Eigentlich wäre das gestrige Ausscheiden im Landespokal gegen den Erzrivalen aus Oberhausen locker zu verschmerzen. In der Liga ist RWE weiterhin in Schlagweite auf die vorderen Plätze, die zur direkten Qualifikation für die erste Hauptrunde des DFB-Pokals berechtigen. Angesichts des verstärkten Kaders und der Schwäche der hochgehandelten Vertreter aus München oder Rostock würde am Ende auch niemand davon überrascht sein, wenn die Mannschaft aus Essen sich dort wiederfände. Doch an der Hafenstraße mögen derzeit nur wenige daran glauben.
Bislang erlaubte sich die rot-weisse Mannschaft vier Niederlagen in den Pflichtspielen, in der nur das Aus im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund aus der Reihe fällt. Im Heimspiel gegen Aachen traf die Truppe auf einen Gegner, der in einer schweren Krise steckte und trotz namhafter Neuverpflichtungen wie Lars Gindorf personell aus dem letzten Loch pfiff. Dennoch schafften es die Kaiserstädter, mit ihrem bewährten Pressing die Heimmannschaft vor große Probleme zu stellen. Am Ende kaschierten die drei berechtigten Elfmeter und die zwei eigenen Treffer, nachdem der Gegner ab der siebzigsten Minute die Sauerstoffzelte schon bestellt hatte, die Tatsache, dass Aachen deutlich höher hätte gewinnen können. In Mannheim fiel unsere Truppe regelrecht auseinander, obwohl der Waldhof aus einer Nullrunde der vorangegangen Englischen Woche kam und auch während des Spiels nicht den Eindruck machte, die klar bessere Mannschaft zu sein. Auch hier überlagerte der unberechtigte Platzverweis gegen Klaus Gjasula das insgesamt konfuse Auftreten der Gastmannschaft.
Jetzt folgte also das Aus im Niederrheinpokal, welches nach ähnlichen Mustern ablief. Dabei verschlief RWE diesmal nicht den Start und setzte den Regionalisten ordentlich unter Druck. Mit dem sehenswerten Führungstreffer durch Arslan schien der Favorit das Spiel im Griff zu haben, doch nach einem folgenschweren Patzer von Felix Wienand im Verbund mit Tom Moustier entglitt die Partie völlig und es folgten zwei weitere Treffer der Oberhausener. Am Ende gelang zwar noch der Anschlusstreffer, dennoch wirkte es nicht so, als könne der Drittligist das endgültige Schicksal trotz einiger guter Chancen noch wenden.
Diese tiefe Verunsicherung einer sehr gut besetzten Mannschaft wirft Fragen auf. Auch bei mehr- oder einfachen Punktgewinnen in Regensburg, Aue und Wiesbaden sowie im Heimspiel gegen Hoffenheim 2 erlaubte sich die Elf von Trainer Koschinat Schwächephasen, die am Ende teuer hätten werden können. Nur der Heimsieg gegen Rostock wurde sehr souverän über die Bühne gebracht. Es scheint insgesamt so, als ob sich die Mannschaft nur auf ihre individuellen Stärken verlassen könne. Auf und auch neben dem Platz fehlt es aber an der nötigen Struktur, diese Stärken bündeln zu können.
Hier liegt eine große Differenz zwischen dem taktischen Verständnis des Trainers und den Fähigkeiten des Personals vor. Während Koschinat bekannt für seine defensive Ausrichtung mit einem schnellen Umschaltspiel ist, welches in der letzten Rückrunde zum Erfolg geführt hat, befinden sich unter anderem mit Obuz, Müsel und Brumme Spieler im Kader, deren Qualitäten eher im Offensivspiel zu finden sind. Nachdem die Fünferkette mit einem desolaten Auftritt gegen Aachen scheinbar an ihrem Ende angekommen war, wirkte es eher so, als sei der Trainer dazu genötigt worden, seinen Ansatz aufzugeben und mehr offensive Elemente in die Mannschaft zu geben. Auf Strecke gesehen wurden beide Systeme dem defensiven Anspruch nicht gerecht. Nur drei Mannschaften haben in der Liga bis zu diesem Zeitpunkt mehr Gegentore kassiert, alle befinden sich derzeit auf den Abstiegsrängen.
Dabei ist generell wenig gegen eine starke Verteidigung zu sagen, auch eine derartige Philosophie kann an die Spitze der Liga führen. Ein Paradebeispiel ist die Mannschaft aus Osnabrück, die sich mit ihrem disziplinierten Bollwerk auch auf eine funktionierende Offensive verlassen kann und sich aktuell auf Rang 3 befindet.
Die Kritik an dem Trainer greift aber hier dann zu kurz. Auch die anderen sportlich Verantwortlichen um Steegmann und Flüthmann haben eine Mannschaft zusammengestellt, die für mehr Offensivfußball stehen soll. Dieser Fehler, eine Truppe an der Spielphilosophie des Trainers vorbei zu verpflichten, ist durchaus parallel zur vergangenen Saison zu sehen.
Für die Aufstellung der Mannschaft ist aber am Ende dennoch der Trainer verantwortlich. Nachdem sich Koschinat zu Viererkette durchgerungen hatte, setzte er auf Kapitän Michael Schultz statt auf Tobias Kraulich, der neben vielen anderen ein schwaches Spiel gegen Aachen zeigte. Doch unter seinem Vorgänger Dabrowski war die Viererkette Ausgangspunkt des Aufbauspiels, wo ein umfunktionierter Felix Götze mit seinen Fähigkeiten das Spiel belebte. Schultz steht eher für die Variante „Sicherheit“, während Kraulich diesen Part nachweislich übernehmen könnte. Doch Koschinat sprach sich weiterhin für seinen Kapitän aus, der nur wegen einer Verletzung aus der Aufstellung gegen Oberhausen weichen musste. Auch Koschinats Einwechselungen geben zuweilen Rätsel auf. Nach einem 0:2-Rückstand in Mannheim kommt mit Owusu nach dem Pausentee ein Umschaltspieler zum Einsatz, obwohl in dieser Situation mit zurückgezogenen Gastgebern ein Strafraumstürmer wie Janssen gefragt wäre. Dieser wird dann aber bei einer 3:0-Führung im Heimspiel gegen Hoffenheim 2 ins Spiel gebracht, obwohl die Kraichgauer permanent anrennen. Es scheint so, als ob die Unsicherheiten auf der Trainerbank sich auf die Mannschaft übertragen.
Es sind aber auch die Aussagen der Verantwortlichen neben dem Platz, die extrem irritieren. Der Generalschelte gegenüber der Berichterstattung von Marcus Steegmann auf der Pressekonferenz vor dem Rostockspiel verpuffte sehr schnell, zudem sorgte die Aussage, ein Zwischensaisonziel sei es, mehr Punkte als in der letzten Hinrunde zu holen, für Kopfschütteln. Dafür wäre es nicht nötig gewesen, einen Kader, der in der letzten Rückrunde 39 Punkte geholt hat, noch einmal deutlich zu verstärken, zumal ja dann diese hohe Punktsumme noch einmal erreicht werden müsste, was nicht selbstverständlich ist. Auch Trainer Koschinat, der ansonsten für seine Transparenz und klaren Analysen in der Vergangenheit gelobt wurde, schießt häufig über das Ziel hinaus. Statt der ausreichenden Information, Mause wäre aus taktischen Gründen nach der roten Karte von Moustier aus dem Spiel gegen Rostock genommen worden, gab er bekannt, dass der Stürmer nicht fit aus Kaiserslautern gekommen sei. Ein problematischer Umstand, wenn die Verantwortlichen nur einen Stürmertyp verpflichten wollten, der direkt helfen soll und nicht erst zur Rückrunde sein volles Potential entfalten könne.
Zuletzt erregte Koschinat Aufsehen mit der Aussage, RWE hätte mit dem Regionalligisten aus Oberhausen ein „Hammerlos“ erwischt. Hätte diese Aussage nicht eher von Oberhausener Seite kommen müssen? Es bleibt unverständlich, wieso eine Mannschaft, die eine nahezu perfekte Rückrunde gespielt hat und auch in der Vorbereitung samt starkem Pokalauftritt gegen den BVB überzeugen konnte, nicht mit breiterer Brust durch die Gegend läuft. Selbstverständlich sollte der Respekt vor dem Gegner nicht fehlen. Hier lohnt sich ausnahmsweise mal der temporäre Blick an die Wedau. Der MSV weiß um seine kollektive Stärke, geht aber jedes Spiel mit der nötigen Demut an. Dort ist die Zielsetzung aufgrund des gesteigerten Selbstbewusstseins längst Richtung Aufstieg in die zweite Liga gerichtet, auch wenn es keiner offiziell zugeben mag.
Diese Aufforderung nach einer breiteren Brust betrifft letztendlich auch die Mannschaft selbst. Bislang kann der Truppe insgesamt nicht vorgeworfen werden, kämpferisch nicht alles in die Waagschale geworfen zu haben. Spiele wie in Wiesbaden oder in Aue wurden durch einen hohen Einsatz wieder ins Positive gewendet. Allerdings mangelt es auch auf dem Platz an Führungsfiguren, vor allem, wenn Klaus Gjasula nicht dabei ist. Hier braucht es mehr Verantwortung sowohl von etablierten Spielern als auch von Neuzugängen, die mit Vorschusslorbeeren nach Essen gekommen sind. Dies bedeutet im Übrigen nicht, dass sich diese Spieler Beleidigungen einiger Unbelehrbarer auch nach einer emotionalen Derbyniederlage gefallen lassen müssen.
Wie die Auftritte der Mannschaft beurteilt werden und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, bleibt selbstverständlich den Verantwortlichen überlassen. Auch wenn der Verein nach Jahren der sportlichen Tristesse so gut wie lange nicht dasteht, müssen neuralgische Punkte auch von außen angesprochen werden. Die Mannschaft hat bei weitem ihr spielerisches Potential noch nicht ausgeschöpft. Die günstige Konstellation, eine gute Mannschaft trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen in der Dritten Liga zusammen gehalten zu haben, wird in der Zukunft auch nicht immer gegeben sein. Eigentlich hat sich die Mannschaft eine Zielvorgabe seit gestern selbst gesetzt. Nur die ersten vier Mannschaften (abgesehen von den Zweitvertretungen) erreichen in der Dritten Liga die Hauptrunde des DFB-Pokals. Aber zurzeit wären viele Fans an der Hafenstraße schon damit zufrieden, wenn die Truppe nicht die Summe ihrer Einzelteile wäre.
In diesem Sinne
NUR DER RWE!