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DFL-Investoreneinstieg – Maximale Empörung bei völliger Ahnungslosigkeit

In vielen Stadien der Republik halten die Proteste gegen den Investoreneinstieg an. Bei der Analyse geben vor allem die Journalisten und Experten des „Doppelpass“ ein fragwürdiges Bild ab. Dieser Kommentar beschäftigt sich mit ihrer Rolle im Geschäft des Profifußballs.

Es ist viel los in den Stadien der Bundesrepublik. Tennisbälle und Goldtaler stören zurzeit den Ablauf vieler Spiele in den Profiligen, um gegen die Pläne der DFL zum Investoreneinstieg zu demonstrieren. Am Wochenende ereignete sich aber in der Partie zwischen dem Hamburger SV und Hannover 96 ein Vorfall, der in dieser Form allerdings nicht neu ist. Die Ultras aus der Hauptstadt Niedersachsens hatten mal wieder ihren ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und Funktionär Martin Kind im Fokus, indem sie Banner mit seinem Konterfei in einem Fadenkreuz abbildeten. Vorweg sei hier gesagt, dass diese Aktion eine Grenzüberschreitung ist, die kritisiert werden muss und wenig hilfreich in der aktuellen Debatte ist. Allerdings versuchen einige selbst erklärte „Experten“ und der DFL treu ergebene Journalisten, die Banner in Hamburg als Vorwand zu nutzen, sämtliche notwendige Diskussionen über den Investoreneinstieg nach einem altbewährten Muster abzuwürgen.

Das Forum dieser Vertreter ist der sonntägliche „Doppelpass“, eine Runde, die nicht gerade dafür bekannt ist, sich mit Themen rund um Fananliegen zu beschäftigen. So sind diese Proteste ein Ärgernis, mit denen man sich notgedrungen beschäftigen muss. Schon in der vorletzten Ausgabe war dazu „11-Freunde“-Chefredakteur Philip Köster eingeladen, um Stellung zu den Aktionen der Fanszenen zu beziehen, und bekam von Stefan Effenberg sein Fett für seine Meinung weg.

Die nächste Sau, die durchs Dorf getrieben wurde, war am letzten Sonntag der Essener Jost Peter, seines Zeichens 1. Vorsitzender der Fanorganisation „Unsere Kurve“. In einem zugegebenermaßen etwas undeutlichem Statement versuchte Peter die Aktion der 96-Ultras als „Provokation“ für einen Spielabbruch zu erklären und machte auch klar, dass dies nicht das „Stilmittel“ seiner Organisation sei. Effenberg ging dies nicht weit genug und empfand es als Skandal, dass Peter als Fanvertreter sich nicht öffentlich für die „Fadenkreuz“-Banner entschuldigt hat. Natürlich sagte Effe dies nicht dem Fanvertreter direkt, da war dieser schon gar nicht mehr ins Studio zugeschaltet. Ein Tag danach setzte Doppelpass-Stammgast Alfred Draxler noch einen drauf und schrieb in einem Kommentar bei seiner „Zeitung“, wäre er am Sonntag anwesend gewesen, hätte er während des Vortrags von Peter „unverzüglich“ aus Protest den Saal verlassen und kritisierte seine Aussagen, oder die er vermeintlich vernommen hatte, scharf.

Wenn die Äußerungen von Peter richtig eingeordnet werden, ist es unverständlich, warum Effenberg und Draxler sich so über die Äußerungen empören. Die Kurven in Deutschland sind sehr vielfältig und bestehen nur zum Teil aus „Ultras“ oder anderen aktiven Gruppierungen, die in Extremen leben. Peter vertritt all diese Gruppierungen nicht, schon gar nicht die Ultraszene aus Hannover. Er kann sich also gar nicht für eine Aktion entschuldigen, von der er nicht einmal ansatzweise ein Teil davon war.

Um es mit einem Beispiel aus der jüngeren RWE-Geschichte zu vergleichen: Der Böllerwurf in der letzten Regionalligasaison im Spiel gegen Münster wurde von den meisten Zuschauern deutlich verurteilt, aber warum sollte ich mich als RWE-Fan für die Tat eines Einzelnen entschuldigen? Weder habe ich diese Aktion mit geplant noch in irgendeiner Weise im Nachhinein beschönigt. Weiter geht es mit der Stellungnahme von Peter zum „Fadenkreuz“ an sich, und auch dort hat er nicht unrecht. Natürlich ist dies kein „Stilmittel“, welches als Protestform gewählt werden darf. Aber daraus zu folgern, jemand ergreift durch das Erblicken des Banners eine Waffe und schießt dann auf Martin Kind, muss eine ziemlich blühende Fantasie haben. Sollte dies doch jemand tun, gehört ein solch krankes Subjekt nicht nur aus den Fankurven, sondern verbringt hoffentlich die meiste Zeit seines restlichen Lebens in einer Zelle. Aber die wichtigste Note von Peters Einwurf ist, dass diese Aktion wieder als Vorwand genommen wird, um vom eigentlichen Problem abzulenken.

Das vorhin erwähnte Muster sieht wie folgt aus. Zunächst gibt es einen legitimen Protest, in diesem Fall das Werfen von nicht gefährlichen Gegenständen auf das Spielfeld. Ja, es ist auch klar, in den AGBs der Stadien ist das Werfen von Gegenständen in den Innenraum verboten, aber dennoch bewegt sich der Unmut in vernünftigen Bahnen. Allerdings sind jetzt schon Funktionäre und Journalisten maximal genervt. Danach kommt es zu einer Grenzüberschreitung Einzelner oder einer Gruppierung, die dazu benutzt wird, die vorherigen Proteste zu kritisieren. Runden wie die des Doppelpasses sind dann die Verteidiger des „kleinen“ Mannes, hier die Funktionäre des Profifußballs, und scheuen sich nicht davor, jeden Verdienst der Männer für Verein, Verband und Vaterland deutlich hervorzuheben.

Dies führt nur nicht dazu, dass die Probleme des deutschen Fußballs vernünftig diskutiert und angegangen werden. Der Investoreneinstieg sorgt nur dafür, dass nach einem ominösen Schlüssel Vereine bevorteilt werden, die am oberen Ende der Nahrungskette zu finden sind. Zudem fand die Abstimmung unter geheimen und teils undemokratischen Umständen statt, da die Vertreter der Klubs bereit waren, ein hohes Gut unserer Demokratie, nämlich das Vereinsrecht, maximal zu beugen bzw. zu brechen. 36 Klubvertreter bestimmen über das Schicksal des Profifußballs Deutschlands, in denen hunderttausende Mitglieder und aktiven Fans zu Hause sind. Allein dies ist grotesk genug.

Denn dies soll nur ein Kastensystem stärken von Klubs, die es mit maximaler Finanzkraft ab Mitte der Neunziger, spätestens aber der Nullerjahre, in das Oberhaus geschafft haben und dort am liebsten für immer bleiben würden. Ironischerweise wurde dabei jahrelang mit dem Finger auf die alten „Traditionsvereine“ gezeigt, die durch Mangel an Sachverstand bis teilweise in den Amateurfußball durchgereicht wurden. Auch hier dient die jüngere Geschichte unseres Vereins als Blaupause. Nach der Insolvenz hatte der Verein acht Jahre versucht, mit einer Politik der Sparsamkeit aus der Vierten Liga herauszukommen und hat es in den überwiegenden Anzahlen der Jahre nicht ansatzweise geschafft. Erst in den folgenden drei Spielzeiten wurde das Risiko erhöht mit der Folge, dass der Aufstieg in eine finanziell wenig attraktive Liga mit mehr Schulden als gedacht realisiert werden konnte.

Es soll dabei natürlich nicht vergessen werden, dass Fehler der Vereinsführung und die Pandemie die Situation verschärft hat, aber wer den Aufstieg in Liga Drei ohne einen mittelfristigen Schritt in Liga Zwei mit plant, kann die Nummer des Insolvenzverwalters gleich wieder heraussuchen. Außerdem muss betont werden, dass diese Summen nur ein Bruchteil davon sind, was die TSG Hoffenheim und RB Leipzig an Verlusten in Ihrer Bilanz für das „Abenteuer“ Bundesliga ausgleichen müssen.

Der Investorendeal ist also dazu da, dieses „Abenteuer“ weiter zu finanzieren, da viele Vereine sich übernommen haben. Zudem wird argumentiert, dass andere Ligen wie in England oder die Topvereine in Spanien längst als Marktführer sonst nicht mehr einholbar sind. Aber muss dies unbedingt das Ziel sein? Sollte nicht die DFL lieber auf die Stärken des deutschen Profifußballs setzen wie die gut besetzten, stimmungsvollen Stadien? Und worum geht es Investoren, wenn sie in ein Geschäft ihr Geld stecken, welches auch ordentlich von Zuschüssen lebt? Geht es hier um die Leidenschaft zum Sport, wie es angeblich Martin Kind und Dietmar Hopp vorleben, was die einschlägige Presse immer gerne erwähnt? Nein, darum geht und ging es nie.

Geld haben diese Investoren in der Regel schon genug, es geht um Macht und hohen Bekanntheitsgrad, den der „Volkssport Nummer eins“ für diese Personen oder Unternehmen generiert. Warum lässt Martin Kind keine Opposition bei Hannover 96 zu, wenn er doch angeblich aus seiner eigenen Zeit in der „Kurve“ weiß, dass es dort viele andere Strömungen gibt? Warum war ein Dietmar Hopp darauf bedacht, ihm vertraute Personen, ja sogar mit Verwandtschaftsgrad, beim DFB zu installieren? Es mag sein, dass diese Menschen für ihre unmittelbare Umgebung lobenswerte Projekte angestoßen haben, aber das Problem mit Spenden ist immer, dass diese zweckgebunden sind. Die Allgemeinheit hat davon eher nichts, bzw. soll sie auch nicht haben. Letztendlich geht es in den meisten Fällen immer um das eigene Ego und Erweiterung von Einfluss.

Und jetzt kommen wir schon zu den „Meinungsmachern“ wie Effenberg und Draxler. Diese werden in Logen und bei Treffen „unter Gleichen“ hofiert und sehen sich als Teil dieses Systems. Auch hier ist es nicht das Ziel, kritische Auseinandersetzungen zu führen oder Hintergrundinformationen zu sammeln, um das Establishment des deutschen Fußballs auf den Zahn zu fühlen. Sie sollen nur Meinungen aus diesen Kreisen nach außen transportieren, um diese in die breite Öffentlichkeit zu bringen.

Kommt es dennoch zur Kritik, werden aus dem Kreis um Moderator Florian König Personen wie Philip Köster zu „Chef-Ideologen“ erklärt oder es wird von seinem Kollegen Seemann gerne der Begriff „Fußball-Romantiker“ aus der Mottenkiste geholt. Der Sportjournalist sollte sich von einem Literaturwissenschaftler oder Historiker einmal erklären lassen, was die „Romantik“ wirklich ausgezeichnet hat, damit er erkennt, wie fälschlich er diesen Begriff gebraucht. Alle diese Teilnehmer in der erlesenen Runde könnten übrigens locker mit Zahlen, Daten und Fakten die Hintergründe erklären, überlassen dies Feld aber lieber den Fanvertretern selbst. An einer Aufklärung für die Fußballanhänger ist dort niemand wirklich interessiert, kritische Fragen über die Rolle von Martin Kind bei der Abstimmung über den Investorendeal bleiben aus.

Was es bedeutet, auf die Dauerkarte seines Vereins zu sparen oder seinen Verein hunderte Kilometer durch die komplette Republik zu begleiten, wissen sie nicht und es ist ihnen auch schlichtweg egal. Der Journalist Marcel Reif erwähnte unlängst in einem Interview, dass die „Ultras“ und andere Aktive ihren Fußball hätten, und der Rest, also er und sein Umfeld, bestehend aus Journalisten und Funktionären, hätten ihren. Dies lässt tief blicken auf das Selbstverständnis, wem der Fußball aus seiner Betrachtung heraus gehört. In der Hinsicht bleibt am Ende nur zu wünschen, dass Draxler oder Reif diese Diskussionen wirklich verlassen würden und am besten auch dauerhaft fernbleiben.

Anstatt seinen eigenen Weg zu gehen, versucht die DFL andere zu kopieren. Dabei will keiner, und hier bleiben wir mal kurz bei den Überspitzungen, die Zustände wie in England haben, wo gegnerische Fans andere verhöhnen, dass sie keinen finanzkräftigen Sponsor haben, auch wenn wie im Fall Newcastle die Geldgeber auf die Menschenrechte in Saudi-Arabien spucken. Oder wie in der Trendsportart American Football die Berichterstattung über Prominente im Stadion oder die Halbzeitshows wichtiger sind als das Geschehen auf dem Feld selbst. Sicherlich sind einige Prozesse kaum noch umzukehren. Wenn ich Jugendliche nach ihren Lieblingsvereinen frage, antworten sie häufig: „FC Barcelona – Paris SG – Inter Miami“ oder „Real Madrid – Juventus Turin – Al-Hilal“. Natürlich nur in dieser Reihenfolge. Trotzdem werde ich nicht müde, ihnen zu erklären, dass die Liebe zu einem Verein unabhängig vom Erfolg mehr als der Personenkult um vermeintliche Superstars sein kann. Aber dies werden gesichtslose Investoren und ihre gefügigen Journalisten eh nicht verstehen.

Pascal Druschke