„Hoch soll er leben! Hoch soll er leben! Dreimal hoch! Hoch! Hoch! Hoch!“

„Danke, Freunde. Vielen, vielen Dank!“ Willi war gerührt und brachte die Dankesworte kaum über die Lippen, als der vielstimmige Gesang in der Stadiongaststätte verklungen war. Na ja, vielstimmig war’s zwar, aber Gesang? Viele Gaststättenbesucher stimmten in das Lied der drei Freude ein und machten diese Gratulation zu einem noch nie gehörten polyphonen Klangwunder. Aber gerade spontane Unvollkommenheit macht solche Gesten zu unvergesslichen Freundschaftsbezeugungen.

„Willi, wir mögen dich doch alle. Und das wollten wir dir schon längst mal sagen.“, Ralf Hummelmann fühlte sich verpflichtet, als Vereinspräsident das Wort zu ergreifen. „Du bist doch der beste Erpel, den wir je hatten.“

„Ich bin der einzige Erpel, den ihr je hattet!“

„Eben! …“

Bevor jedem bewusst wurde, dass Hummelmann im Begriff war, verbal voll ins Fettnäpfchen zu tappen, mischte sich „Nicki“ Hirte ein. „Willi, wir sind dir unendlich zu Dank verpflichtet! Du hast unseren Verein oftmals aus dem Dreck gezogen.“

„Ich weiß. Meine 237 Tore haben immerhin manchen Aufstieg ermöglicht.“

„Quatsch! Niemand redet von deinen Toren. Die hätte jeder andere auch geschossen. Außerdem haben sie manchen Abstieg nicht verhindert.“ Diesmal stand Loddar, der Heuschreck vom Niederrhein, kurz vor einem peinlichen Ausrutscher.

„Nein, Willi.“ Wieder versuchte „Nicki“ die Situation zu retten. „Dein Humor war viel wertvoller für uns. Wir hatten wahrlich nicht viel zu lachen in der wechselvollen Geschichte des Vereins. Aber du hast dich nicht unterkriegen lassen. Du konntest unsere schlimmsten Depressionen mit verschmitztem Lächeln und manchem deftigen Scherz aufheitern.“

„Richtig!“ steuerte Loddar bei. „Wir Fans sind phasenweise ja nur noch gekommen, um was zum Lachen zu haben – wegen dir. Sonst haben wir ja nix mehr zum Lachen. Doch du hast das knallharte Geschäft Profifußball ganz locker gesehen. Hast es nie richtig ernstgenommen. Du wolltest Spaß haben und hast Spaß gemacht. Schade, dass dein größter Coup in der ‚Planungsphase’ steckengeblieben ist.“

„Welchen meinst du?“

„Na, den mit dem Maier-Sepp.“

„Aah, richtig!“, erinnerte sich Leppins. „Ich wollte den damals überreden, mir, dem Angreifer der gegnerischen Mannschaft, beim Abschlag vom Tor den Ball zuzuspielen. Ich hätte ihn dann zu ihm zurückgespielt. Aber ich glaube, der hat mir nicht getraut. Da wurd’ dann nix draus. Aber was meint ihr, was die Fans gekuckt hätten!“

„Mach ma’ die Geschenke auf!“ forderte Ralf Hummelmann das einstige Idol auf.

„Jau! Da fang ich doch gleich mal hiermit an!“ Papier raschelte. Zum Vorschein kam ein kleines gelbes Quitsche-Entchen. „Ach, is’ datt süß!“

„Is’ von mir!“ machte Nikolaus Hirte auf sich aufmerksam.

„Vielen Dank, Nicki! Watt soll ich denn damit?“

„Nun, wir haben uns gedacht, wo du unser Pony, unser altes Maskottchen, jetzt ja endlich bald zu Tode gepflegt hast, wir sollten wieder ein Vereinsmaskottchen haben. Und da kam uns dein Idol-Status gerade recht. Ist übrigens ein Quietsche-Erpel – die gibbet jetzt auch in männlicher Form.“

„Ja, aber das sieht doch keiner im Stadion. Das Pony haben alle gesehen. Aber so’n Plastikteil fällt doch gar nicht auf.“

„Schon klar! Darum verteilen wir die auch zu Tausenden mit jeder gekauften Eintrittskarte. Dann kann sich jeder Fan dran festhalten und neuen Mut schöpfen, wenn wir durch die nächsten Täler der Vereinsgeschichte gehen. Wir brauchen einfach etwas, was uns motiviert, positiv nach vorne zu schauen.“

„Und darum dachten wir, wir bauen das Idol wieder so richtig auf. Wir machen den Erpel zum Maskottchen.“, informierte Hummelmann den ‚wandelnden Essener Spaßfaktor’ über das neue Konzept der Fanbetreuung. „Hier ist mein Geschenk, Willi. Mach mal auf!“

Wieder raschelte Papier. „Ein Autoschlüssel?“ Willi machte große Augen.

„Ja! Du brauchst als Vereinsmaskottchen einen Dienstwagen. Kuck mal aus dem Fenster!“ Alle Besucher der Gaststätte eilten zur Fensterfront und schauten hinaus auf den Parkplatz.

„Datt is’ ja ne Ente!“, bestaunte Leppins den 2 CV 4, der im Hof stand. Aber was für eine Rostlaube! „Wo habt ihr das Teil denn her?“

„Vom Autokino. Da steht das Ding schon 15 Jahre rum, gewissermaßen als Ladenhüter. Für 50 Euro durften wir den Wagen abschleppen.“

„Und damit soll ich rumfahren?“

„Ne, der fährt keinen Meter mehr.“ erklärte der Geschäftsführer. „Das ist sozusagen dein ‚ehemaliger Dienstwagen’. Den stellen wir als Denkmal neben dem Helmut seine Statue. Als vorläufiges Denkmal. Du lebst ja noch. Ne eigene Statue krisse ers’, wenne mal nicht mehr bis’.“

„Vielen, vielen Dank. Ich freu mich echt. Das ist fast zuviel der Ehre.“

„Jetzt kommt mein Geschenk“, plötzlich stand der Wirt mitten in der Runde und überreichte Erpel ein riesiges Paket. „Ist ein Bastelset“, erklärte er. „Kannst dir einen Erpel selber basteln.“ ‚Zubereitung eines ferngesteuerten Erpels' stand auf dem Deckel der Packung. „Macht keinen Dreck, quakt nachts nicht, lässt keine Federn und man kann ihn sich ins Regal stellen, ohne ihn vorher mühsam erschießen und ausstopfen zu müssen. Vieles spricht für den naturidentischen, ferngesteuerten Erpel aus Plastik.“, erklärte der Wirt.

„Oh, Danke! So was hab ich noch nicht.“

„Und jetzt bin ich dran.“ Saltatorius wollte natürlich nicht hinten anstehen. Noch einmal raschelte es und Willi Leppins hielt ein paar knallgelbe Schwimmflossen in der Hand. „Ich dachte, die brauchst du“, erklärte der Heuschreck vom Niederrhein.

„Wieso?“

„Na, seit deiner letzten Hüftoperation läufst du doch viel flüssiger. Gar nicht mehr wie ein Erpel. Als wenn sie deinen etwas unrunden Gang frisch ausgewuchtet hätten. Wenn du aber jetzt unser Maskottchen wirst, musst du wieder watscheln. Da helfen dir Schwimmflossen ungemein.“

Jetzt kuckte Willi zweifelnd in Loddars Augen. Der hielt seinem Blick ’ne ganze Weile stand. Aber dann zuckte es doch in seinen Augenwinkeln und Willi merkte, dass ihn sein Freund mal wieder auf den Arm nehmen wollte.

„Also, wenn ich mir was wünschen darf“, beendete Willi schließlich seine Dankesrede, „dann singt mir doch noch mal das Lied, das mir damals immer so gut gefallen hat, wenn die Fans es durchs Stadion grölten." Und schon schallte es durch die Stadiongaststätte:

„Wir brauchen keinen Müller, kein’ Hoeneß, keinen Heldt. Wir haben Willi Leppins, den besten Mann der Welt.“

„Und jetzt wird gegessen!“ rief Ralf Hummelmann und lud zu Tisch. „Wir haben was kommen lassen.“

„Was gibt’s denn?“ wollte Erpel wissen.

„Was vom Chinesen! … Ente!“



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(ks)