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Rofl vor lauter LoL! Abbedage und die 100 Räuber oder wie der E-Sport einem alten Sack den Rest gibt

Jawattdenn.de ist in den 17 Jahren stets am Puls der Zeit geblieben und in diesem Kommentar setzen wir uns mit dem Phänomen E-Sports auseinander. Viel Spaß dabei!

Es gibt Meldungen bei deren Lektüre der Schreiber dieser Zeilen Gewissheit hat, dass er endgültig auf dem Altenteil des Fandaseins angekommen und ein traditionalistisches Fossil in der Evolution des Fußballs ist. So passiert am Anfang letzter Woche als der Transfer von LoL-Spieler „Abbedage“ von der E-Sports-Abteilung eines Gelsenkirchener Stadtteilvereins zu den „100 Thieves“, einem US-Team, vermeldet wurde. Aus meiner Kindheit kannte ich zwar Ali Baba und die 40 Räuber, aber Abbedage und die gleich 100 Räuber waren mir noch nicht bekannt.

Ich bin kein Digital Native, wohl eher ein Digital Grown-Up, der schon lange mit digitalen Medien hantiert, aber damit nicht aufgewachsen ist. Der Begriff LoL steht in der digitalen Welt für „Laughing out loud“, also als Kürzel dafür, wenn jemand wegen etwas besonders Lustigem laut auflachen muss. Was an Abbedage ist dann so lustig? Ein guter Kumpel von mir, dessen wahrscheinlich einziger negativer Charakterzug ist, dass er den Blauen aus Gelsenkirchen sein Herz geschenkt hat, leistete mir sofort eine Verständnishilfe und teilte mit, dass der ganze Kader seines Vereins aus LoL-Spielern bestehe.

Ganz offenbar jedoch ist Abbedage, mit bürgerlichem Namen Felix Braun und 21 Jahre alt, im Gegensatz zu seinen im realen Fußball warum auch immer Geld verdienenden blau-weißen Arbeitskollegen ein echter Könner seines Fachs. Auf den Social-Media Kanälen des Klubs wird Abbedage verabschiedet wie einst Raul, also muss er offenbar Kultstatus haben. Für die, die ihn kennen. Seine Profession liegt im mit hoher Qualität ausgeführten Gaming des Spiels „League of Legends“, eben kurz LoL genannt. Was wiederum passt, dass LoL keine Fußballsimulation, sondern ein Strategiespiel ist. Wirklich erfolgreich beim Kampf um das runde Leder sind die Blauen also auch in der virtuellen Welt nicht. Was nichts daran ändert, dass der Transfer von Felix Braun eine geschätzte Million Euro in die gähnend leeren Vereinskassen spült und Abbedage die 100 Räuber um jährlich ca. 600.000 € an Gehalt ärmer machen wird. Wahrscheinlich abzüglich der Stromkosten, die wiederum als Werbungskosten bei der Steuererklärung geltend gemacht werden können.

Sein Ausbildungsverein rühmt sich damit, nun auch im E-Sports junge Talente zu fördern und hohe Ablösen für Spieler zu erzielen, die später einmal zu den besten der Welt gehören werden. Nachfolger von Reichert in Gelsenkirchen wird der 18 Jahre alte Ilias Bizriken, übrigens Franzose. Es ist anzunehmen, dass er bislang in der E-Knappen-Schmiede im Home-Office geformt worden ist. Übrigens hat auch RWE ein E-Sports-Team. Mit dem hätte Marcus Uhlig mal besser trainieren sollen, bevor er seinem Aachener Amtskollegen beim FIFA-Soccer Match gegen die Alemannia während der Corona-Pause mit 1:2 unterlag. Das geht besser, Marcus!

Schon seit einiger Zeit verfolge ich das Phänomen E-Sports mit einer Mischung aus Amüsement und einer bitteren Erkenntnis. Der Erkenntnis, dass für mich alten Sack in der Welt des neuen Fußballs kein Platz mehr ist. Das weiß ich auch bezüglich der realen Szenerie, in der traditionellen Werten passend zum E-Sport von internationalen und nationalen Verbänden sowie sich ein Monopol auf sportlichen Erfolg sichernden Großvereinen der Stecker gezogen worden ist. Noch eine Spur weiter geht es jedoch für meine Begriffe, wenn digitales Gaming die Massen so begeistert, wie ein echtes Fußball-Match in einem vollen Stadion. Hier kann E-Sports durchaus zu einem Problem werden. Vor allem in Zeiten, wo der Fannachwuchs die Wucht eines vibrierenden, wogenden, tobenden Fußballstadions nicht erleben kann und ihm weite Teile der Faszination dieses Sports verborgen bleiben müssen. So etwas soll es mal gegeben haben. Volle Fußballstadien, in denen man auch das lauthalse, aggressive Gebölke einer Horde von Asozialen, wie sie Hajo Sommers nennen würde, hören konnte. Diese sind in Zeiten von Corona  nicht auf den Rängen, sondern auf der Trainerbank von Borussia Dortmund 2 zu finden.

Gaming braucht natürlich keine realen Spielorte. „LoL“-Turniere haben mehrere Hunderttausend Live-Zuschauer auf Youtube und anderen Streamingkanälen und verfügen über Global Player als Großsponsoren. E-Sports besitzt schon jetzt bei den nachfolgenden Generationen generell einen sehr hohen Stellenwert. Wenn es um die Fußballsimulationen „FIFA-Soccer“ oder auch „Pro-Evolution Soccer“ geht, so muss es mittlerweile im Interesse eines dort als Avatar simulierten realen Kickers sein, welche Spielstärken und Fähigkeiten ihm dort zugemessen werden. Schon öfters habe ich gehört, dass Spieler XY von Verein XY besonders geil sei, denn er habe einen FIFA-Soccer-Wert von 95. Das bedeutet übersetzt, er wird als ein Messi eingestuft. Die insgesamt dort zu gewinnenden Gimmicks sind natürlich auch nicht zu verachten. Sicherlich wird man bald für das Avatar von Erling Haaland mit erzockten Bonuspunkten ein besonders ausgefallenes virtuelles Haarband im EA-Online-Shop downloaden können. Wahrscheinlich kann man das aber jetzt schon. Ich bin da schlichtweg zu wenig Up to date.

Ich möchte gar nicht die Frage stellen, ob das Sport sei oder nicht. Darüber scheiden sich halt die Geister. Solche Gaming-Events sind für einen Kreis mit gewissem Empfängerhorizont anscheinend spektakulär und offenbar auch extrem unterhaltend. Die besorgniserregende These, dass E-Sports als Einstiegsdroge für Gewalttaten in der Realität tauge, wie es der Kriminologe Christian Pfeiffer warnend annimmt, wird durch die Popularität dieser „Sportart“ in unserer nördlichen Nachbarstadt leider untermauert. Einen schlaghaltigen Beweis lieferte der Empfang der aus Bielefeld heimkehrenden Gelsenkirchener Abstiegshelden durch ihre Ultras in der Nacht zum vergangenen Mittwoch. Nun ist zwar jeder Fußballfan, der seit Jahrzehnten zu RWE geht, wohl auch in gewisser Weise ein Freak.

Dass „Zocken“ Spaß macht, kann ich nachvollziehen und auch ich bin seit langer Zeit im Besitz einer Playstation. Aber Leuten beim Gaming zuzuschauen, das ist etwas, dem ich so viel abgewinnen kann, wie einen gebrauchten Kaffeefilter beim Kompostieren auf der hauseigenen Biomüllhalde zu bewundern. E-Sports macht am Ende das, was der eigentliche Fußball auch tut. Er ersetzt Fußballfans durch Konsumenten und Sportler durch Leute, die vor meinem geistigen Auge durch den Zustand ihrer heimischen Spielstätte auch Messis sind. Aber eben andere als der Fußballer. Das zeigt mir wie vielen anderen Fossilien, dass wir aussterben. Dazu zitiere ich nochmal meinen Gelsenkirchener Kumpel. „Ich bin zu alt für son Scheiß.“ Vielleicht ist Aussterben angesichts der Perspektiven, welche der Sport real und digital bietet, aber auch gar nicht so schlecht.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Über einige Dinge wie eben auch die Popularität von E-Sport kann man sich halt nur lauthals lachend über den Boden wälzen. Also quasi Rofl vor lauter Lol.

Sven Meyering