreichen konnte, wuchsen wieder und führten am Donnerstag, den 5. Mai zu seiner Freistellung. Das wirkte fast wie ein Verzweiflungsakt und RWE wurde bereits von den meisten Experten und solchen, die sich dafür halten, ungefragt als erneut gescheitert tituliert. Doch am Ende zeigte sich, dass die Verantwortlichen, deren Nervenkostüm in diesen wichtigen Wochen arg gelitten hatte, dennoch kühlen Kopf bewahrt und eine richtige Entscheidung getroffen haben sollten. Ab nun neigte sich die Aufstiegs-Waage auf die rot-weisse Seite.

Hexer Hölscher wurde über Nacht zum RWE-Fanliebling. Zurecht.

Jörn Nowak als Teamchef unterstützt von U19-Coach Vincent Wagner sollten das Feuer im Team wieder wecken. Dieses loderte bereits am Freitag, den 6. Mai gegen 21:20 Uhr lichterloh. Preußen Münster hatte in Wiedenbrück nur Remis gespielt, 0:0 und wir erinnern uns, Marcel Hölscher im SCW-Tor hatte nun Großes für RWE geleistet. Aus Dankbarkeit bestellten einige RWE-Fans im Wiedenbrücker Fanshop ein Trikot von Hexer Hölscher, eine Bestellung, die so nicht erwartet worden war und längere Bearbeitungszeit benötigte. Das lag möglicherweise aber auch daran, dass der Onlineshop zu einem Dienstleister nach Münster ausgelagert worden war.

Was für eine Energie in den letzten beiden Spielen, auf dem Platz und auf den Tribünen.

Vor dem Spiel beim SV Rödinghausen am Samstag, den 7. Mai konnte RWE bereits mit einem Sieg mit nur einem Tor Vorsprung wieder an den Preußen vorbeiziehen, jeder höhere Erfolg hätte Essen in eine tolle Ausgangsposition gebracht. Gesagt, getan. So machten sich gut 2.000 Rot-Weisse auf den Weg nach Lotte. Ja richtig, nach Lotte, denn die Polizei im Kreis Herford hatte aus Sicherheitsgründen eine Verlegung der Partie aus dem Häcker-Wiehen-Stadion in die größere Arena der Sportfreunde veranlasst. So schloss sich der Kreis. Am 15.08.2008 hatte RWE hier sein erstes Auswärtsspiel in der Regionalliga West bestritten, am 07.05.2022 sein hoffentlich nicht nur vorläufig letztes. Denn gegen die sonst unangenehmen Zwiebelfestfreunde lieferte Rot-Weiss ab: Nach Treffern von Kefkir, Engelmann und Isi Young sowie einer weißen Weste des formidablen Jakob Golz war RWE nach dem 3:0 nicht nur Tabellenführer, sondern hatte Preußen Münster über das Torverhältnis schon beinahe abgehängt. Mit einem Sieg in der letzten Partie würde Rot-Weiss das Tor zur dritten Liga weit aufstoßen.

Egal was kommt, wir stehen zu dir. Nur der RWE!

Beim Finale Furioso gegen RW Ahlen hätten die Münsteraner ein siegreiches Essen nur noch überholen können, wenn sie zeitgleich die Zweite des 1. FC Köln II um drei Tore höher besiegt hätten als RWE Ahlen. Der Run auf die Karten für einen Platz im Stadion an der Hafenstraße war riesig, die für die Heimbereiche zur Verfügung stehenden 16.500 Tickets im Nu vergriffen. Laut Marcus Uhlig hätte RWE locker doppelt so viele Tickets verkaufen können, der Spieltagsstream wurde 8.000 Mal gebucht, Rekord seit der Einführung. Die emotionale Achterbahnfahrt, Kennzeichen der bisherigen Saison, blieb dann aber aus. RWE spielte souverän und siegte 2:0 durch Tore von Harenbrock und Engelmann. Engel sicherte sich mit insgesamt 24 Saisontoren zum vierten Mal in Serie die Torjägerkrone und hatte vor Saisonbeginn gesagt, dass er lieber nicht Torschützenkönig werde, wenn es denn dann endlich für den Aufstieg reichte. Am Ende gelang aber beides. Preußen Münster lag zwischenzeitlich sogar 0:1 gegen Köln II zurück – dass die Adlerträger das Match drehten und 2:1 siegten war für Essens anschließende Aufstiegsfeierlichkeiten irrelevant. Die Party konnte losgehen und 14 Jahre Fußball im Niemandsland waren ab diesem Moment Geschichte.

A U F S T I E G ! – 2021/2022 – Regionalliga West – Jawattdenn.de

Es ist vollbracht. 3. Liga – Essen ist dabei!

Aber was ist eigentlich aus dem Fascher-Fluch geworden? Den haben anscheinend jetzt andere. Viel Spaß weiterhin damit. 🙂

Bild-Schlagzeile am 13.04.2022

Bild-Schlagzeile am 06.05.2022 nach dem 0:0 in Wiedenbrück

Bild-Schlagzeile am 14.05.2022 nach dem verpassten Aufstieg
Bild-Schlagzeile am 21.05.2022 nach dem verlorenen Verbandspokalfinale gegen Rödinghausen

Und für die Statistikfreunde noch eine Übersicht: