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Zwischen Romantik und Professionalisierung – Essens Vorstand muss weiten Spagat wagen

Seit Sommer 2024 ist Essens neuer Vereinsvorsitzender Marc-Nicolai Pfeifer im Amt. Seitdem bildet er mit Alexander Rang, der schon zuvor ein Jahr dabei war, den RWE-Vorstand. Pfeifer hat in diesem einem Jahr bereits deutliche Spuren in der Essener Vereinsstruktur hinterlassen. Das vorrangige Ziel, das zu investierende Kapital zu erhöhen und damit auch Essens Chancen auf den Aufstieg in die Zweite Bundesliga. Kein einfaches Unterfangen, ist man doch der finanziellen Seriosität verpflichtet.

Schon im Interview mit Jawattdenn im Vorjahr bezifferte Pfeifer das für sportlich höhere Ambitionen mehr benötigte Kapital auf stolze 1,5 Millionen €. Ein satter Sprung. Woher also nehmen und nicht stehlen? Pfeifer und Rang fanden darauf zwei Antworten. Die Akquise neuer Sponsoren war dabei naheliegend. Für Außenstehende überraschend waren aber die Einsparpotenziale, die der Vorstand innerhalb des laufenden Vereinsbetriebs eruierte und umsetzte. Während die Vorstellung neuer Sponsoren meist nur Applaus nach sich zieht, sind Einsparungen weniger beliebt. Vor allem bei den Betroffenen.

Dass es Marc-Nicolai Pfeifer gelungen ist, die künftige Stadionpacht des dann ausgebauten Stadion Essens gegenüber den Zahlen des sogenannten Letter of Intents, den RWE noch unter Marcus Uhlig verfasst hatte, deutlich zu drücken, war ein zumindest unter RWE-Fans wohl allseits anerkannter Move. Denn zuvor waren die von RWE potenziell zu entrichtenden Zahlungen unverhältnismäßig zu nennen. Auch gefährdete der Poker um die Pacht letztlich nicht den Stadionausbau. Der Beschluss des Rates ist gefasst. Der Bruch der Schwarz-Grünen Rathauskoalition kam mit Sicherheit nicht nur über diese Frage zustande. Er zeigte aber die politische Dimension des Beschlusses.

Anderswo ist das Einsparen weniger Applaus verdächtig. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung verbindet sich damit der Eindruck von Härten. Pfeifer und Rang schauen, wo Ausgaben reduziert werden können, dann geht auch manchmal eine langjährige Geschäftsstellen-Mitarbeiterin oder man spart an Fahrtkosten im NLZ. Aktuell macht die Trennung von der Marketing-Agentur „Altobelli“ die Runde. Der Vertrag wird nicht verlängert werden. Agenturchef Thorsten Sievering erfreute sich anlässlich dessen einer Laudatio u.a. durch die Funke-Medien-Gruppe und schwelgte in Erinnerungen über die Zusammenarbeit mit Rot-Weiss Essen, die noch unter Michael Welling begonnen und unter Marcus Uhlig ausgebaut worden war. „Altobelli“ hatte dabei großen Einfluss auf die Designs der jeweiligen RWE-Trikots.

Das aktuelle brandneue Saisontrikot, das womöglich ein Verkaufsrenner werden könnte, ist das letzte Trikot, das „Altobelli“ für Rot-Weiss Essen gestaltet haben wird. Ein Verlust für RWE, sich von einem „echten Roten“, der den Geschmack der Fans trifft, zu trennen? Thorsten Sieverings zumindest implizit geschaltete Botschaft lautet, dass er noch viele Ideen auf Lager gehabt hätte und RWE somit ohne ihn und „Altobelli“ an großem Kreativpotenzial verlöre. Auch weil Sievering bei der Wahl des Agenturnamens nicht nur Fußballgespür zeigte. Alessandro Altobelli war ein früherer italienischer Nationalspieler, der im WM-Finale 1982 der deutschen Nationalmannschaft das vorentscheidende Gegentor zum 0:3 aus deutscher Sicht einschenkte. Der klangvolle Name fand danach Einzug in den deutschen Sprachgebrauch und nicht nur fußballaffine Menschen benutzen den Ausdruck „Altobelli“ bis heute als Ausruf der Verwunderung. Das trifft den Fußball-Romantiker in jedem RWE-Fan und man fragt sich, muss das denn sein?

Wie immer hat die Medaille zwei Seiten. Kennt man die Hintergründe der Trennung von „Altobelli“ wird man die Angelegenheit differenzierter betrachten. Wie Jawattdenn aus gut unterrichteten Kreisen erfuhr, ist man bei Rot-Weiss Essen not amused über die mediale Darstellung Sieverings. Das hat diverse Gründe. Zum einen befremdet es die RWE-Verantwortlichen, dass sich einer der Geschäftsführer der Agentur ohne vorherige Rücksprache öffentlich zur Trikotgestaltung von Rot-Weiss Essen geäußert hat – unter anderem in den Medien der Funke-Gruppe, in deren Räumen „Altobelli“ selbst ansässig ist.

Handfester wird es, wenn es um die Vergütung der Agentur geht. Und übrigens auch, wenn es generell darum geht, Kreativagenturen mit der Entwicklung eines Trikotdesigns zu beauftragen. Das war wohl bislang ein exklusiver und teurer RWE-Weg innerhalb des Profifußballs. Die Gestaltung und Produktion erfolgt in der Regel direkt über den Ausrüster – bei RWE dann eigentlich in enger Abstimmung und wohlgemerkt für den Klub kostenfrei mit dem langjährigen Partner JAKO und nicht über Dritte. Pfeifer und Rang entschieden sich nach Prüfung nun, diesen Sonderweg nicht weiter zu gehen. Künftige Design- und Kommunikationsentscheidungen trifft der Verein gemeinsam mit seinem Ausrüster ohne Zusatzkosten und in voller Eigenverantwortung. Nicht unerheblich aus finanziellen Gründen. Denn die Agentur „Altobelli“ wurde über mehrere Jahre für ihre Leistungen überdurchschnittlich vergütet – zunächst durch fixe Honorare im mittleren fünfstelligen Bereich, später durch variable Anteile pro verkauftem Trikot. In Summe entstand daraus eine für eine Kreativagentur im Sportumfeld ausgesprochen lukrative Konstellation. Seit 2023 wird die Zusammenarbeit in Form eines Bartermodells fortgeführt. Der Deal war aus heutiger RWE-Sicht rückblickend betrachtet vor allem für „Altobelli“ ein gutes Geschäft und weniger für den Klub. RWE wollte zudem eine klare Abgrenzung von Vereinsstrukturen, da der Bruder des geschäftsführenden Gesellschafters von „Altobelli“ bis vor kurzem bei Rot-Weiss Essen angestellt war.

Neben den nicht unerheblich zu nennenden finanziellen Aspekten war man bei RWE auch über die Kommunikation verärgert. Als im Vorjahr das inklusive Vereinslogo zunächst rein rote Saisontrikot 2024/25 vorgestellt worden war, hagelte es Kritik aus Fankreisen. Mit dem rein roten Vereinslogo wollten sich viele Anhänger nicht arrangieren. Im Visier der Empörung, RWE-Vorstand Vertrieb Alexander Rang, der sich dieser Kritik dann stellte. Das Trikot wurde dann mit dem traditionellen RWE-Wappen versehen und in den Verkauf gebracht. Was den Verein aber störte war, dass „Altobelli“ in diesem Zusammenhang nicht öffentlich genannt werden wollte. Umso mehr irritierte daher der aktuelle mediale Vorstoß der Agentur, mit dem man vor allem auf die großen Verdienste eingeht.

Wie auch immer man persönlich den Schritt des RWE-Vorstands beurteilt, sich von einem langjährigen Geschäftspartner zu trennen, sind diese Hintergründe es jedoch wert in die Gesamtbetrachtung einbezogen zu werden. Zeigt die Causa „Altobelli“ doch exemplarisch den Spagat zwischen zumindest vorgeblicher Fußball-Romantik und notwendiger Professionalisierung des Vereins. Sentimentalitäten wünschen sich viele, doch sind sie nicht immer zeitgemäß. Ähnlich kontrovers darf man die RWE-Entscheidung diskutieren, bei Auftritten in Freundschaftsspielen auch innerhalb des Stadtgebiets eine Antrittsgage zu verlangen. Auch das mag zunächst Stirnrunzeln hervorrufen, ist jedoch ebenfalls wiederum eine im Profigeschäft absolut gängige Praxis. Für den von allen gewünschten Erfolg benötigt es Geld.

In dieser Hinsicht hat sich Rot-Weiss Essen in der jüngeren Vergangenheit deutlich besser aufgestellt. Neue Partner konnten gewonnen werden, Kosten wurden gesenkt. Das aktuelle Ergebnis, eine signifikante Etat-Erhöhung und daraus resultierend ein RWE-Kader, der die Fans zumindest träumen lässt, von Anfang an in Richtung des oberen Tabellendrittels schielen zu dürfen. Und das wohlgemerkt, ohne ein finanzielles Risiko gehen zu müssen. Gleichzeitig müssen die Essener die geschundene und traditionstrunkene Seele des Fans erreichen können und nicht als harte Hunde abgestempelt werden. Man sucht die Fannähe. So sieht man sowohl Alexander Rang als auch Marc-Nicolai Pfeifer an Spieltagen immer wieder im direkten Kontakt mit dem Essener Fußballvolk.

Ganz aktuell geht RWE mit einem neuen Question & Answer-Videoformat „Was geht RWE!? Ihr fragt, der Verein antwortet“ an die digitale Öffentlichkeit. RWE-Fans können dabei über digitale Kanäle alles an Fragen einreichen, die sie sich rund um den Verein stellen. Und das ist bekanntlich eine ganze Menge. RWE wird sich dann bemühen, diese in Themengebiete zu gliedern und nach Möglichkeit zu beantworten. Somit bietet Rot-Weiss zukünftig quasi einen digitalen weiteren Hüttenabend an. Man spürt sehr deutlich, hier werden Wege der Professionalisierung mit dem Versuch gegangen eine erhöhte Fannähe und Transparenz zu erreichen.

Die Grundidee klingt gut, die Zukunft wird zeigen, ob RWE modernisiert werden kann, ohne seine besondere Bedeutung im Herzen der Menschen, für die Rot-Weiss Essen nicht nur ein Verein, sondern Teil ihrer Identität ist, zu verlieren. Dieser alles andere als leichten Aufgabe haben sich Pfeifer und Rang gestellt. Die Zwischenergebnisse sind ein ermutigendes Zeichen.

NUR DER RWE!

Sven Meyering