Tag 1
Da der Flug nach Athen bereits um 6.00 Uhr von Frankfurt startete, ging es schon um 1.30 Uhr in Essen los. An Schlaf war also in dieser Nacht nicht zu denken. Die frische Brise und die knackigen Temperaturen in Athina, wie es im Griechischen heißt, ließen die Müdigkeit schnell schwinden. Für 6 € pro Nase ging es dann mit dem Bus zum Syntagma-Platz, der quasi das Drehkreuz der Stadt ist. Unsere Unterkunft war von dort fußläufig erreichbar und lag mitten in Exarchia. Ein Studenten- und Szeneviertel, allem voran aber Zentrum des autonomen Widerstands. So wird der Stadtteil nicht ohne Grund auch Anarchia genannt. Wirklich nahezu jeder Millimeter der heruntergekommenen Fassaden ist hier mit mehr oder weniger künstlerisch wertvollen Graffitis übersät. Der erste Eindruck unserer temporären Heimat ist faszinierend und abstoßend zugleich.
Anziehend hingegen war der Geruch von Gyros und Zaziki, dem wir uns – untypisch für diesen Ort – widerstandslos hingaben. Das Restaurant unserer Wahl, in dem wir landestypisch speisten, lag nämlich direkt am Treffpunkt der alternativen Szene, dem Exarchia-Platz, der eigentlich gar keinen Namen hat und bis zum 7. März 2009 eine einfache Parkfläche war. Eine Bürgerinitiative besetzte den Platz damals, riss den Asphalt raus und gestaltete in Eigenregie eine Grünanlage. Das romantisches Flair dieser Vorstellung wurde zunichtegemacht, als wir am Abend nochmal auf ein Bierchen an denselben Ort zurückkehrten.
Erster Anlaufpunkt war der 277m hohe Lykabettus. Zunächst stand jedoch Sightseeing auf dem Programm. Erster Anlaufpunkt war der 277m hohe Lykabettus. Ein Berg, der mitten in Athen wie ein Fremdkörper aus dem Boden schießt. Der Mythos, dass die griechische Göttin Athene ihn hier einst fallen lassen hat, klingt bei dem Anblick gar nicht mehr so unrealistisch. Wir gönnen uns ebenso einen göttlichen Luxus und lassen uns von der Standseilbahn hinaufziehen. Das Panorama wäre aber auch jeden Höhenmeter zu Fuß wert gewesen. Eine wahnsinnige Aussicht tat sich auf. Weiße Häuser soweit das Auge reicht. Im Südwesten sticht die Akropolis hervor und gleich nebenan buhlt das wuchtige Panathinaiko-Stadion um unsere Aufmerksamkeit, das sogleich auch unser nächstes Ziel sein sollte.
Leider war uns nicht bewusst, dass es nur an der geöffneten Seite des antiken Stadions, das 330 v. Chr. erbaut und 1896 für die ersten olympischen Spiele der Neuzeit rekonstruiert wurde, einen Eingang gab. Wir wählten daher ein Schlupfloch durch den massiven Zaun, dessen Metallstreben Herkules persönlich an einer Stelle auseinandergebogen haben muss. In der gigantischen Marmorschüssel stehend, spulte mein Hirn wie üblich die Filme ab, die sich andere nicht mal nachts zu träumen wagten. Und so sah ich vor meinem imaginären Auge plötzlich tausende Rot-Weisse im Stadion stehen, die sich an diesem historischen Ort für das anstehende Europapokal-Halbfinale bei Panathinaikos Athen einsangen. Ihr kennt das…
Anschließend ging es dann erstmals wirklich um Fußball. Im entfernteren Sinne. Für das Derby zwischen AEK Athen und jenem zukünftigen Halbfinalgegner unseres RWE wollten wir unbedingt im Voraus Tickets beschaffen. Dazu fuhren wir rund 40 Minuten mit dem Bus gen Norden und steuerten den olympischen Sportkomplex (kurz: OAKA) an, der nach dem Sieger des ersten olympischen Marathonlaufs der Moderne, Spyros Louis, benannt ist. Die Tickets bekamen wir allerdings nicht in der Geschäftsstelle von AEK, sondern in einem Warenhaus namens „Public“, das mit Karstadt vergleichbar ist und mitten im Einkaufszentrum „Golden Hall“ zu finden war. Das überforderte Kassenpersonal wollte zunächst unsere Ausweise. Dann irgendeine griechische Versicherungsnummer. Erst als wir uns lange genug doof gestellt hatten und die Schlange hinter uns schon bis in die Küchengeräteabteilung reichte, bekamen wir unsere Tickets für je 15 €. Zuvor waren noch 11 € für eine sinnbefreite Mitgliedschaft zu berappen.
Fußballspiele waren an diesem Freitagabend leider nicht auszumachen, sodass wir mal über den Tellerrand hinausschauten und ein Basktelball-Spiel der Champions League zwischen Panathinaikos und Zenit St. Petersburg ins Visier genommen hatten. Der Sport an sich ist natürlich eine Katastrophe und bei mir persönlich ganz weit unten auf der Interessenliste angesiedelt. Die von YouTube bekannten Auftritte von Gate 13, die sich gerne auch mal hier in der Halle oder nebenan beim Wasserball blicken lassen, hatten aber Hoffnung auf eine bombastische Atmosphäre unterm Hallendach in uns keimen lassen. Da abermals eine Fankarte vonnöten war, um Tickets zu ordern, verschaffte wir uns zu zweit erstmal anderweitig Zutritt zu der Veranstaltung. Leider mussten wir daraufhin feststellen, dass Gate 13 sich hier heute nicht auf das Derby am Sonntag einstimmen würde und nur 150-200 Leute um gute Stimmung bemühten. Nach dem ersten Viertel, in dem sich die Griechen schon einen immensen Vorsprung erarbeiteten, hatte wir auch schon genug gesehen und machten uns wieder auf den Weg nach Exarchia.
Falls wer noch Nachrichtenbilder von den zahlreichen Straßenschlachten auf den Straßen Athens vor Augen hat, weil das Renteneintrittsalter auf 42 erhöht wurde oder so: Die haben in der Regel hier ihren Ausgangspunkt. Davon zeugten auch diverse abgefackelte Mülltonnen, die aber auch halbgeschmolzen noch ihren Zweck erfüllten. Genauso wie die Hundertschaften, die in voller Kampfmontur an einem normalen Freitagabend an den Straßenrändern auf den nächsten Gewaltausbruch warteten. Es standen wirklich so viele Mannschaftswagen in den Straßen, dass wir zwischenzeitlich die Sorge hatten ein brisantes Lokalderby verpasst zu haben. Nur aus dem besagten Zentrum des Viertel hielt sich die Schmiere komplett fern. Dafür war der Platz nun mit allerlei zwielichtigen Gestalten gesäumt. Hippies, Hausbesetzer und andere Alternative versammelten sich wie in einem schlechten Kinofilm um ein loderndes Lagerfeuer, mitten im Wohnviertel. Aufgehängte Banner riefen zum Klassenkampf auf. Alte Graffitis zeugten noch von Aufrufen, den Weg zum G20-Gipfel nach Hamburg auf sich zu nehmen. Die Freundschaft zwischen St. Pauli und AEK Athen war hier allgegenwärtig. Es ließen sich kaum fünf Meter machen, ohne ein paar bewusstseinserweiternde Substanzen angeboten zu bekommen. „Skuff“ schien hier das bevorzugte Mittel zum Zweck zu sein. Gesiebtes Gras, also größtenteils Harzkristalle, die deutlich heftiger wirken, ließ ich mir von meinen sachkundigen Kollegen erklären. Rund 200 Meter weiter waren dann tatsächlich nur noch schnieke Studenten unterwegs, die nur die vielen Bars auf der Flaniermeile besetzten. Das Bier kostete dann plötzlich auch mehr als das doppelte und lag bei 6 € für den halben Liter. Aber die Griechen haben es ja.
Tag 2
Am nächsten Tag bescherte der Spieltag uns dann glücklicherweise gleich drei Partien. Den Anfang machte ein Spiel der U19-Superleague zwischen Panionios GSS und AO Xanthi, deren Herrenmannschaften noch am Abend aufeinandertreffen sollten. Frühzeitig aus dem Ei gepellt, ging es zunächst zur Markthalle Varvakios. Die war allerdings eher Anlaufpunkt der lokalen Einzelhändler, Gastronomen und Supermärkte, als für den kulinarisch interessierten Touristen. Die Ursprünglichkeit erhalten sich die Händler selber, indem sie regelmäßig gegen die Pläne, die Halle in eine edle Delikatessenmeile zu verwandeln, Widerstand leisten. So war es dann selbst für die Carnivoren unter uns gewöhnungsbedürftig, Schweineköpfe oder gehäutete Lämmer am Stück an den Ständen baumeln zu sehen. Der Kreis schloss sich dann, als ein solches Tier, nur spärlich mit einer Tüte bedeckt, aus dem Kofferraum eines Opel Corsas in einen anliegenden Supermarkt geliefert wurde. Das Wort „Kühlkette“ scheint im Griechischen gar nicht zu existieren.
Weiter ging es zu Fuß durch das Flohmarktviertel Monastiraki, wo allerlei Ramsch angeboten wurde, bevor wir uns ein Taxi zum ersten Spiel des Tages orderten. Die Wartezeit wurde von einer hitzigen Auseinandersetzung zwischen zwei Locals, mitten auf einer relativ belebten Straße, begleitet. Nur eine Vielzahl an Händlern und Passanten konnten letztlich verhindern, dass sich die Diskussion nicht zu einem Faustkampf entfalten konnte.
Am Ground „Gipedo Trachones“ angekommen, machten wir es uns direkt in der komplett verglasten Gastwirtschaft der Anlage gemütlich und konnten so windgeschützt und trocken die Partie verfolgen. Außerhalb dessen gaben eine Stahlrohrtribüne, ein markanter Zaun und ein Scheißhaus, das den Namen Toilette bei Weitem nicht verdiente, wunderbare Fotomotive ab. So entspannt, wie die Heimmannschaft den Stiefel zum 2:0-Sieg herunterspielte, machten wir uns auch mit ausreichend Puffer auf den Weg nach Nikea, einen Vorort Athens, wo das Drittligaspiel zwischen Ionikos Nikea und Niki Volos steigen sollte. Unser Taxifahrer auf dem Weg dorthin war gut drauf, gab ein paar Tipps, wo wir am Abend zu guten Kursen einkehren könnten und erzählte zu jedem Stadion, an dem wir vorbeifuhren, eine Geschichte. Da der Grieche für jeden Anlass – und je Sportart – eine neue Arena errichtet, waren das eine ganze Menge.
Am Zielort angekommen, enterten wir als erstes eine Taverne, von wo wir wunderbar das Treiben vor dem Stadion beobachten konnten. Nach einer ausgiebigen Mahlzeit trennten wir uns sicherheitshalber und machten uns in kleineren Gruppen für die letzten Meter zum Stadion auf. Allem voran, weil 1944 an diesem Ort ein als „Blocco von Kokkinia“ bekannt gewordenes Kriegsverbrechen von den Deutschen begangen wurde und die Fanszenen in Griechenland oftmals politisch sehr extrem sind, wollten wir es zwingend meiden aufzufallen.
Während die ersten zwei von uns einfach durchgewunken wurden, war mir die Eintrittskarte als Souvenir dann doch fünf Euro wert. Im 5000 Zuschauer fassenden Stadion Neapolis Nikaias bekamen wir dann das komplette Programm des griechischen Fußballs geboten. Hinterm Tor versammelte sich ein ordentlicher Haufen hinter einem genauso ordentlich beflaggten Zaun. Es wurden gerade ganz ungeniert die Fackeln im Block verteilt, ehe der ganze Mob wieder hektisch nach draußen stürmte. Ohne es genau beobachtet haben zu können, wurde da wohl der rund 50 Mann starke Gästehaufen begrüßt. Pünktlich zum Anpfiff wurden die Bengalos dann angerissen. Die hier und dort getragenen Sturmhauben waren eher obligatorisch, denn wirklich echauffieren tut sich in Griechenland über Pyrotechnik niemand. Im Gegenteil: Es gehört dazu und ist z.B. auch bei Journalisten ein weitläufig akzeptiertes Stilmittel der Fankurven.
Die von den geschätzt 2000 Zuschauern erzeugte Lautstärke war wirklich überraschend gut in dem deckellosen Schuhkarton. Dass die Griechen nicht unbedingt die gelassensten Leute beim Fußball sind und sich insbesondere hier bei Ionikos ein übelstes Asivolk zusammengefunden hat, vermittelte dabei nicht nur die überdurchschnittlich hohe „Malaka“-Schlagzahl, die den Spielern auf dem Feld entgegengeworfen wurde. Nein, hier wurden Schubladen geöffnet, die selbst einem Dauergast an der Essener Hafenstraße zu tief sind. Bei jeder, wirklich bei jeder Gelegenheit, wurden die gegnerischen Spieler von der Tribüne angespuckt. Vom zahnlosen Landstreicher bis zum adrett gekleideten Familienvater, scheißegal. Anrotzen ist hier gesellschaftsfähig! Und die Spieler ließen es sich unbekümmert über sich ergehen.
In der Halbzeit gab es dann plötzlich Bewegung auf den Tribünen. Eine Hand voll Gästefans machte sich auf den Weg zur Gegengeraden, was die Heimseite nicht nur sprichwörtlich aufs Dach stiegen ließ. Während sich die halbe Ultraszene von Ionikos zum Ort des Geschehens bewegte, waren einige erlebnisorientierte Fans schon auf das Flachdach des Spielertunnels gestiegen, der die beiden Seiten voneinander trennte. Nachdem die Staatsmacht sich in Position gebracht hat, blieb es dann letztlich dabei sich gegenseitig zum Sirtaki aufzufordern. Leidtragender war vor allem die Mannschaft von Niki Volos, die durch den umlagerten Tunnel zurück aufs Spielfeld musste und mit einem warmen Speichelregen empfangen wurde. In der zweiten Halbzeit konnte Ionikos zweimal einnetzen, was natürlich für die Atmosphäre sehr zuträglich war. Zu den Toren und nach Abpfiff wurden nochmal einige Lichter entzündet, vereinzelt hüpften die freudigen Fans mit den Fackeln gar in den Innenraum und feierten inmitten der Spieler den Sieg.
Für unsere Reisegesellschaft ging es zügig raus aus dem Trubel, um den ersten Kick der höchsten Spielklasse des Landes anzusteuern. Eine verwaiste Stadionperipherie, unbesetzte Ticketschalter und eine leere Taverne direkt am Stadion ließen Sorgen in uns aufkommen, ob denn das Spiel nicht verlegt wurde. Plötzlich schossen uns die Bilder vom letzten Heimspiel in den Kopf, wo sich Fans von Panionios und Atromitos eine feurige Schlacht auf den Tribünen lieferten und einige Sitzschalen in Brand steckten. Der Verein hatte daraufhin eine Verbandsstrafe aufgebrummt bekommen und musste das Spiel nun ohne Zuschauer austragen. Naja, fast. Mit Trick 17 und viel Überzeugungsarbeit bei diversen Wichtigtuern konnten sich immerhin drei von fünf Leuten Zutritt verschaffen und den Ground kreuzen, wenn uns schon das Spektakel auf den Rängen verwehrt bleibt. Mein erstes Spiel, bei dem die offizielle Zuschauerzahl 0 lautete. Handgezählte 63 Kiebitze verliefen sich aber dennoch in der fetten Schüssel. Einer davon berichtete, dass 60 Personen zugelassen worden seien, um zumindest Familienangehörigen, Presse usw. Eintritt gewähren zu können. Kurios dabei, dass in der zweiten Halbzeit der torlosen Partie einige der Anwesenden mehr als nur familiäre Unterstützung leisteten. So standen bei strittigen Szenen teilweise bis zu zehn Leute auf der Brüstung hinter der gegnerischen Trainerbank und krakeelten wild auf diese ein. Rotzattacken waren diesmal aber nicht zu beobachten.
Am Abend fand sich unsere Truppe im Irish Pub „The Lazy Bulldog“ wieder und zelebrierte den frisch gemachten Länderpunkt mit gutem Essen und einigen Bieren, die hier auch bezahlbar waren. Ein Teil der Besatzung landete später noch auf einer 80er/90er-Party in einem Nachtclub, wo lokale Schlagergrößen ein Live-Konzert gaben. Während die bekannten Melodien einfach auf Deutsch mitgesungen wurden, wurden aus den unbekannten Melodien kurzerhand RWE-Songs gedichtet und sogleich auf Kurventauglichkeit geprüft. Alles für RWE, immer und überall!
Tag 3
Am Sonntag hatten wir erneut ein äußerst sportliches Programm. Gar vier Spiele wären bei den Ansetzungen des Tages möglich gewesen. Das morgendliche U19-Spiel fiel allerdings dem Pflichtbesuch bei der Akropolis, dem Wahrzeichen der Stadt, zum Opfer. Bereut hatten wir die 10 Euro Eintritt nicht, so richtig vom Hocker hauen konnten uns der alte Trümmerhaufen aber auch nicht. Das bekannteste Bauwerk ist der berühmte Parthenon mit seinen vielen Säulen. Etwas anziehender wirkten das Odeon des Herodes Atticus – ein antikes Theater, in dem heute noch Konzerte gespielt werden – und die Ruine des Dionysostheater, benannt nach dem Gott des Weins, der Ekstase und des Wahnsinns. Da konnten wir schon mehr mit anfangen.
Nachdem die Pflicht erfüllt war, steuerten wir per pedes den am Fuß des Berges gelegenen Stadtteil Plaka an, der mit seinen vielen kleinen Gassen als einer der ursprünglichsten Stadtteile Athens gilt. Weiter ging es mit der Metro zum ersten Spiel des Tages: Apollon Smyrni empfing den Platanias FC in der Superleague 2. Trotz einem souveränen 4:0-Heimsieg war der Star des Spiels das Georgios-Kamaras-Stadion. Klingt schon nach der griechischen Version des Georg-Melches-Stadions und hat auch nur drei Tribünen. Die Katakomben waren noch ähnlich rustikal, ansonsten hält es sich mit den Parallelen aber in Grenzen. Trotzdem machte der All-Seater mit zwei geschlossenen Ecken und einer abgewetzten Haupttribüne mit Dach, die sich optisch vom Rest des Stadions abhebt, was her. Schade, dass auf den Tribünen nahezu gar nichts los war.
Das sollte sich bei der Partie zwischen Atromitos FC und Olympiakos Piräus ändern. Unser Taxifahrer fuhr geradewegs auf die Gegengerade zu, wo sich schon die örtliche Ultraszene sammelte. So ließen wir uns lieber nochmal ums Stadion kutschieren, wenn auch da einige Wegelagerer rumlungerten. Glücklicherweise waren wir allesamt dunkelhaarig und unrasiert, so dass wir zumindest auf den ersten Blick nicht direkt auffielen. Mit den butterblumenblonden Haaren von René Pascal hätte man hier bestimmt den ein oder anderen Gesprächspartner mehr gehabt. Bei uns dauerte es bis zum Ticketschalter, wo wir dann von der Seite angequatscht wurden. Ob wir zwei Tickets mitbringen könnten. Seltsam, war die Schlange hinter uns doch sehr überschaubar. Wir versuchten es im Sinne der Völkerverständigung trotzdem, bekamen aber auch nur ein Ticket pro Person mit gültigem Personalausweis. Noch skeptischer wurden wir, als uns kurz darauf VIP-Karten im Tausch gegen unsere Tickets angeboten wurden. Wir trauten dem Braten nicht und lehnten dankend ab. Der Groschen fiel dann mit dem Betreten der Haupttribüne, auf der sich im äußeren Bereich rund 150 überwiegend finstere Gestalten zusammengerottet hatten, die das Gästefanverbot umgehen konnten. Da der gegenüberliegende Fanblock in weiten Teilen nur vor sich hinmurmelte, waren wir für die schallenden Schlachtrufe und diverse Trompetensolos sehr dankbar. Nachteil war, dass wir genau im Fegefeuer saßen. Exakt zwischen den Gästen aus der Hafenstadt und dem nicht gerade gastfreundlichen Sitzplatzvolk von Atromitos. Während wir schon flachsten, auf – beziehungsweise für – welche Seite wir uns denn schlagen würden, wenn es eskaliert, nahmen uns die in Kampfmontur herbeigeeilten Cops die Entscheidung bereits ab und zogen eine Kette, gleich links von uns, durch den Block.
Leider zog es uns aus zeitlichen Gründen schon eine Weile vor Abpfiff zum nächsten Spiel, dem Highlight des Wochenendes. Das Athener Derby zwischen AEK und Panathinaikos. Wie seit vielen Jahren üblich, ohne Gästefans. Kaum vorstellbar, dass sich das nochmal ändert. Griechenland hat eine der gewalttätigsten Fanszenen Europas, wovon unter anderem mehrere Todesopfer in der Vergangenheit zeugen. Ohne derlei Ausbrüche rechtfertigen zu wollen, dürften diese sicherlich auch irgendwo auf die korrupten Verflechtungen von Politik, Wirtschaft und Fußball zurückzuführen sein, durch die es zur aktuellen gesellschaftlichen Situation gekommen ist. Doch zurück zum Spiel…
Rund 45 Minuten vor Anpfiff waren bereits die ersten Schlachtrufe in guter Lautstärke aus dem Stadioninneren zu vernehmen. Der Großteil der AEK-Fans dürfte da noch draußen gestanden haben. So sah es jedenfalls aus, als wir auf dem Weg zu unserem Block schnellen Schrittes die Heimkurve passierten. Im Stadion gab es dann zum Warmmachen eine Klatscheinlage, bei der das restliche Stadion nicht höflich aufgefordert wurde mitzumachen, sondern ausgepfiffen wurde, bis wirklich alle Arme oben waren. Ein feiner Vorgeschmack! Die Kurve hinterm Tor, wo kurioserweise an selber Stelle auch die Panathinaikos-Fans bei Heimspielen stehen, war proppevoll und sehr geil beflaggt. „These colours don’t run“ stand auf einer über 90 Minuten zentral hängenden Zaunfahne. Im vermeintlichen Gästeblock schien sich ebenfalls ein Teil der AEK-Szene eingefunden zu haben. Womöglich Fans, die keine Lust auf die extreme Politikschiene haben. Aber das ist nur Spekulation. AEK wurde 1924 von griechischen Flüchtlingen aus der Türkei gegründet und bedeutet übersetzt „Sportverein Konstantinopel“. Sicherlich auch aufgrund des historischen Hintergrunds hat AEK die alternativste Fanszene im Großraum Athen, wobei man vom Zuspruch her als Nummer 3 hinter Piräus und Panathinaikos gilt.
Der Anpfiff der Partie wurde von einer fetten Pyroshow begleitet. Als dann nach 8 Minuten schon das Tor des Tages fiel, leuchtete es bereits zum zweiten Mal lichterloh in der Kurve. Der Torjubel war brutal. Die 20.374 Zuschauer machten in den folgenden Minuten aus dem überdimensionierten Olympiastadion einen wahrlichen Hexenkessel. In der puren Ekstase stieg die komplette Gegengerade ein und gab in voller Inbrunst ihre Freudengesänge zum Besten. Brachial! Genauso muss nach 90 Minuten aber auch festgehalten werden, dass es immer wieder längere Phasen gab, in denen die Stimmung weit unter den Erwartungen zurückblieb. Zwar ist es ohne Kontrahent auf den Rängen immer schwierig – wir kennen das zu gut – dennoch hätte da in einem Spiel gegen den großen Rivalen etwas mehr kommen dürfen. Erst wenn die Gegengerade einstieg, wurde es richtig fetzig, was aber auch immer wieder geschah, wenn auch selten wirklich lange. Zur zweiten Halbzeit durfte in der AEK-Kurve noch ein zweites Intro mit schwarzem und gelben Rauch bewundert werden. Auch während des Spiel gingen immer wieder vereinzelt Fackeln an, so dass über das gesamte Spiel hinweg wirklich hunderte Bengalen abgebrannt sein worden müssen. Zweitlieblingsbeschäftigung der Zuschauer war der Wasserflaschenweitwurf. Weit über 100 volle PET-Flaschen flogen im hohen Bogen in den Innenraum. Aus allen Ecken und Enden des Stadions, immer wieder auch aus dem Oberrang.
AEK brachte das 1:0 über die Zeit und wir freuten uns noch auf eine lautstarke Siegesfeier. Anders als erwartet jedoch, wurden mit dem Schlusspfiff sehr schnell die Fahnen eingepackt. Großartige Jubelarien gab es nicht und auch die Mannschaft verschwand in der Kabine, ohne sich auch nur einen Meter in Richtung der Fankurve zu bewegen. Sehr befremdlich! Um den Bericht nicht ähnlich abrupt zu beenden, bleibt unterm Strich festzuhalten, dass Athen wirklich keine schöne Stadt ist, aber das fanatische Publikum alleine schon eine Reise wert ist. Nicht nur für die großen Derbys, sondern insbesondere auch für die kleineren Vereine unterhalb der Superleague, wo einige kleinere Fanszenen mit viel Herzblut Leben in die Stadien bringen.