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„Helden von einst“ – Werner Kik

Mit großer Trauer haben wir erfahren, dass Werner Kik, Mitglied der RWE-Jahrhundertelf, am 15. Mai im Alter von 82 Jahren verstorben ist. Vor elf Jahren hat Jawattdenn.de dieses zeitlose und spannende Interview mit Werner Kik führen dürfen und wir wollen es zu seinem Andenken noch einmal veröffentlichen.

Jawattdenn.de: In der vergangenen Saison stieg das Traditions-Duell gegen Preußen Münster, das wir leider mit 0:4 verloren haben. Werden bei Ihnen Erinnerungen wach? Ihr erster RWE-Einsatz war ja schließlich auch gegen Münster.

Werner Kik: An Preußen Münster habe ich dadurch natürlich sehr gute Erinnerungen.
Es war 1960 und wir haben 3:0 gewonnen. Ich bin damals als Mittelstürmer geholt worden, bin aber schon in der Vorbereitung auf verschiedene Positionen gestellt worden. So habe ich das erste Spiel als Rechtsaußen begonnen. In der fünften Minute stürzte dann ein Verteidiger auf mich zu, ich hab den ausgespielt, den Ball nach innen geflankt und der Penny Islacker liegt da waagerecht in der Luft. Der hat ihn per Scherenschlag unter die Latte gehauen. Der Torwart konnte gar nicht reagieren. Von da an galt ich als der zweite Helmut Rahn. Allerdings muss ich einräumen, dass ich es als Rechtsaußen nicht so weit gebracht hätte, ich musste immer am Ball, immer im Geschehen sein. Außerdem hätte auch keiner, außer Penny Islacker, dieses Tor gemacht. Es war sensationell und trotzdem wurde nicht er gefeiert, sondern der „Neue“.

Ich habe in dieser Saison, in der wir leider abgestiegen sind, insgesamt 21 von 30 Spielen bestritten. Damals konnte man noch nicht auswechseln während des Spiels und so stand mal ich und mal der Kalle Knappheide auf dem Platz. In diesem Jahr hatten wir das Problem, dass die Mannschaft zur Hälfte aus jungen und die andere Hälfte aus alten Spielern bestand. Die Spieler waren also entweder 33 oder 21. Otto Rehhagel fing beispielsweise auch in dem Jahr an. Diese Konstellation funktionierte aber nicht.

Jawattdenn.de: Ihre Verpflichtung geschah sehr kurios. Ein Steiger aus Hessen, der in Essen wohnte empfahl Sie, weil er Sie spielen sah…

Werner Kik: …Nein! Der hat mich überhaupt nicht spielen sehen. Unter Tage haben sich die Leute immer über den Fußball vom Sonntag unterhalten. Der hörte da wohl immer mit und mein Name fiel da offensichtlich öfters. Er ist daraufhin dem Paul Nikelski die Bude eingerannt. So ist Paul dann mit dem damaligen Spielausschuss Koch zu einem meiner Spiele gefahren. Kurz darauf kam Schorsch Melches mit Hermann Rüdiger, dem Chef von Coca Cola zu einem Spiel. Ich habe an dem Tag gar nicht so gut gespielt, aber trotzdem kam Melches danach zu mir nach Hause. Ich hatte gerade eine Ausbildung zum Vermessungstechniker gemacht, damals hieß es Steiger, heute Diplom-Ingenieur. Mein Vater wollte, dass ich auch eine Arbeitsstelle bekomme, worauf Melches antwortete: „Das machen wir schon.“ Darauf mein Vater: „Können Sie das einfach so sagen?“ Melches meinte nur ganz väterlich: „Ja, ja, das machen wir schon.“ So kam das, da habe ich Riesenglück gehabt.

Jawattdenn.de: Sie sind als Mittelstürmer verpflichtet worden. Von Trainer Pliska sind Sie dann als Verteidiger eingesetzt worden. Wie kam es dazu?

Werner Kik: Das ist auch eine schöne Geschichte. Pliska kam zu mir und sagte, dass ich Samstag gegen Münster Verteidiger spielen sollte. Ich habe ihm dann geantwortet: „Das spiel ich nicht.“ Das muss man sich mal vorstellen, als Angestellter des Vereins zu sagen „spiel ich nicht“. Er meinte nur, dass ich zu Hause bleiben solle. Das habe ich auch gemacht, ich bin zu Hause geblieben.

In der nächsten Woche sagte er zu mir: „Du spielst Sonntag wieder – Verteidiger!“ Dann habe ich halt Verteidiger gespielt, ich wollte ja wieder in die Mannschaft. Im Nachhinein muss ich Pliska danken. Das war eigentlich mein richtiger großer Durchbruch. Die heutige Nummer Sechs, das war meine Position. Nachdem ich als Verteidiger eingesetzt wurde, spielte ich Vorstopper. Ich bin aber nicht hinten kleben geblieben, sondern habe Lücken in der Hälfte des Gegners gesucht, gerufen und den Mitspieler geschickt. Das vermisse ich heute im modernen Fußball. Die Viererkette steht meistens sehr diszipliniert, da wagt gar keiner nach vorne zu gehen. Lucio war zum Beispiel einer, der auch mal mit nach vorne ging.

Jawattdenn.de: Da waren noch einige Spieler der Meistermannschaft im Team. Das war doch sicher etwas Besonderes?

Werner Kik: Ja klar! Damals gab es Bilder in Kaugummis, Toto-Gum hieß das damals, die habe ich gesammelt. Die hatte ich komplett: Herkenrath, Wewers, Islacker. Ich kann mich erinnern, dass ich den Fritz Herkenrath habe siezen wollen bei einer Frankreichtour kurz bevor die erste Saison für mich bei RWE begann. Wir schliefen gemeinsam auf einem Zimmer. Da meinte er direkt: „Lass mal! Ich bin der Fritz.“ Sonst war ich gar nicht so ehrfürchtig. Auf dem Platz habe ich lautstark den Ball gefordert. Das kam damals nicht immer gut an, währenddessen sich die Trainer heute freuen, wenn ein junger Spieler mal vorprescht.

Jawattdenn.de: Ihre erste Saison lief nicht nach Wunsch, denn RWE stieg aus der Oberliga West ab und schaffte es zwei Jahre später nicht, sich für die Bundesliga zu qualifizieren. Liegt vielleicht in dieser Tatsache mit ein Grund, weswegen RWE nicht auf die Beine kommt, da schon damals der Anschluss an den Profifußball verpasst wurde?

Werner Kik: Profifußball wurde ja auch in der Zweiten Liga gespielt. Der DFB hat damals Punktelisten darüber geführt, wer dann in der Bundesliga antreten durfte und Essen hat das damals verpasst. Der Abstieg lag meines Erachtens an einer zu einschneidenden Verjüngung der Mannschaft. Das hätte in den Jahren zuvor schon anfangen müssen, damit der Übergang behutsamer durchgeführt worden wäre.

Jawattdenn.de: Sie haben die Oberliga West als Aktiver schon miterlebt. Als Kind zuvor wahrscheinlich auch als Zuschauer…

Werner Kik: … Ich war als Kind Borussia Dortmund Fan und habe später gegen die Idole spielen dürfen. Das war sensationell.

Jawattdenn.de: Es gibt zig Publikationen zu der alten Oberliga West. Was hat damals den Reiz dieser Liga ausgemacht? Oder ist es nur romantische Verklärung?

Werner Kik: Den Reiz dieser Liga machte die räumliche Nähe der Vereine aus. Man nannte die Oberliga ja die Straßenbahnliga. Die Spieler kannten sich privat und ich würde das nicht als Verklärung sehen. Der Vater eines ehemaliger Schul- und Arbeitskollegen war Schalker, denn sie wohnten in Gelsenkirchen-Heßler. Wir spielten dann in Schalke und er stand natürlich im Schalker Block in der Glückaufkampfbahn. Ich kam dann zum Block, weil ich einen Einwurf machen musste und er rief auf einmal: „Hallo Werner!“ und ich zurück: „Tach, Herr Hartmann.“ Das als Ur-Schalker (lacht.) Ich weiß nicht, was hinterher mit ihm passiert ist.

Es war damals auch alles spontaner. Gucken Sie sich beispielsweise heute Bayern München an. Die Spieler wohnen in München-Grünwald unter Filmschauspielern. Wir haben damals unter unseren Zuschauern gelebt, mit ihnen auch an der Theke gestanden. Das ist heute undenkbar. Wir sind allerdings auch nicht zum Publikum gelaufen und haben gewunken. Ich halte das auch nur für Show, sehr viel Ehrlichkeit steckt da nicht drin. Wir mussten uns dann früher auch mal beschimpfen, aber auch auf die Schulter klopfen lassen. Das hat aber weniger mit der alten Oberliga, sondern mit der wachsenden Professionalisierung zu tun.

Jawattdenn.de: Es war ja eine regelrechte Wendezeit für den Fußball. Die Gründung der Bundesliga hatte damals viel in Gang gesetzt. Motor des ganzen war damals der 1. FC Köln mit seinem Vorsitzenden Kremers.

Werner Kik: Das war der große Rivale von Schorsch Melches. Melches selbst hatte sich auch für die Gründung der Bundesliga eingesetzt. Er hätte sich nur nie vorstellen können, dass wir da nicht reinkommen. Er war ja leider schon tot, als es so weit war.

Jawattdenn.de: Es folgten einige Jahre in der Zweiten Liga und dann die Qualifikation für die neu gegründete Regionalliga. Diese wurde auch nur knapp geschafft.

Werner Kik: Das stimmt. Wir sind Sechster geworden und nur die ersten Acht durften im nächsten Jahr in der Regionalliga spielen. Das waren keine schönen Jahre, da wir keine so gute Mannschaft hatten. Es war allerdings immer was los. Einen Niedergang, den wir im Moment erleben, hat es damals zum Glück nicht gegeben.

Jawattdenn.de: Es ging später dann sogar nach oben, denn 1966 folgte der Aufstieg.

Werner Kik: Da muss ich etwas weiter ausholen. Der Verein konnte sich damals erholen, weil die Stammspieler geblieben sind und dadurch keine große Fluktuation entstand. Als Rot-Weiss das letzte Mal aus der Zweiten Liga abstieg, waren gleich 15 Mann weg und 15 neue da. Das geht nicht.

Wir bekamen nur drei Neue. Das waren Willi Lippens, Willi Koslowski aus der Schalker Meistermannschaft von 1958 und der Torwart Hermann Roß. Das hat gereicht, um aus einer durchschnittlichen eine Aufstiegsmannschaft zu machen. Wir wurden dann am Ende Zweiter und stieg auf.

Jawattdenn.de: Diese Aufstiegsrunde hat mit dem Spiel in St. Pauli begonnen. 7.000 Essener haben das Team begleitet, es hat aber eine 0:1 Niederlage gegeben?

Werner Kik: Allerdings haben wir dort zu unrecht verloren, denn wir haben an dem Tag gut gespielt. Ob es jetzt 5.000 oder 7.000 Anhänger waren weiß ich nicht, aber abends war die ganze Reeperbahn voller RWE-Fans.

Jawattdenn.de: Hatten Sie nicht Angst, dass die Runde durch die Auftaktniederlage bereits gelaufen wäre.

Werner Kik: Angst hatten wir nicht, wir waren aber selbstverständlich niedergeschlagen.

Jawattdenn.de: Dann hat es aber doch geklappt und das letzte Spiel war wieder gegen St. Pauli und da ging es darum, wer aufsteigt und wer nicht.

Werner Kik: Das haben wir auch 0:1 verloren. Wir durften damals 2:0 verlieren und wären trotzdem aufgestiegen. Wir haben nach St. Pauli Schweinfurt zu Hause gehabt und 3:0 gewonnen. Gegen Saarbrücken haben wir 3:1 gewonnen. Die Auswärtsspiele in Schweinfurt und Saarbrücken haben wir jeweils 2:1 gewonnen. So durften wir also 2:0 verlieren, weil St. Pauli Punkte liegengelassen hatte. Man muss noch hinzufügen, dass diese Aufstiegsrunde etwas ganz besonderes war, denn es war wie früher die Runde um die Deutsche Meisterschaft. Es war immer rappelvoll und ein bisschen Glück muss man da eben auch haben.

Jawattdenn.de: Mit dem ersten Bundesligajahr ist für Sie als Spieler sicher auch ein Traum wieder wahr geworden?

Werner Kik: Das war ein Traum! Wir haben zuerst gegen den Meidericher SV Duisburg verloren, das war das einzige Spiel, das ich verpasst habe und haben dann Schalke und auch Bayern München geschlagen. Mit Beckenbauer, Müller und Maier, die später die ganz große Mannschaft wurden.

Jawattdenn.de: Leider ging es wieder runter und anschließend wieder in die Aufstiegsrunde 1968, wo RWE allerdings nur Zweiter hinter Hertha wurde.

Werner Kik: Genau, das war unter dem Trainer Erich Ribbeck. Das war ein super Trainer, vielleicht der beste, den ich hatte. Aber leider war Hertha in der Saison einfach besser.

Jawattdenn.de: Dann kam die Aufstiegsrunde 1969 und die Zahlen muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. In Osnabrück wurde RWE von 12.000 Fans begleitet, nach Neuendorf, wo Koblenz spielte begleiteten 6.000 Essener das Team zu Hause gegen Karlsruhe ein ausverkauftes Haus und RWE hat Karlsruhe 5:0 geschlagen. Kann man sich eigentlich heute noch vorstellen, wie das gewesen sein muss?

Werner Kik: Für mich waren die Saisons in der Zweiten Liga immer genauso schön wie die in der Ersten, denn am Saisonende kam ja immer der Saisonhöhepunkt Aufstiegsrunde. In Berlin haben wir lange Jahre den Zuschauerrekord gehalten mit 86.000 oder 87.000 Leuten. Das war riesig. Diese Aufstiegsrunden haben auch die Leute für die Abstiege entschädigt. Wir wurden ja eigentümlicherweise immer Zweiter, wie haben uns nie als erster für die Aufstiegsrunde qualifiziert.

In der Saison 1969 hatte der Verein sich von Kuno Klötzer getrennt und Willi Vordenbäumen hat das Team übernommen. Auf einmal lief es. Da sind wir mit einem Rekordwert von 14:2 Punkten durch diese Aufstiegsrunde marschiert. Da haben alle Dresche gekriegt. In Neuendorf haben wir 5:0 gewonnen.

Mit Willi Vordenbäumen hat es gut geklappt. Kuno Klötzer hatte uns immer kontrolliert, da durften wir während des Trainings nichts trinken, selbst bei Hitze. Das haben wir dann immer heimlich gemacht. Als er dann weg war gab es in der Mannschaft eine gewisse Erleichterung.

Nach dem nächsten Bundesligajahr habe ich dann meine Karriere beendet, recht früh mit 31. Hat Ihnen denn jemand mal was von den sagenhaften Schlammspielen in dem Jahr erzählt?

Jawattdenn.de: Bisher nicht.

Werner Kik: 1970 fand die Weltmeisterschaft in Mexiko statt. Wir hatten nach der Winterpause eine Wetterphase, durch die ohne Ende Spiele ausfielen. Der DFB verlangte aber, dass die Spiele durchgezogen werden, da der Terminkalender eng war. Es haben hier Spiele stattgefunden, da war kein Rasen mehr da, sondern nur noch Matsch. Wir haben sieben Spiele in 19 Tagen machen müssen und keins davon verloren. Sogar gegen Gladbach, die in der Saison Deutscher Meister wurden, wurde 1:0 gewonnen und wir sind am Ende 12. geworden. Ich habe dann meine Karriere mit 31 beendet, obwohl ich topfit war. Heute haben die Fußballer alle keinen zusätzlichen Beruf, da hätte ich dann auch noch weitergespielt. Ein Jahr später ist RWE dann wieder abgestiegen.

Jawattdenn.de: Die Aufstiegsrunde ging sechs Wochen lang und von fünf Vereinen kam nur einer hoch. Hatte man als Spieler nicht den Eindruck, dass der Aufwand in keinem Verhältnis zu dem was man erreichen konnte stand?

Werner Kik: Gemessen an dem damaligen Training, war das körperlich unheimlich viel. Ich wog am Anfang der Aufstiegsrunde 72 Kilo und zum Schluss nur noch 69, unter anderem weil es fast immer heiß war. Von der Nervosität her gesehen hat es kaum einen Unterschied gemacht. Aufgeregt waren wir immer, denn es ging immer um Auf- oder Abstieg. Was anderes kenne ich gar nicht. Wir Spieler waren immer so heiß auf diese Aufstiegsrunde, da kamen gar keine Gedanken daran. Hat Ihnen jemand über das legendäre Spiel in Osnabrück erzählt?

Jawattdenn.de: Das, in dem RWE bis zwanzig Minuten vor Schluss 3:0 geführt hat und dann noch Unentschieden 3:3 gespielt hat.

Werner Kik: Und wenn es noch fünf Minuten länger gedauert hätte, hätten wir 3:4 verloren. Ein unglaubliches Spiel.

Jawattdenn.de: Wir haben aufgrund einer Titelstory der 11 Freunde Zeitschrift mit Markus Kurth über Druck im Profifußball gesprochen. Er hat darauf gesagt, dass es durchaus junge Fußballer gibt, die nicht sehr gut, damit fertig werden. Der Druck damals, wo es immer um Auf- und Abstieg ging muss ja mindestens ebenso hoch gewesen sein. Wie sind Sie persönlich damit umgegangen und hat es damals schon Spieler gegeben, die damit nicht fertig geworden sind?

Werner Kik: Diese Spieler gab es mit Sicherheit, die könnte ich aber nicht namentlich nennen. Wenn Talente nicht durchkommen, scheitern sie meistens am Druck. Nur denke ich, dass, wer damit nicht umgehen kann, sich einen anderen Beruf suchen sollte. In den letzten Jahren wurde bei RWE auch öfter mal von Druck gesprochen, da muss ich sagen, dass ich den immer hatte. Klar habe ich mir auch, wenn ich beispielsweise gegen Libuda ran musste am Abend vorher überlegt, wie ich gegen ihn spielen sollte. Der hatte immer so einen Trick, mit dem er an den Abwehrspielern vorbeiging. Der Hasebrink saß in der Aufstiegsrunde im Bus nach Hamburg als wenn er zur Schlachtbank müsste, also Druck war schon da. Aber wichtig ist, dass der auf dem Platz weg ist. Wenn der erste Pass gelingt oder Zuschauerbeifall kam, das baute einen auf. Über Beifall konnten wir uns nicht beklagen, die Zuschauer standen wie eine Wand hinter uns.

Wir hatten damals alle noch einen Beruf nebenbei, vielleicht haben wir den Druck deswegen nicht so extrem gespürt. Für mich war der Druck die Ehre. Ich wollte nicht versagen. Ich habe immer auch für die Zuschauer gespielt. Wenn man am nächsten Tag zur Arbeit kam ging das ja schon los: „Du alte Gurke, was hast du da gestern gespielt.“ Oder so ähnlich. Es war aber kein Existenzdruck, wie es ihn heute vielleicht gibt.

Jawattdenn.de: Ihr ehemaliger Mitspieler Willi Lippens hat mal erzählt, dass er unheimlich gerne gegen Berti Vogts gespielt hat. Hatten Sie auch Gegenspieler, auf die sie sich gefreut haben, weil die Ihnen lagen?

Werner Kik: Ich kann mich nur an zwei Stürmer erinnern, die mich ganz alt haben aussehen lassen. Das war von Bayern München Rudolf Nafziger, der machte immer diesen Matthews-Trick, also erst nach innen und dann nach außen gehen. Und auch gegen Bernd Rupp habe ich nicht gut ausgesehen. Da hat der Trainer mich statt linkem rechten Verteidiger spielen lassen, um gegen den Rupp zu spielen. Der spielte neben Günther Netzer und egal was ich gemacht habe, es ging schief. Habe ich ihn eng gedeckt, drehte der sich um und war weg. Oder ich habe den Netzer angegriffen und auch dann war es nicht besser. Ansonsten kann ich mich an niemand besonderes mehr erinnern. Gerd Müller hat mal drei Tore gegen mich gemacht. Das erste war ein Elfmeter, da konnte ich nichts für. Beim zweiten war die Fußspitze beim Grätschen nur wenige Zentimeter vor mir und das dritte war ein abgeprallter Ball. Gegen Müller habe ich aber gerne gespielt. Der hat nie versucht, einen Mann zu umspielen, weil er es nicht konnte. Der lebte von unmöglichen Dingen.

Jawattdenn.de: Es gibt ja zig Geschichten über Willi Lippens. Wie war es denn mit diesem Menschen zusammenzuspielen. Als Gegenspieler war er durchaus unangenehm, war er als Mitspieler auch so?

Werner Kik: Der Willi war nicht der typische Mannschaftsspieler, sondern er war eher ein Individualist. Es war schon damals so, dass die Stürmer auch defensive Aufgaben übernehmen sollten und das hat er nicht gern gemacht. Ich spielte selbst manchmal hinter ihm und das war dann nicht schön. Er war nach innen auch nicht der Spaßvogel wie er es nach außen war. Ich muss in diesem Zusammenhang aber noch etwas betonen: Wir waren jetzt nicht allesamt privat befreundet, vereinzelt vielleicht. Aber auf dem Platz gab es keinen, der nicht die Fehler des anderen mit ausgebügelt hat.

Jawattdenn.de: Haben Sie denn heute noch Kontakt zu ehemaligen Mitspielern?

Werner Kik: Eher wenig, denn meistens bin ich es, der sich bemüht alle zusammen zu bringen. Durch einen Bekannten habe ich den Kontakt zu Egbert ter Mors gesucht und er hat mich hier und ich ihn in Enschede besucht, auch mit Fred Bockholt habe ich ein paar Mal Kontakt gehabt. Manfred Frankowski kommt auch noch zu RWE, sonst keiner mehr. Dadurch ist der Kontakt zwangsläufig nicht mehr so gut. Ich habe es mal geschafft sechs Mann in der Vereinsgaststätte zu versammeln. Es ist aber fast unmöglich alle zusammenzubekommen, obwohl wir alle Rentner sind.

Jawattdenn.de: Viele ehemalige RWE-Spieler haben in Interviews darüber geklagt, dass der Verein sie so stiefmütterlich behandelt. Sehen Sie das genauso?

Werner Kik: Das sehe ich ganz genauso. Beispiel: Zur Hundertjahrfeier waren Nobby Fürhoff, Werner Kik und Fred Bockholt anwesend. Sonst war keiner da, das finde ich beschämend. Die Feier war ohnehin enttäuschend. Ein Jahr vorher war das vierzigjährige Jubiläum des Bundesligaaufstiegs und auch das hat niemand zur Kenntnis genommen. Das sage ich nicht aus Eigenlob, sondern es wäre eine Möglichkeit gewesen, den Verein deutschlandweit ins Gespräch zu bringen.

Jawattdenn.de: Ist das vielleicht auch ein Grund von vielen, weswegen es so schlecht läuft, weil der Verein nicht auf Wissen von ehemaligen Spielern, die sich mit dem Verein identifizieren, zurückgreift?

Werner Kik: Ich habe mit Rolf Hempelmann immer ein gutes Verhältnis gehabt und habe ihm natürlich in angemessener Form immer meine Kritik mitgeteilt. Mir ist vor einiger Zeit ein Spieler bei den Amateuren aufgefallen, der Pappas hieß. Ich habe Hempelmann angerufen und ihm das mitgeteilt, er wusste aber auch nicht, ob er jetzt für die Erste oder die Zweite Mannschaft verpflichtet wurde. Wo spielt er jetzt? Zweite Bundesliga!

Ich hatte auch mal angeregt einen Kreis ehemaliger Spieler zu gründen. Auch dazu ist es nie gekommen. Ich habe mit Otto Rehhagel darüber gesprochen und er meinte zu mir, dass die Verantwortlichen bei RWE keinen Einfluss durch uns wünschen, sondern es selbst machen wollen. Wahrscheinlich aus Befürchtung, dass mal etwas Positives passiert durch unseren Kreis und nicht durch sie. So wurde dann Geld verbrannt, sodass der Verein nun dahin gekommen ist, wo er jetzt ist. Wobei der jetzige Vorstand dafür am wenigsten kann, das Geld wurde schließlich früher verbrannt.

Ich habe sehr viel von Rolf Hempelmann als Präsident gehalten, denn er hat den Verein gut repräsentiert und konnte auch große Sponsoren besorgen. Ich habe ihm allerdings auch gesagt, dass er auf seine Administration achten soll. Ich weiß nicht, ob die damals wussten, was ein Ball ist.

Es gibt so viele Spielernamen, die hier geholt wurden, die man aber nicht gebrauchen konnte. Lindbaek, Pagano, Thomson – ein Schotte, der in Kroation spielt, mehr braucht man nicht zu sagen – Schoof spielt jetzt in Windeck, früher Dattenfeld.

Jawattdenn.de: In die Reihe passt auch Silvio Pätz…

Werner Kik: Genau den wollte ich auch noch aufzählen. Der kam aus der Ex-DDR. Ein paar Spiele hat der wohl gemacht, aber was hier schon durchgelaufen ist an Spielern, es ist unfassbar.

Jawattdenn.de: Sie sind in die RWE-Jahrhundertelf gewählt worden, obwohl es doch schon lange her ist, dass Sie aktiv waren und viele Zuschauer von heute Sie gar nicht live haben spielen sehen. Ist das nicht ein schönes Gefühl, wenn ein Jahrzehnt Vereinstreue auf diese Weise honoriert werden?

Werner Kik: Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das keinen Spaß gemacht hätte. Ich habe auch niemanden angerufen, damit ich mehr Stimmen bekomme. Meine Frau und mein Sohn haben natürlich trotzdem für mich gestimmt. (lacht) Aber manche Nominierungen in dieser Elf kann ich wiederum nicht verstehen. Es sind mir da auch zu wenig Spieler aus der Meistermannschaft drin. Deutscher Meister zu werden war zu jeder Zeit schwer, nicht nur heute, deswegen hätten sie es verdient gehabt. Das war eine überragende Mannschaft, die den Ruf von Rot-Weiss Essen erst begründet hat. 1953 der Pokalsieg und 1955 die Meisterschaft, das war eine tolle Mannschaft. Aber ich habe mich natürlich trotzdem sehr gefreut und die Wahl war ein Highlight in meinem Leben.

Jawattdenn.de: Die Zuschauer an der Hafenstraße waren schon immer berüchtigt. Ich weiß nicht, ob der Messerwurf in Ihre aktive Zeit fällt?

Werner Kik: Nein, da hatte ich meine Karriere schon beendet.

Jawattdenn.de: Den Fans eilte damals aber durchaus ein berüchtigter Ruf voraus. Wie haben Sie diese Menschen wahrgenommen?

Werner Kik: Die Fans standen in der Westkurve und die anderen Tribünen standen noch gar nicht, da war freie Fläche. Mich hat nach zwanzig Jahren noch jemand angesprochen, der es gar nicht fassen konnte, dass ich ihn nicht mehr kannte. Schließlich hätte er doch immer in der Westkurve gestanden. (lacht) Dort standen wirklich die treuesten Fans, wie in Dortmund auf der Südtribüne. Das waren die Letzten, die uns ausgepfiffen haben.

Jawattdenn.de: Wenn Sie zurückdenken, was war denn die schönste Zeit bei Rot-Weiss?

Werner Kik: Die schönste Zeit waren die Aufstiegsrunden, die immer voller Spannung waren. Die Spiele gegen Mönchengladbach oder Bayern München waren auch toll. Ich habe ja gegen alle bekannten Spieler der Sechziger Jahre gespielt, aus denen sich die Elf 72 entwickelte, die mit Glanz und Gloria Europameister wurde. Insgeheim war es sowieso immer schön, wenn man ein gutes Spiel gemacht hat, da gehören auch Spiele in der Zweiten Liga dazu. Was kaum einer noch weiß: In einem Spiel gegen Dortmund 95 habe ich mal fünf Tore geschossen, als Mittelstürmer damals noch. Den Verein gibt es, glaube ich, gar nicht mehr.

Jawattdenn.de: Sie sind dem Verein immer noch verbunden und verfolgen auch die Spiele noch im Stadion. Wie sehr schmerzt die Lage, in der RWE sich nun befindet und wo sehen Sie die Ursachen für die Misere?

Werner Kik: Ich habe Ross und Reiter ja bereits benannt. Es ist über Jahre eine Inkompetenz im sportlichen Bereich gewesen, weil niemand mit Fußballsachverstand dort etwas zu sagen hatte. Die Spielerkäufe zeigen das ganz deutlich. Ryan Thomson hat selbst bei den Amateuren auf der Bank gesessen. Allerdings war die Mannschaft, die aus der Dritten Liga abgestiegen ist, eigentlich gar nicht so schlecht.

Auch wenn gemunkelt wird, dass da einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, von wegen, dass einige schon Verträge bei anderen Vereinen in der Tasche hatten vor dem letzten Spiel. Woran kann es liegen, dass Lotte und Saarbrücken an der Spitze stehen und RWE nicht? Das kann nur mit einem Versagen auf der Chefetage erklärt werden. Eine andere Ursache gibt es nicht. Das Publikum kann es nicht sein, sondern nur die Fehleinkäufe.

Es schmerzt durchaus. Wenn ich in meine Heimat zu Besuch fahre, dann fragen die überhaupt nicht mehr nach dem Verein. Sonst wurde immer gefrotzelt, aber die nehmen ihn gar nicht mehr zur Kenntnis. Das ist schon deprimierend.

Jawattdenn.de: Zum Abschluss fragen wir immer nach dem Stadionneubau. Für wie realistisch halten Sie es, dass dieses Stadion endlich mal gebaut wird?

Werner Kik: Ich halte das für realistisch. Die Stadt kann eigentlich gar nicht anders. Es ist jetzt schon für die Kulturhauptstadt eine Blamage ohne Ende. Da spielt die Politik aber auch mit hinein. Der damalige Oberbürgermeister Reiniger macht mit großem Rummel einen Spatenstich, dann wird ein bisschen abgerissen und dann tut sich wieder nichts mehr. Jetzt reden sich alle irgendwie raus. Und dann wird immer wieder gefragt, warum für so einen Verein, ein neues Stadion gebaut werden soll. Es soll aber gar nicht für Rot-Weiss Essen gebaut werden. Essen ist die einzige Großstadt, die so ein Stadion vorweist; die Einzige! Das kann so nicht bestehen bleiben und ich denke – vorsichtig gesprochen – dass innerhalb der nächsten vier Jahre auch gebaut wird.

Es wäre aber trotzdem schön, wenn von Seiten des Vereins der sportliche Bereich als Argument herhalten könnte. Ein Aufstieg würde den Druck deutlich erhöhen.

Jawattdenn.de: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Hendrik Stürznickel im Juni 2010 – Bilder: rwe-autogramme-fm.de